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Lily stockte der Atem. Was für eine Reise? Sev war noch nie verreist, bis auf dieses eine Mal nach Frankreich, von dem er ihr manchmal, in besonders glücklichen Stunden, erzählte. Sev hatte praktisch sein gesamtes Leben im Innern dieser Mauern verbracht. Oder daheim im Spinner's End.

„Natürlich", lautete Sevs Antwort, diese wurde jedoch von einem lauten Kratzen an der Tür übertönt. Lily zuckte zusammen und machte schnell ein paar Schritte von der Tür weg. Panisch sah sie sich um. Wenn Dumbledore sie hier sah, wusste er, dass sie aus irgendeinem Grund das Passwort erraten hatte. Und Sev wusste, dass sie das Gespräch aller Wahrscheinlichkeit nach belauscht hatte.

Auf beides war Lily nicht sonderlich erpicht. Aber der Flur bot keine Möglichkeit, sich zu verstecken. Hätte Lily mehr Zeit gehabt, hätte sie vielleicht versuchen können, in eine der großen Ritterrüstungen zu klettern, die einsam an der Wand herumstanden.

So aber blieb sie wie erstarrt und stand kaum einen halben Meter von Sevs großer Hakennase entfernt, als dieser die Tür öffnete.

„Wir verreisen?", fragte sie forsch, noch bevor er überhaupt realisiert hatte, dass Lily vor ihm stand. Dann zogen sich seine Augenbrauen finster zusammen. „Ich verreise." Sie starrten einander einige Sekunden lang an, dann trat Dumbledore in den Türrahmen.

„Miss Hollow", stellte er überrascht fest, „ich hätte eine Etage tiefer mit Ihnen gerechnet." Innerlich stieß Lily einen Fluch aus. Dieses vermaledeite Passwort. „Es ist nicht besonders schwierig. Kanarienkremschnitte, also wirklich." Sie lachte halbherzig und verstummte schlagartig wieder, als sie den Druck von Sevs Hand auf ihrer Schulter spürte. Sie schüttelte seinen Arm ab.

„Wohin verreisen wir?", wandte sie sich dann an Dumbledore. Der Schulleiter sah einige Augenblicke amüsiert zwischen ihnen hin und her. Dennoch war es Lily, die zuerst das Wort ergriff. „Haben Sie das etwa nicht bedacht, Professor?", fragte sie und schnaubte leise. „Haben Sie etwa geglaubt, ich würde alleine im Spinner's End bleiben?" Dumbledores Miene blieb unergründlich. Schwungvoll kehrte Lily ihm den Rücken und sah erneut Sev an. „Hast du geglaubt, ich würde alleine im Spinner's End bleiben? Du weiß genau, wie sehr ich es dort hasse."

Lily konnte sehen, wie sich Sev Kiefer verhärteten, er musste die Zähne zusammenbeißen. Sie demütigte ihn vor Dumbledore. Und auch, wenn Lily das unter normalen Umständen ein schlechtes Gewissen bereitet hatte, erfüllte sie es jetzt mit paradoxer Freude.

„Was für ein Wunder, Sev", höhnte sie weiter. „Du hast deine Tochter vergessen. Kommt in letzter Zeit recht häufig vor, findest du nicht?" Die blauen Adern, die auf Sevs Handrücken durch seine bleiche Haut hindurch schimmerten, traten immer deutlicher hervor. „Genug", zischte er, so wie Sev es immer tat. „Genug, genug, genug", äffte Lily ihn an. „ICH HABE GENUG DAVON, DASS DU IMMER SO TUST, ALS WÜRDE ICH NICHT EXISTIEREN!"

Nach Atem ringend rückte Lily von ihm ab, bis sie die Türklinke in ihrem Rücken spürte. „Ich bin hier, klar? Du kannst mit mir reden." Lily starrte ihn an, aber Sev schien ihre Blicke nicht mehr wahrzunehmen. „Miss Hollow, bitte setzten Sie sich."

Dumbledores sanfte Stimme durchbrach ihre Feuerwalze aus Wut und Ärger. Auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch sackte Lily in sich zusammen. Verbarg ihren Kopf in den Händen und musste sich dazu zwingen, tief durch zu atmen. „Sie auch, Severus. Miss Hollow hat Recht und jetzt müssen wir eine Lösung finden."

Lily richtete sich auf und schüttelte den Kopf. „Wie kann es sein, dass Sie mich einfach beide vergessen", flüsterte sie leise, bekam aber keine Antwort.

Sev ließ sich Zeit, es dauerte einige Sekunden, bis er sich damit abfand, zur Abwechslung einmal neben Lily sitzen zu müssen und nicht auf der anderen Seite des Tisches. „Sie haben vollkommen Recht, Miss Hollow und ich entschuldige mich für diesen überaus offensichtlichen Fehler." Dumbledore sah sie abwartend über den Rand seiner Halbmondbrille hinweg an. Lily senkte den Kopf, wagte einen Seitenblick auf Sev und wandte sich wieder ab. Er würde sich nicht entschuldigen. Alles, was er tat wurde von ihm durchdacht und geplant, er stand für die Dinge ein, die er tat und brauchte sich nicht zu entschuldigen. Sev machte keine Fehler, nicht nach seiner eigenen Definition.

2 - AschemädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt