Flucht

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Die Hufe des Rappen trommelten über die Zugbrücke der Festung. Sie musste weg, nur weg von hier. Sie konnte es einfach nicht glauben, dass Vater sie mit diesem Scheusal von Ritter verheiraten wollte. Nein, sie würde sich lieber von von der Falkenwand unterhalb der Festung stürzen, als diesen Reinald von Teck!

„Johanna! Bleibt stehen!", hörte sie die Stimmen der Torwachen hinter sich rufen. Nein, es war wohl besser, wenn sie eine Weile Abstand zu ihren Eltern hatte. Vielleicht würden sie es sich dann nocheinmal überlegen.

In vollem Galopp preschte sie den steilen Weg hinab ins Tal. Falkenstein, ihre Heimat lag auf einer hohen Felszunge, sodass man von der Festung jeden Feind schon in Weiter Ferne erkennen konnte. Die Festung war vor gut hundertfünfzig Jahren vom ersten König der Ottmark als letztes Bollwerk erbaut worden, und immer wieder vergrößert und erweitert worden.

Als sie den Fuß der Anhöhe erreicht hatte, blickte sie zurück zur Festung, die sich dort oben auf dem Felsen erhob. Hinter den Dächern der Türme erhoben sich die riesigen Gipfel der Berge, die das Tal umrahmten.

Auf dem Torhaus konnte sie die Silhouette von meheren Personen, die zu ihr hinabblickten. Bestimmt stand ihr Vater nun wuttobend dort oben. Bald würde er einen Trupp zusammenstellen, um sie zu verfolgen. Sie musste schnell weiter.

Sie wandte sich der Burg ab und ritt weiter. Sie folgte dem Weg, der an einem schmalen Bachlauf verlief. Nach einer Weile bog der Weg nach rechts in den Wald ab, von dieser Stelle brauchte man eine gute Stunde bis Büttelbronn, dem nächstgelegenen Dorf in der Gegend, wenn man zu Fuß unterwegs war.

Früher war sie oft mit ihrem Vater hier draußen gewesen, als kleines Mädchen hatte sie gerne Verstecken im Wald gespielt. Sie hatte sich immer versteckt, während ihr Vater oder einer der Wachmänner sie suchen musste. Damals war die Welt noch in Ordnung gewesen. Nun stritt sie sich so oft mit ihrem Vater, sie wollte es meißt gar nicht und trotzdem passierte es immer. Und nun hatte ihr Vater vor wenigen Wochen damit angefangen, dass es jetzt endlich Zeit für sie wäre, zu heiraten. Nein, sie hatte anderes vor. Sie wollte das Leben genießen und nicht schon mit vierzehn als Frau eines Mannes auf dessen schrecklichen Burg verbingen, sie hatte die Burg Teck zwar noch nie gesehen, doch wenn man den Erzählungen der wandernden Künstler glauben schenkte, war Reinalds Burg nicht einmal annährend so schön wie Falkenstein.

Ich gehe nicht zurück, außer Vater lässt mich endlich in Ruhe! Dachte Johanna, während sie durch den Wald ritt.

Bald kam sie an einer großen Eiche vorbei, die alle anderen Bäume des Waldes überragte. Einige Meter neben den Wurzeln des Baumes plätscherte der Bach. Hier war damals immer ihre Lieblingsstelle gewesen. Mit Vater zusammen war sie auf die großen Äste der Eiche geklettert, während ihre Mutter ihnen von unten zusgesehen hatte. Ja, sie vermisste die Zeit von damals.

Sie drückte ihre Fersen leicht gegen die Seiten des Rappen und ließ das Pferd langsam weitertraben. Nach einigen Minuten könnte sie laute Schläge hören, die durch den Wald hallten.

Die Holzfäller von Büttelbronn, das Dorf kann nicht mehr weit sein dachte sie bei sich. Nach wenigen Metern konnte sie die Männer zwischen den Bäumen erkennen. Sie waren mindestens ein halbes Dutzend, alle groß gewachsen und kräftig gebaut, hatten allerdings sehr einfache Leinenhemden an. Einer der Männer zog gerade einen kleinen Baum an den Rand des Weges, wo ein weiterer mit einem Karren wartete.

