Im Wald

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Hermine tastete beim Aufwachen nach Draco, doch fand nur einen leeren Platz neben sich. Sie stemmte sich auf die Ellenbogen und stöhnte genervt auf, als sie realisierte, dass er fort war. Fort ohne ein Wort oder eine Nachricht. Sie fragte sich, wieso sie das nicht überraschte. Er war gestern betrunken gewesen. Hatte ihr seine Liebe gestanden. Doch wie so oft, wusste sie nicht, ob sie ihm deswegen wirklich vertrauen konnte. Das einzige, was sie nach letzter Nacht wusste war, dass er sie nicht tot wissen wollte. Sein Gedicht war tatsächlich ein Zauberspruch, doch für sie nicht gefährlich. Sie suchte das Kissen und die Decke nach einer Nachricht ab, fand aber nichts. Er war wirklich einfach so gegangen. Sie kämpfte mit aufsteigenen Tränen. Ein einziges Mal hatte sie sich ein bedingungsloses und absolutes Bekenntnis zu ihr, zu dem wofür sie stand, gewünscht. Gleichzeitig wusste sie, dass es nicht so einfach sein konnte. Wo sollte er hin, wenn er sich von heute auf morgen von seiner Familie und allen Todessern abwenden würde? Er konnte schließlich schlecht in ihrem Zimmer im Haus ihrer Eltern Zuflucht finden.

Sie stand auf und versuchte den Rest des Tages nicht weiter über diesen Slytherin zu grübeln. Es war auch nicht so, als hätte sie nichts besseres zu tun gehabt. In ein paar Tagen würde sie zu den Weasleys in den Fuchsbau gehen. Zuerst würden sie Harrys Geburtstag und dann die Hochzeit von Bill und Fleur feiern. Sie würde das Nötigste dann bereits bei sich haben wollen. Deswegen durchkämmte sie ihr ganzes Zimmer nach allem, was auf der Suche nach Horkruxen nützlich sein könnte. Als sie nach ein paar Stunden ihre Auswahl betrachtete, musste sie sich eingestehen, dass es mehr als die Hälfte ihrer Besitztümer war. Jedes einzelne Buch, jede Rolle Pergament, die sie durch ihre Schulzeit begleiteten, außerdem ein paar private Bücher mit Landkarten und Allgemeinmedizin aus der Muggelwelt. Doch das sollte mithilfe ihres unaufspürbaren Ausdehnungszaubers kein Problem sein und so ließ sie alles in die Tiefen ihrer Perlenhandtasche gleiten.

Sie fragte sich, ob sie noch etwas Zeit mit ihren Eltern verbringen oder es kurz und schmerzlos machen sollte. Letztendlich entschied sie sich dafür nicht länger in ihrem zu Hause zu bleiben, es würde nur zu sehr schmerzen und nachher würde sie es sich noch anders überlegen und die Erinnerungen ihrer Eltern nicht löschen. Sie durfte jetzt nicht nur an sich denken.

So leise sie konnte, schlich sie die Treppen hinunter und fand ihre Eltern im Wohnzimmer. Es kostete sie alle Kraft, den Zauberstab auf sie zu richten. "Obliviate", flüsterte sie mit zitternder Stimme. Dann schlich sie aus dem Haus und machte sich auf den Weg in den Fuchsbau. Sie hatte das Gefühl, sich den Boden unter den Füßen weggerissen zu haben. Sie hatte von nun an kein offizielles zu Hause mehr, wo sie wie selbstverständlich empfangen werden würde. Bis Voldemort besiegt war, würde sie von nun an dahin gehen, wo Harry, Ron und sie Horkruxe vermuteten. Ihre zwei besten Freunde würden von nun an ihr einziges zu Hause sein und für einen Moment war sie zuversichtlich, das Richtige getan zu haben. Diese Zuversicht schenkte ihr neues Vertrauen, dass auch Draco das Richtige tun würde.


Vier Monate später

Hermine lief durch das Waldstück, in dem sie ihr Lager aufgeschlagen hatten, und sammelte Holz. Harry hatte sich angeboten, mitzusuchen, aber sie wollte lieber alleine sein. Die Stimmung unter den drei Freunden war am Nullpunkt angekommen. Sie schienen nur noch nebeneinander zu existieren und hatten sich wenig zu sagen. Aus Selbstschutz und irgendwie auch Routine wechselten sie alle paar Tage den Standort. Wenigstens so hatten sie das Gefühl in Bewegung zu sein, auch wenn sie in Wirklichkeit kein Stück weiterkamen. Sie hatten immer noch keine weiteren Horkruxe gefunden und wussten nicht, wie sie den einen überhaupt zerstören könnten. Je länger sie in der Luft hingen, desto mehr stellten sie einander infrage. Hermine konnte spüren, wie Ron wütend darauf war, dass Harry keinen Plan hatte. Er war außerdem wütend auf Hermine, weil sie mehr mit Harry sprach, als mit ihm. Hermine war andersherum wütend auf Ron, weil sie seine missmutige Art nicht mehr aushielt. Sie vermutete, dass Harry ebenfalls deswegen Ron aus dem Weg ging und darüber hinaus noch sauer auf Dumbledore war,  der ihn in diesem Scherbenhaufen zurückgelassen hatte. So wie Hermine Harry kannte, war er wahrscheinlich zu allem Überfluss auch noch wütend auf sich selbst. All die Jahre war er der Auserwählte, der Junge der Überlebte. Er hatte nie darum gebeten und selber gesagt, dass er die meiste Zeit nicht wusste, was er tat und fast immer Hilfe hatte. Jetzt stand er hier und musste sich vor seinen eigenen Freunden erklären, warum sie nicht weiterkamen. Hermine hasste sich dafür, dass es so gekommen ist. Sie war ratlos darüber, was sie dagegen tun könnte. Also ging sie lieber alleine Holz sammeln.

Das leise knacken eines Zweiges riss sie aus ihren trüben Gedanken. Sie schaute sich nicht um, da sie davon ausging, Harry wäre ihr gefolgt. Sie wollte ihm schon genervt sagen, dass sie das schon alleine schaffen würde, als sie plötzlich Stimmen vernahm. Sie zuckte zusammen und sah sich hektisch um. Ein paar Meter vor ihr, direkt vor der Schutzbarriere, tauchten auf einmal zwei Gestalten auf. Sie trugen lange dunkle Mäntel.

Hermine wusste, sie würden sie nicht sehen und wahrscheinlich auch nicht hören können. Trotzdem drückte sie die gesammelten Äste fest an ihre Brust und traute sich nicht, sich zu bewegen.

"Die nächsten, die wir kriegen werde ich zum Ministerium bringen!", sagte ein großer junger Zauberer. "Es kann nicht sein, dass wir die ganze Arbeit machen und du die Belohnung bekommst."

"Wieso gehst du zum Ministerium?", fragte ein anderer, kleinerer, aufgebracht. "Wir alle machen unsere Arbeit, wir sollten alle dafür belohnt werden."

"Hört auf zu streiten" Da erst bemerkte Hermine eine dritte Gestalt, die hinter einen Baum hervorkam. Ihr stockte der Atem, als sie die hellblonden Haare erblickte. Er drehte sich in ihre Richtung und überholte die anderen beiden.

"Draco", flüstere Hermine kaum hörbar.

"Ihr kriegt jedes Mal eure Belohnung. Ich behalte meinen Teil nie, also beruhigt euch. Ich habe genug Geld und es nicht nötig euch zu bestehlen", sagte er streng.

Hermine betrachtete ihn. Er war nur noch wenige Schritte von ihr entfernt. Er schien dünner geworden zu sein und unter seinen Augen lagen dunkle Schatten.

"Dann versuchst du also dem Dunklem Lord wieder zu gefallen?", fragte der Große höhnisch. "Viel Glück dabei."

Kurz bevor er auf Hermine gestoßen wäre, blieb er stehen und drehte sich um. Sie nutze die Chance und trat so vorsichtig sie konnte zur Seite. 

"Pass auf, was du sagst", sagte Draco und zog seinen Zauberstab.

"Du hast vielleicht das dunkle Mal", sagte der Große "aber ich habe keine Angst vor dir!" Er zog ebenfalls seinen Zauberstab. "Du und deine Familie mögt immer noch zu seinen engsten Anhängern gehören, aber du musst doch langsam selber bemerkt haben, dass euch niemand mehr ernst nimmt." Er lachte und der andere lachten auf.

Ohne ein Wort zu sagen, schleuderte Draco den beiden einen Fluch entgegen, der sie vom Boden riss und ein paar Meter durch den Wald fegte. "Was meine Familie und ich mit dem Dunklen Lord zu tun haben und was nicht, hat euch nicht zu interessieren."

"Weil es da nichts gibt?", fragte der Große als er wieder aufstand.

Draco trat einen Schritt in seine Richtung und schob den Ärmel hoch. "Möchtest du ihn vielleicht selber fragen?"

Hermine wurde heiß und kalt. Sie sah sich um und überlegte angestrengt, in welche Richtung sie gleich fliehen sollte.

Dracos Begleiter antworteten nicht und gingen trotzig weiter. Auch Draco drehte sich wieder um und ging an Hermine vorbei. Sie atmete erleichtert aus und schloss kurz die Augen. Doch plötzlich blieb er stehen. Hermine starrte ihn an. Er blickte über seine Schulter in ihre Richtung. Sie meinte in seinen Augen für einen Momente etwas aufblitzen zu sehen, doch da drehte er sich schon wieder um und folgte den anderen beiden.


Hassliebe - DramioneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt