x11 Spucke 11x

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„Du liebst mich?", fragte der Braunhaarige ungläubig, verstand auch nicht ganz, ob er das Geständnis glauben oder eher darüber lachen sollte. Auch Tobi schien nun noch interessierter zu sein, als noch vor ein paar Minuten. Er interessierte sich immer für alles mehr als er sollte, aber das war okay. So konnten sich seine besten Freunde – ohne viel Kontakt mit anderen Leuten zu knüpfen – auch an dem aktuellen Klatsch und Tratsch beteiligen. „Ja, Tim. Ich liebe dich. Ich liebe dich mehr als mein eigenes Leben und viel mehr als alles andere auf der Welt und-" „Ist schon gut, Kleiner. Ich hab es verstanden. Ich liebe dich auch."

Nun, beiden war klar, dass sie nie wieder in ihrem Leben so glücklich sein würden, aber eine Woche später, als sie zusammen auf dem Weg in eine Kneipe waren, ahnte Rafael schon, dass irgendwas nicht mit rechten Dingen zugehen würde. Stegi und Tim hatten sich geeinigt, dass sie ihre Beziehung – die in dieser kurzen Zeit mehr als einen Streit und dafür umso weniger Küsse überstanden hatte – vorerst geheim halten wollten, bis die Mutter des Blonden aus dem Urlaub kommen würde. Jeder aus seiner Familie mochte Tim, aber ganz besonders seine Mutter, auch die Schwester von Stegi mochte den Braunhaarigen, aber nur, weil sie schon längere Zeit ein Auge auf diesen geworfen hatte, aber immer wieder abgewiesen wurde. Wir Menschen waren einfach so. Jeden den wir haben wollen, bekommen wir nicht und wollen ihn deshalb noch mehr. Bei Tim war das nie so gewesen, dachte er zumindest, aber sein erster Liebeskummer hatte viele Opfer in Form von Taschentüchern und Schokolade gebracht. Sicher einen Monat lang hatte er – immer wenn er von der Schule gekommen war und einen Abstecher zum Supermarkt seines Vertrauens gemacht hatte – sich in seinem Bett verkrochen und Schokolade in sich geschlungen, bis er sich mehrere Male übergeben musste und dachte, dass der Liebeskummer (Inklusive sein Herz) aus ihm verschwinden würde. Dementsprechend scheiße sah er dann auch aus.

Als die vier Freunde ihre Stammkneipe betreten und schon ein paar Biere zu sich genommen hatten (Stegi war schon so betrunken, dass er kaum laufen konnte und das von fünf Bier. Sein Vater musste mehr als stolz auf seinen Sohn sein ), passierte das, was sich jeder normal sterbliche Wochen vorher schon hätten ausmalen können: Stegi taumelte auf eine Frau zu – vielleicht zwei Jahre älter als er, was ziemlich untypisch für ihn war. Denn normalerweise waren die Frauen vier Jahre jünger als er, damit er sie versauen konnte. Sie unterhielten sich kurz, verschwanden dann und ließen sich für eine lange Zeit nicht mehr blicken. Tim war natürlich aufgefallen, dass sein Freund fehlte und er wusste auch, dass er sich eine Frau gesucht hatte, mit der er kurz seinen Spaß haben konnte. Innerlich herrschte ein Sturm, äußerlich jedoch blieb er ruhig, trank ein Getränk nach dem anderen und sah schon mehr als sechs Barkeeper, die wirres Zeug redeten und irgendwie besorgt wirkten. Jedoch dachte sich der Große nichts dabei und stand auf, lief – taumelte traf es besser, da er mehr als nur eine Person anrempelte und auch ein paar zu Boden riss, weil er sich nicht halten konnte. Kurzzeitig stellte er sich auch die Frage, ob er plötzlich auf einem Boot gelandet war, weil alles so ungesund schwankte. Verwarf diesen Gedanken aber sehr schnell wieder, als ihm die auf einmal so klar wirkende Luft ins Gesicht schlug. Fröstelnd zog er seine Jeansjacke fester um sich und starrte auf die kaum befahrene Straße. Die Stadt war schön bei Nacht, wie die Lichter der anderen Clubs, oder die der Unternehmen in verschiedensten Farben leuchteten und die Straßenlaternen ihr gelblich wirkendes Licht auf den kalten Asphalt warfen. Zufrieden atmete er die Luft aus, die sich zuvor mit Rauch und Schweiß gemischt hatte. Hinter ihm konnte er laute Stimmen wahrnehmen. Sicherlich stritt sich wieder ein Paar um die Rechnung der Getränke. So etwas kam öfter vor und Tim wusste, dass am Ende der Mann bezahlen würde, dafür musste er sich nicht einmal umdrehen. Als die Stimmen dann aber lauter wurden, drehte er sich automatisch um und schon landete eine Faust in seinem Gesicht. Ihm war gar nicht bewusst, wie ihm geschah. Erst, als er angeschrien wurde, merkte er wie sehr seine Nase schmerzte. „Du hast meiner Freundin das Kleid ruiniert, du Arschloch!" Dem Braunhaarigen war gar nicht bewusst, wie ihm geschah, dennoch schlug er zurück, kassierte dafür aber auch ein paar Schläge. Natürlich schlug er sich nicht oft, aber als er noch nicht zur Uni ging, hatte er sich mit ein paar Freunden zum Spaß geschlagen. Immer Freitags in der Bibliothek, wenn nur noch die Streber da waren, die sich nicht trauten einen Lehrer zu rufen und nach einem halben Jahr sogar Spaß daran gefunden hatte, Tim anzufeuern, weil er immer gewann. Auch ein paar Kämpfe waren ernst, aber diese waren eher seltener.