„Guten Tag, junge Dame. Was führt euch denn so allein hier her?", begrüßte sie der Wagenführer.

Johanna überlegte kurz, ob sie den Mann erzählen sollte, dass sie von Zuhause entflohen war. Der Mann schien ihr vertrauenswürdig und so entschloss sie sich für einen kleinen Teil der Wahrheit.

„Ich bin auf dem Weg in die Königsstadt, um meinen Großvater zu besuchen", antwortete sie freundlich.

„Nach Königsstadt... Hmm, das ist ein ganz schön weiter Weg für ein so junges Mädchen. Und dann noch für die Enkelin des Königs, ganz allein", meinte der andere, der seinen Baumstamm neben dem Karren abgelegt hatte.

„Da habt ihr Recht, doch ich muss etwas wichtiges mit Großvater besprechen, es kann nicht warten".

„Ich verstehe", murmelte der Mann der den Baumstamm geschleppt hatte, und ging zurück in den Wald.

„Trotzdem ist es wirklich gefährlich, dass ihr allein nach Königsstadt reist, junge Dame", stellte der Karrenführer fest. „Ich muss morgen früh auch nach Königsstadt, mein Vetter braucht meine Hilfe beim Aufrichten seines Daches. Ich könnte euch begleiten".

„Danke, aber ich muss so schnell wie möglich nach Königsstadt. Außerdem - wo soll ich dann heute schlafen?"

„Ihr könnt bei mir die Nacht verbringen".

Johanna blickte ihn skeptisch an. Der Mann sah zwar wirklich sympathisch aus, doch eigentlich kannte sie ihn ja überhaupt nicht.

„Keine Angst, ich bin ein treuer Diener eures Großvaters. Mir würde nie einfallen dir etwas anzutun, eher würde ich für dich einen Pfeil einstecken", sagte der Mann.

Johanna biss sich auf die Lippe. Sie war sich wirklich beeindruckt, von den Worten des Mannes und trotzdem war sie sich unsicher.

„Tut mir leid, aber ich muss ablehnen", sagte sie schließlich.

Der Mann zuckte mit den Schultern. „Nun gut, wie ihr wünscht. Ihr seid die Herrin. Gott schütze euch auf euerer weiteren Reise", meinte er schließlich und nickte ihr freundlich zu.

„Auf Wiedersehen", verabschiedete sie sich und ritt weiter.

Sie war noch nicht weit gekommen, als sie plötzlich einen Schatten hinter sich bemerkte. Erschrocken wandte sie sich um und erkannte zwei Reiter, die auf ihren Pferden auf sie zupreschten. Die beiden trugen einfache Mäntel aus braungrauer Wolle und ihre Bärte sahen sehr ungepflegt aus. Am Gürtel des einen konnte Johanna einen Dolch erkennen.

Reflexartig presste Johanna ihrem Rappen die Fersen in die Seiten und das Pferd fiel nach wenigen Metern in den Galopp. Sie schmiegte sich so dicht wie möglich an den Rücken des Pferdes, um dem Wind zu entgehen, der ihr die langen blonden Haare zerzauste. Hinter sich konnte sie die Stimmen der beiden anderen Reiter hören, und sie schaute vorsichtig zurück. Die beiden Männer waren schon um einiges näher gekommen. Viel Vorsprung hatte sie nicht mehr. Wenn sie nicht bald Büttelbronn erreichte, war sie verloren. Diese Strecke unter den Buchen hatte sie viel kürzer in Erinnerung. Doch jetzt, wo sie verfolgt wurde, kam es ihr so vor, als ziehe sich der Weg Kilometer lang unter diesen verdammten Bäumen hindurch. Jetzt kam links das Wegkreuz. Endlich. Nur noch wenige hundert Meter bis der Wald endete. Dann noch einige Felder überqueren und durch die Büttelfurt und sie hatte das Dorf endlich erreicht.


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