Tims Hose blutete stark, viele Schrammen zeichneten sein Gesicht und ließen seine eigentlich weichen Gesichtszüge markant und scharf wirken. Die schmerzenden blauen Flecken ließen ihn zurück in die Realität kommen und so fing er an zu wimmern, zu schreien und sich unter den Blicken der Schauwütigen zu winden. Ihm wurde kotzübel und immer wieder hatte er das Gefühl sich übergeben zu müssen. Stegi machte sich Sorgen um seinen Freund, normalerweise prügelte sich dieser nicht, schon gar nicht im betrunkenen Zustand. Er hatte ihn als loyalen, verständnisvollen und überaus freundlichen Menschen kennengelernt und auch erlebt. Natürlich wusste er, dass sich sein Freund zum Spaß öfter mit alten Freunden geprügelt hatte, wobei es eher kleine Keilereien waren und nichts wirklich ernst zu nehmendes. Der Blonde hielt nie viel von dieser kuriosen Beschäftigung und wollte damit auch nie etwas zu tun haben, aber gerade war er wirklich froh, dass Tim dieses Training absolviert und seine Freizeit damit verbracht hatte, sich auf dem Boden der Bibliothek zu prügeln. Er wollte sich gar nicht ausmalen, was alles hätte passiert sein können, wenn Tim der gewesen wäre, der sich auf dem kalten und überaus nassen Asphaltboden gelegen hatte und regungslos vor sich hin gewimmert hätte. Auch die Tatsache, dass niemand die Polizei gerufen hatte, weil Tobias so gut geschlichtet und die Freundin des Mannes, den Tim bis zur Bewusstlosigkeit geschlagen hatte, deshalb von einer Anzeige absah. Ohne ihn würde der Braunhaarige seinen Rausch auf der Wache und nicht wie gewohnt in seinem weichen Bett, ausschlafen müssen. Stegi wusste nicht genau, wie eine Zelle von innen aussah, aber er war sich sicher, dass weder er noch Tim jemals in den Genuss einer solchen Behausung kommen wollten. Der Blondhaarige saß neben seinem Freund und beobachtete ihn in seinem unruhigen Schlaf. Etwas bedrückt hielt er die Teetasse in der Hand, die er Tim gemacht hatte, weil er dachte, dass dieser wegen seinen Schmerzen noch etwas wach sein würde, aber nun lag das Gefäß unsicher zwischen seinen Fingern und wusste nicht genau, ob es besser wäre, wenn es jetzt in einzelne Teile zerspringen sollte, damit sein Halter etwas zu tun hatte und nicht immer über den Henkel strich. Sanft, damit Stegi Tim nicht weckte, strich er ihm eine verschwitzte Haarsträhne aus dem Gesicht. Vielleicht kitzelte es ihn irgendwann und er würde davon aufwachen, dachte der Kleine und nippte an seinem Tee, der eigentlich für Tim bestimmt war. Es tat ihm leid, was er getan hatte, aber es war für diesen Moment einfach nur beruhigend und befreiend, zu wissen, dass er auch mit einer Frau schlafen konnte, ohne Problemen zu haben. Unsicher, ob er sich jetzt einfach aus dem Staub machen sollte, spielte er zugleich mit dem Gedanken, Tim alles zu gestehen, von seiner Familie, über seine Freundin und den One-Night-Stand. Irgendwie war von Anfang an klar, dass so etwas passieren würde. Man hätte es vermeiden können, denn Stegi zog das Böse wie ein Magnet an sich, und Tim war auch nicht gerade vom Glück verfolgt. Vielleicht war auch das der Grund, dass sie kaum Freunde hatten und nur sich und die beiden Anderen hatten.
Als der Braunhaarige am nächsten Morgen aufwachte, konnte er kaum selbstständig laufen und hielt sich deshalb an der einen Seite an Rafael und an der Wand zur anderen Seite fest. Sein Kopf schmerzte höllisch und seine Augen waren trocken, gereizt und brannten. Allgemein war seine Grundstimmung tiefer als der normale – und wahrscheinlich auch gesunde Pegel an schlechter Laune. Natürlich konnte er sich an alles erinnern und auch die Tatsache, dass Stegi ihn betrogen hatte, war auch nicht vergessen. Am Frühstückstisch, den Tobias liebevoll gedeckt hatte, herrschte Totenstille. Es war so, als hätten sie sich alle gegenseitig zu verschweigen, dass sie die Familie ihres Gegenüber umgebracht, die kleine Schwester (die Jüngste war 15) vergewaltigt und sie dann wie im Mittelalter an die Raben verfüttert hatten. Der sonst so gesprächige Tobi hielt seinen Mund und versuchte seinen Kater durch Schweigen zu ersticken, was, wenn man von den Wundern ausging, die tagtäglich passierten, gar nicht mal so abwegig war. Unzufrieden trank der Größte aus seiner Tasse, ließ sie mit einem lauten Knall auf den Boden fallen und stand auf. Sein Atem ging unregelmäßig, dennoch atmete er tief ein und aus. „Hat es Spaß gemacht sie zu ficken?!", keifte er nun und schnappte sich das Messer, welches eigentlich dazu da war den dicken, geräucherten Schinken in Streifen zu schneiden und ließ es durch seine Finger gleiten. Es sah so routiniert aus und machte Stegi Angst, denn er konnte in Tims Gesichtsausdruck sehen, wie er mit dem Gedanken spielte, sich auf den Kleinen zu stürzen und ihm bei lebendigem Leibe das schlagende Herz aus der Brust zu schneiden, damit er wusste, wie es sich anfühlte, Liebeskummer zu haben. Tim fand, dass es angebracht war, die Anderen hingegen reagierten schnell und so lang der Braunhaarige wenig später, mit dem Brustkorb gegen die kalten Fließen gedrückt, auf dem Boden. Das Messer schliderte mit einem unerträglich lauten Geräusch auf die andere Seite der Küche.
„Sag mal, spinnst du jetzt völlig?"
Tim war gar nicht bewusst geworden, was er versucht hatte und versuchte sich unter dem starken Griff seines Freundes zu bewegen. Seine Kopfschmerzen, die er bis eben total verdrängt hatten, kamen zurück und zügelten ihn so weit, dass er nachgab und sich mit dem nackten Gesicht auf den Boden fallen ließ. Und Stegi wurde ebenfalls bewusst – viel zu spät, wenn man das mal so sagen darf – dass er umgekommen wäre, hätte Rafael Tim nicht rechtzeitig festgehalten. Wenn die beiden alleine gewesen wären, hätte er sicher einige Stichwunden abbekommen, aber sein Freund hätte ihn niemals töten können, oder? Wieder einmal wurde ihm klar, dass es nur so hätte kommen können, irgendwann wäre der Tag gekommen, an dem Tim seine Kontrolle verloren hätte und ihn mindestens angeschrien hätte. In Tim staute sich Wut, er versuchte sie los zu werden, das Gefühl in seinem Mund und das Seil, das sich wie eine Schlange um seinen Hals legte und langsam zu zog. Unwillkürlich fing er an zu zittern, konnte sich kaum mehr ruhig halten und schnappte nach Luft, was sein Freund als Anlass nahm und ihn auf die Knie zog. Er hatte genug, vielleicht half es, sich zu öffnen und seiner Wut freien Lauf zu lassen, damit dieses erdrückende Gefühl verschwand.
„Du bist eine Hure!", schrie dieser nun, als er sich aus dem starken Griff Rafaels befreit hatte und aufgestanden war. „Was? Du weißt nicht, was du redest!" Stegi klang verzweifelt, auch ein Stück Angst schwang mit diesem Satz durch den Raum und verpasste Tim eine Gänsehaut. Vielleicht hatte Tim wirklich mitbekommen, wie Stegi die Bar – Hand in Hand – mit dem Mädchen verlassen hatte und eine geschlagene Stunde mit zerzausten Haaren – geschmückt mit Dreck, der sich wie ein Blumenkranz um seine Haare geflochten hatte – wieder zu ihnen gestoßen war.
„Ich hab' dich doch mit ihr gesehen! Tu nicht so als wärst du der scheinheilige kleine Junge, der bist du nämlich schon lange nicht mehr!"
Tim konnte kaum atmen, so laut hatte er geschrien und so brauchte er einen Moment, um den reuevollen Blick seines Gegenübers zu sehen. Dieser jedoch berührte ihn nicht, kein Stück. Es war so, als hätte Tim noch nie etwas für Stegi übrig gehabt. Tobi, der die ganze Zeit daneben stand und nach einer Lösung für das Unlösbare zu suchte, wusste nicht genau ob es am Restalkohol des Braunhaarigen lag, dass er so aggressiv war, oder ob es daran lag, dass dieser wirklich aufbrausend war. Niemand kannte ihn so, und eigentlich hatte auch niemand vor gehabt, ihn so kennenzulernen, denn dieser Tim war wirklich alles andere als ein entspannter Spielkamerade. Es war allerdings auch sehr verstörend und angsteinflößend, so wie Tim vor seinem Freund stand und Stegi ängstlich beobachtete, wie sich seine Brust unregelmäßig und viel zu schnell hob und senkte. Der Blonde traute sich gar nicht seinem Freund in die Augen zu sehen, zu viel Angst hatte er die Emotionen erkennen und deuten zu können.
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Sad Story | Stexpert
FanfictionStexpert. Stegi und Tim sind beste Freunde. Aber was passiert, wenn Stegi sich in seinen besten Freund verliebt? Was wenn Tim das Gleiche fühlt? Was, wenn einer der Beiden nicht damit klar kommt, dass er schwul ist?