Tim saß auf dem Mann, der ihn angegriffen hatte, schlug auf ihn ein und revanchierte sich für den schmerzenden Arm, die gebrochene Nase, das Veilchen am linken Auge und die aufgeplatzte Haut an ein paar Stellen im Gesicht. Außerdem benutzte er den jungen Mann, um seinen Freund, der ihn betrogen hatte, zu vergessen oder zumindest seine Wut aus sich heraus zu prügeln. „Sie sah in dem Kleid sowieso total scheiße aus!" Er hatte sie nicht gesehen, aber dieser Satz hatte sich selbstständig gemacht. Er war einfach aus seinem Mund gekommen, ebenso wie die Spucke, als jemand seine Hand auf seine angespannte Schulter legte und anscheinend beruhigend auf ihn einreden wollte. „Spinnst du?!", fauchte nun eine ihm bekannte Stimme und er wurde von dem schon fast bewusstlosen Mann gezogen. Sofort kümmerte man sich um ihn und das Mädchen, das einen großen nassen Fleck auf ihrem lachsfarbenen – zumindest sah es aus diesem Blickwinkel, der Dunkelheit und zwei angeschwollenen Augen so aus – Kleid hatte, stürzte weinend zu ihrem Freund. „Du kannst dich doch nicht einfach mit einem Kerl prügeln der viel größer ist als du!" Rafael hatte sich vor Tim gestellt. Müde lag er in der Bank und konnte nur schwer seine Augen offen halten. Und trotz der Schmerzen durchzog ihn ein Glücksgefühl, sodass er lächeln musste. „Doch. Außerdem hast du gesehen, wie ich den Schlappschwanz fertig gemacht habe. Hätte er noch reden können, hätte er nach seiner kleinen Schlampenmama gerufen!", grinste der Braunhaarige und erntete dafür nur ein Kopfschütteln. „Und das mit Stegi? Du betrinkst dich, prügelst dich und spuckst dann auch noch deinem Freund ins Gesicht, nur weil er dir helfen will?" Tim wusste nicht so recht wieso, aber ein breites Grinsen stahl sich in sein Gesicht. Er hatte Stegi angespuckt, weil er sauer war. Und eigentlich hatte er es verdient, so wie der Blonde mit ihm umgegangen war, war es nur das gute Recht des Basketballspielers, seinem Freund ins Gesicht zu spucken. Stegi stand neben Tobi, etwas abseits, aber dennoch immer in Reichweite. Er weinte sich an der Schulter seines Freundes die Augen aus und beobachtete Tim, wie er total benommen und so gar nicht wissend, was er da gerade getan hatte, vor sich starrte und grinste. Der Blonde war erst vor ein paar Minuten wieder zur Bar gekommen und hatte Tim gesehen, wie er sich mit einem, anscheinend ebenso betrunkenen Kerl, geschlagen und wenn der Blonde Rafael und Tobi nicht geholt hätte, wäre der Mann von Tims Fäusten totgeschlagen worden. Ein weiterer Schauer lief dem Kleinen über den Rücken und weitere Vorwürfe setzten sich in seinem Kopf fest. Er wusste, dass er Tim betrogen hatte, aber er wusste auch, dass Tim niemals davon erfahren würde. Er wollte nicht, dass Tim ihm weh tat, nicht so wie dem anderen Mann, der schon längst mit einem Taxi ins Krankenhaus gebracht wurde. Natürlich fühlte sich der Blonde erniedrigt, weil ihn sein Freund angespuckt hatte, aber sicherlich war das nur aus Versehen, so hoffte er.

Sad Story | StexpertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt