45

605 74 17
                                    

Lily war schon ein wenig zu spät, als sie sich am Samstagmorgen auf den Weg hinunter in die Kerker machte. Sie wollten sich in Sevs Büro unterhalten und Lily konnte nicht leugnen, dass sie bereits etwas nervös war.

Auf den schmalen Treppen drängte sie sich an ein paar Slytherins vorbei, die zum Frühstück in der Großen Halle schlenderten. Sie warfen ihr misstrauische Blicke zu, Lily überprüfte mehrere Male, ob ein Fleck auf ihrer Bluse prangte, oder ihr noch Krümel in den Mundwinkeln hangen. Aber es war nichts dergleichen, die Blicke waren allein ihrem Auftauchen in den Herrschaftsgebieten der Slytherins geschuldet. Lily senkte ihren Kopf und ging weiter gegen den Strom.

„Miss Hollow", begrüßte Dumbledore sie mit ruhiger Stimme, Sev nickte ihr lediglich zu. Lily erwiderte seine Geste und schloss die Türe sachte hinter sich. Vollkommen selbstverständlich hatte Dumbledore auf Sev Stuhl hinter seinem Schreibtisch Platz genommen, er selbst stand direkt neben der Tür, die zu den Vorratsräumen führte.

Lily fragte sich, ob Sev das mit Absicht so geplant hatte, damit er für den Fall der Fälle einen Fluchtweg besaß. Sie verschränkte die Hände ineinander und widerstand dem Drang, die Knöchel knacken zu lassen. Stattdessen flackerte Lilys Blick unruhig zwischen Dumbledore und Sev hin und her. Die beiden sahen einander nicht an, trotzdem war der Raum zwischen ihnen von einer unterschwelligen Spannung gefüllt, dass es Lily in den Zehenspitzen kribbelte.

Dumbledore war enttäuscht.

Dieser Gedanke tauchte plötzlich in Lilys Kopf auf, in einer solchen Klarheit, dass sie erschrak. Dumbledore war enttäuscht von Sev.

Die Augen des Schulleiters blieben auf ihr ruhen, das durchdringende Blau seiner Iris bildete einen solchen Kontrast zu den dunklen Buchrücken und Möbeln aus schwarzem Ebenholz, dass sie Lily unecht vorkamen. Sevs hagere Gestalt dagegen verschwamm geradezu mit der Tür in seinem Rücken.

„Ich bin mir sicher, dass Ihr Vater sie bereits über den Grund meines Kommens aufgeklärt hat. Sehe ich das richtig?", fragte Dumbledore freundlich. Lily nickte vorsichtig und sah in den Augenwinkeln zu Sev hinüber. Aber ihr Vater blickte starr zur gegenüberliegenden Wand, seine Miene war ausdruckslos.

„Sir", begann Lily zögerlich und zwang sich dazu, tief durchzuatmen. Die Gestalt des Schulleiters war umgeben von einer Wolke aus Respekt. Einschüchternd, vielleicht sogar gerade weil man seine Macht und Stärke hinter dem silbrig glänzenden Bart nur erahnen konnte.

„Sir, wo genau liegt denn das Problem?" Lily runzelte die Stirn. „Ich glaube, ich hab das noch nicht ganz verstanden." Dumbledores Blick wurde weicher und glitt über die halbmondförmigen Gläser seiner Brille hinweg ins Leere.

„Hogwarts", Dumbledore stand auf und breitete seine Arme aus, so als sähe er Sevs Büro heute zum ersten Mal, „diese alten Schlossmauern bergen so viele Geheimnisse, dass es vermessen wäre zu behaupten, sie alle zu kennen. Selbst ich-", Dumbledore lächelte sanft und setzte sich wieder, „Selbst ich, der ich viele Jahre meines Lebens hier verbracht habe, kenne lediglich einen Bruchteil von ihnen."

„Aber Sie kennen den Verborgenen Raum am See", entfuhr es Lily plötzlich. Dumbledore sah sie überrascht an. „Tue ich das?" Lily zog die Augenbrauen zusammen. „Der Verborgene Raum am See war nie unser Geheimnis. Sev-" Sie sah zu ihrem Vater herüber, er senkte seinen Blick, schüttelte langsam den Kopf. „Du hast gesagt, er sei niemals unser Geheimnis gewesen, du hast gesagt Dumbledore-" Lily räusperte sich verlegen.

Professor Dumbledore", verbesserte sie sich hastig, „Du sagtest er wisse von dem Raum!" Einen Moment lang blieb es still. Lily hörte ihren eigenen Atem und die fernen Rufe eines Slytherin Jungen nach seiner Freundin. „Das habe ich nie gesagt, Lily", bemerkte Sev mit leiser Stimme. „Doch, du-", rechtfertigte sie sich, aber Sev fiel ihr ins Wort.

2 - AschemädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt