x10 Schokolade 10x

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Innerlich verdrehte Tim seine Augen. Sein bester Freund konnte gut lügen, aber Gefühle vorspielen war noch nie seine Stärke. „Freut mich für euch.", lächelte Tim gequält und blickte seinen besten Freund wissend an. „Besonders für dich, Stegi, weil du endlich deine große Liebe gefunden hast." „Danke, Timmi." Angesprochener nickte betroffen, sah auf den Boden und hörte der Flamme seines besten Freundes gar nicht mehr zu, als sie anfing von ihrem Kennenlernen und ihrem ersten Date zu schwärmen. Wobei Schwärmen kein richtiger Ausdruck dafür war - sie redete einfach nur aufgeregt davon, wie teure Sachen ihr ihr Freund gekauft hatte und wie teuer das Restaurant war, in dem sie gegessen hatten. Tim packten langsam die Zweifel. Vielleicht liebte er dieses Mädchen wirklich. Mit Tim hatte er immer nur bei ihm daheim Pizza bestellt, sich die Rechnung geteilt und sich unnötige, aber irgendwie auch lustige Dinge zu irgendwelchen Feiertagen gekauft. Vielleicht war das nicht das Leben, welches sich der Blonde vorgestellt hatte, und vielleicht konnte genau aus dem Grund nichts aus den Beiden werden, einfach weil Stegi sich nach seriösen Dates und Geschenken sehnte - auch wenn er sich für dieses Mädchen pleite kaufen würde und nur Kratzspuren zurück bekam. Wenn es das war, was Stegi wollte - gerne. „Ich muss los, Stegi.", brummte er genervt und endlich verstummte die hohe Stimme seiner Freundin. „Okay... wir sehen uns denk ich irgendwann wieder?", hauchte der Kleine, wollte seinen besten Freund in den Arm nehmen, dieser jedoch ließ dies nicht zu, verschwand einfach. So wie er es in letzter Zeit immer öfter getan hatte; er war zum Fluchttier geworden.

Noch im Bus hatte er Tobi und Rafael geschrieben, was passiert war und deshalb standen nun zwei seiner besten Freunde vor seiner Tür, wartend, dass er kam und mit ihnen sprach. „Hey.", lächelten beide und legten ihm tröstlich eine Hand auf den Rücken, als sie seinen bedrückten Gesichtsausdruck sahen.

In der Wohnung angekommen, bewaffnet mit Schokolade – die natürlich Tobi mitgebracht hatte – lagen sie, quer und ineinander verschlungen, auf der Couch. Tim hatte natürlich schon alles geschildert und nun bestand Rafael darauf, dass sie Stegi anriefen und ihn zur Rede stellten. „Das will ich nicht. Es ist so unnötig, Ihr kennt ihn doch.", seufzte Tim und nahm sich ein Stück Schokolade, ehe er es in seinem Mund verschwinden ließ. „Aber er kann doch nicht so mit dir umgehen und außerdem ist dieses Mädchen eh nur hinter seinem Geld her.", antwortete Tobi und nun stieg auch Rafael mit in das Gespräch ein. Er hatte sich die ganze Zeit zurückgehalten und seinem besten Freund zugesehen, wie er Tim getröstet hatte. „Er hat kein Geld, weil er studiert und lässt sich von Tim versorgen." Tim widersprach. Nach außen hin sah es zwar so aus, dass er Stegi versorgte und sich um ihn kümmerte, aber eigentlich gingen sie nur zusammen einkaufen, weil es alleine nicht so lustig war und eigentlich machte Tim seine Wäsche nur, weil der Blonde keine Waschmaschine besaß, noch sie in irgendeiner Weise bedienen konnte. Trotz allem war der Basketballspieler davon überzeugt, dass er Stegi nicht versorgte. „Er lässt sich nicht von mir bemuttern, Rafael! Bekochen ja, aber nicht bemuttern!" Der Angesprochene konnte nur mit den Augen rollen. Es lag so was von auf Hand, aber wenn Tim sich etwas eingeredet hatte, konnte man ihn nicht mehr so schnell davon abbringen. Einmal, als die drei noch kleiner waren, hatte der Braunhaarige den Plan, das Mädchen aus der Parallelkindergartengruppe aufzureißen. Sie ließ niemanden der Jungs an sich ran, aber Tim hatte nie aufgegeben. Weder in dem letzten Jahr des Kindergartens, noch in seinen vier Grundschuljahren. Sogar auf dem Gymnasium waren die beiden in einer Klasse. Tim konnte sich glücklich schätzen, denn nach neun Jahre, denen er diesem Mädchen den Hof gemacht und sie auf Händen getragen hatte, sagte sie zu, als er sie auf ein Date eingeladen hatte. Am Ende hatte sich herausgestellt, dass sie auf Frauen stand, was Tim eigentlich nicht sonderlich überrascht hatte, wenn er einmal kurz über ihr Verhalten nachgedacht hatte. Immer noch waren Carolina und er gute Freunde, auch wenn sie sich kaum sahen.

Eine Weile verging, in denen sich Tobias und Tim mit Schokolade vollgestopft hatten und nun darauf warteten, dass ihr Freund von dem Einkauf beim Supermarkt um die Ecke wieder zurück kam. Die Süßigkeit hatte es nicht wirklich lange überlebt, wie sollte sie denn auch, wenn nur eine Tafel für zwei deprimierte Münder da war. So hatte sich Rafael – mehr oder weniger freiwillig – dazu bereit erklärt Nachschub zu holen. Geschlagene Stunden lagen die beiden schon auf der Couch, unterhielten sich nicht, kuschelten aber und das war der Zeitpunkt, in dem Tim wieder bewusst wurde, dass er seinen blonden, kleinen Jungen vermisste. Und er merkte auch, dass er ihn sofort bei sich wollte. Schnell griff er nach seinem Handy. Vier verpasste Anrufe. Alle von Stegi.

Er musste sich mit dem Gedanken auseinandersetzen, dass Stegi vielleicht wirklich etwas an diesem Mädchen lag. Sie war zwar dumm wie Stroh und Tim konnte nicht wirklich nachvollziehen, wie sie es schaffte, das was er studierte, ebenfalls zu studieren. Er tat sich schon unglaublich schwer und sie musste wahrscheinlich mit den Professoren schlafen, damit sie halbwegs vernünftige Punkte bekam. Weiter konnte er sich mit diesen wirklich ekelhaften Gedanken nicht auseinandersetzen, da sein Handy klingelte. Schneller als er selbst reagieren konnte, war Tobi aufgesprungen. Eigentlich war Tim davon überzeugt, dass er auf seinem Schoß schlief, aber dieser Junge steckte voller Überraschungen. Grinsend lehnte er sich zurück, schloss für einen Moment müde die Augen. Sie brannten förmlich und waren trocken, angenehm war anders, deshalb hielt er sie zu und lauschte dem – anscheinend sehr aufregenden – Gespräch von seinem Freund. Er vertraute Tobias und Rafael blind, deshalb ließ er sie auch oft an sein Handy. Zu verstecken hatte er ja nichts und etwas interessantes konnte man dort auch nicht finden. Zumindest fand der Braunhaarige das. „Ja. Ja, er ist hier. Okay- ja, du kannst ihn sprechen. Gut." Tim konnte nicht wirklich heraushören mit wem sein Gegenüber, der immer noch auf seinem Schoß saß, redete, aber als er sein Handy ans Ohr gedrückt bekam, merkte er, dass es der Blondschopf war, der ihn sprechen wollte. „Tim hier.", meldete Tim sich, tat auf unwissend. „Hey, ich bin's. Stegi." Etwas zurückhaltend, nicht so offen wie immer, antwortete der Kleine. Er musste sich wirklich zurückhalten nicht zu weinen, das hörte der Basketballspieler. Sie kannten sich ja schließlich bis auf die Knochen und irgendwie noch mehr. Wenn man die beiden übereinander ausfragen würde, könnten sie ohne zu zögern total lässig antworten. Stegi würde wahrscheinlich sagen, würde man ihn fragen, was Tim am Liebsten macht, antworten, dass er „eigentlich am liebsten Stegi verwöhnt und sich um ihn kümmert." Dann würde der Blonde lachen und ehrlich antworten. Ohne zu grinsen, ohne in irgendeiner Weise nicht ernst zu wirken. „Er liebt das Basketballspielen. Es ist seine Leidenschaft und sein Hobby, leider hat er kaum Zeit dafür." Stegi würde eine kurze Pause machen und dann wieder so werden wie er war. „Er hat so wenig Zeit dafür, weil er immer aufpassen muss, dass ich nicht vom Klettergerüst falle."

Tim war nicht sicher, aber oft dachte er, dass die beiden gegenseitig ihre Gedanken lesen konnten. Gerade war wieder einer dieser Momente. „Weißt du noch, Tim?", begann nun der Blonde, als er gemerkt hatte, dass sein bester Freund – wenn er ihn denn noch so nennen durfte, Tim war ziemlich sauer gewesen – in Gedanken war. „Als ich einmal vom Klettergerüst gefallen war und mir den Arm gebrochen habe? Das war ungefähr vor vier Jahre. Ich wollte unbedingt wieder auf dieses Ding hoch, aber du hast mich nicht gelassen. Du kamst mit dem Argument, dass du 18 und somit älter bist. Schlussendlich hatte ich dich dann noch überreden können und als ich oben war hast du auf mich aufgepasst." Tim konnte sich noch genau daran erinnern. Sein Freund war 17 und er selbst gerade frisch 18 geworden. Alles war kalt und vereist, aber Stegi wollte unbedingt auf das Gerüst. Das Ende davon war dann, dass der Blonde einen gebrochenen Arm, einen verstauchten Knöchel und ziemlich viele und schmerzende Beulen, überall auf dem Kopf verteilt, hatte. Der Blonde fand das ziemlich lustig, aber Tim selbst war in diesem Moment zu heulen zu Mute – er hatte wirklich Angst um seinen Freund gehabt.

„Natürlich, wie könnte ich das vergessen? Wir waren Stunden lang im Krankenhaus und haben gewartet. Ich war nervöser als du und das muss was heißen." Stegi wusste, dass Tim oft diese Momente hatte, in denen er einfach ins Nichts starrte und auch nicht ansprechbar war, aber er wusste ebenfalls, wie er mit so einem Moment umgehen musste. Er musste einfach nur reden. Über ein paar Dinge aus ihrer Vergangenheit, so konnte er Tim helfen aus dieser Verfassung auszutreten und seine Gedankengänge wieder kontrollieren zu können. Niemand wusste woran das lag, aber Stegi kam damit gut zurecht, Tobi und Rafael ebenfalls und Tim schien das gar nicht aufzufallen. „Also-", fing der Blonde wieder an. „Ich muss mich entschuldigen, Tim. Ich war so gemein und unfair zu dir. Es tut mir leid. Und ja, ja ich weiß, dass du mich mehr magst, als du es immer sagst und ich weiß-" Mitten in seinem Satz brach er ab. Man konnte ein Rascheln hören, dann leise Stimmen und schon war er wieder da. „Also, was ich sagen wollte, war, dass ich alles wieder gut machen will und dich... auch mehr mag, als zugegeben."

Sad Story | StexpertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt