Das, in dem sie Julian wieder trifft

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Ein einziger Versuch sie zu küssen, hatte dazu geführt, dass Jules die Flucht angetreten hatte. Dieser Moment verfolgte sie. In ihren Gedanken spielte sie immer wieder durch, was hätte passieren können, wenn sie nicht einfach feige abgehauen wäre. Aber das würden immer nur Gedanken bleiben. Was-wäre-wenn-Szenarien malte sie sich vie zu häufig aus und am Ende entschied sie sich für den einfachsten Weg. So war ihr schon mehr als einmal eine einmalige Chance durch die Finger geglitten und am Ende bereute sie, dass sie so feige war.

Sie blies ihre Wangen auf und hielt die Luft an, ehe sie diese langsam aus den gespitzten Lippen entweichen ließ. Dieser tiefe Atemzug entspannte sie und brachte Luft in den Strom ihrer Gedanken. Sie wirbelten auseinander und gaben Platz für wichtigere Dinge, wie zum Beispiel ihre Hausarbeit. Nun hockte sie im Vorzimmer zum Büro von ihrem Professor und ihm würde sie gleich das magere Ergebnis ihrer Recherche vorlegen müssen. Schon jetzt war das schlechte Gewissen gewaltig und es wuchs mit jeder Sekunde, die verstrich. Ihre Gedanken huschte weg von möglichen Küssen mit Jungen oder verstrichenen Chancen – das nicht an der Hausarbeit arbeiten gehörte auch dazu -, sondern überlegte sich fadenscheinige Ausreden mit denen sie die fehlenden Informationen entschuldigen konnte. Zwar fand die Abgabe erst in einigen Wochen statt, doch Jules hätte sie lieber rechtzeitig beendet um sie Korrektur lesen zu lassen. Die letzte Woche, war nach dem Überfall von Eve im Cafe, alles andere als produktiv gewesen. Statt zu lernen, hatte sie auf der Couch gelegen, Filme geschaut oder gelesen. Viel zu schnell ließ sie sich entmutigen und ablenken und am Ende musste sie mit den Konsequenzen leben. In diesem Fall ein ernstes Gespräch mit dem Professor, der sie dafür schelten wird, dass sie kaum etwas zustande gebracht hat.

Die dunkle Holztür öffnete sich und Professor Breitenbach trat auf den Flur. Als er Jules entdeckte huschte ein sanftes Lächeln über den Lippen. Mit einem Kopfnicken deutete er an, dass sie eintreten sollte. Schnell klaubte sie ihre Tasche vom Boden und huschte an ihm vorbei ins Sprechzimmer. Sie krallte sich in ihre Tasche und blickte den Professor unsicher an. Er war ein begnadeter Pionier auf seinem Gebiet und wurde in Fachkreisen hoch gelobt. Langsam kam er jedoch in die Jahre und seine Kurse in diesem Semester waren die letzten, die er geben würde. Danach würde er sich seinen wohlverdienten Ruhestand gönnen. (Wobei sie bezweifelte, dass er tatenlos daheim sitzen würde.)

„Setzen Sie sich, Frau Sommer."

Jules am seiner Aufforderung nach und setzte sich auf den Holzstuhl, der vor seinem Schreibtisch stand. Sie mochte das Büro des alternden Professors. Es war gemütlich. Die Möbel passten nicht zusammen, gaben dem Raum aber eine persönliche Note. Besonders gefiel Jules der Blick, den sie nach draußen hatte. Eine riesige Kiefer wuchs im Garten hinter dem Fachschaftsgebäude und wenn man Glück hatte sah man Eichhörnchen über die Äste huschen.

„Wie geht es Ihnen?", fragte Professor Breitenbach und stützte seine Unterarme auf den Schreibtisch, der übersäht war mit Notizen, Briefen und anderen wichtig erscheinenden Unterlagen. Er faltete die Hände und sah sie durch seine runde Brille an.

„Gut... gut. Und Ihnen?", fragte sie mehr aus Höflichkeit, denn diese Zeitschinderei und die höflichen Floskeln, die sie austauschten, machte sie nur noch nervöser. „Sehr gut und ich hoffe, dass Sie meine Laune noch steigern können. Sie sind wegen der Hausarbeit hier?"

Jules nickte sachte. Diese Geste imitierte ihr Gegenüber und Jules kam der Aufforderung in seinem Blick nach. Sie öffnete ihre Tasche und zog ihr Notizbuch hervor. Langsam legte sie es auf den Tisch vor sich und schlug es auf. An der richtigen Stelle, strich sie über die Seiten, glättete sie und drehte es herum um es über den Schreibtisch zu schieben. Der Professor nahm das Buch, hob es auf und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Sein Blick huschte über die wenigen Notizen, die so etwas wie eine Gliederung darstellen sollten, aber doch nur heiße Luft waren.

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