Marthe

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Das Wasser spritzte zu allen Seiten, als ihr Rappe durch die Furt ritt. Als sie die andere Seite und somit das rettende Dorf erreichte, schaute Johanna verängstigt zurück. Die beiden Reiter hatten ihre Pferde vor der Furt abgebremst und standen nun unentschlossen vor dem Fluss, der sie von Johanna trennte. Sie schienen einige Worte zu wechseln, welche Johanna jedoch nicht verstehen konnte, bevor sie ihre Pferde wendeten und davonritten.

Erleichtert atmete Johanna aus und ließ ihr Pferd langsam wieder antraben. Sie war nicht weit gekommen, als die ersten Kinder sie entdeckten und auf sie zurannten. Fröhlich begrüßten sie Johanna, die höflich zurückgrüßte.

Durch die Kinder waren allerdings aus die anderen Dorfbewohner auf sie aufmerksam gekommen und so wurde sie mit verwirrten Blicken angestarrt. Nun ja, es war nicht selbstverständlich, dass die Enkelin des Königs durch das Dorf ritt. Noch dazu ohne Geleit.

Als sie die Dorfmitte erreicht hatte, stieg Johanna von ihrem Pferd und schaute sich um, ob sie es irgendwo anbinden konnte.

„Entschuldigt mich, aber ihr seht aus, als könntet ihr Hilfe gebrauchen, junges Fräulein", hörte sie plötzlich eine Stimme sagen.

Als Johanna sich umwandte, erkannte sie eine Frau mittleren Alters, die mit der einen Hand einen Eimer mit Wasser trug, während sie ein Kleinkind auf dem anderen Arm trug. Die Frau war einfach gekleidet, machte aber trotz allem einen netten Eindruck.

„Ja, ich bin auf der Suche nach einer Unterkunft für die Nacht", antwortete Johanna freundlich. „Könntet ihr mir zufällig ein Wirtshaus empfehlen?"

„Ein Wirtshaus?", fragte die Frau mit einem schelmischen Lächeln. „Hier im Dort gibt es kein Wirtshaus. Es ist selten, dass sich jemand hierher verirrt. Wenn er nicht gerade zur Festung hinauf will", erklärte sie.

„Achso", murmelte Johanna etwas enttäuscht und wollte sich abwenden.

„Aber ihr könnt unter meinem Dach schlafen", die Stimme der Frau hinderte sie am Gehen, „Sofern ihr mit einer Strohmatte zurfrieden seid".

Diesmal musste Johanna es sich nicht lange überlegen, ob sie zusagen wollte, denn eine erneute Begegnung mit den Reitern aus dem Wald wollte sie vermeiden. Außerdem war es ausgeschlossen, noch heute Königsstadt oder Falkenstein zu erreichen. „Ich kann euch aber nicht bezahlen. Ich habe kein Geld bei mir", antwortete Johanna.

„Schon gut, ihr müsst nichts bezahlen. Aber ihr könntet mir vielleicht mit dem Kleinen", sie deutete mit einem Nicken auf das Kind auf ihrem Arm, „zur Hand gehen".

„Natürlich, ihr müsst es mir nur zeigen", sagte Johanna.

„Na dann kommt mal mit. Euer Pferd könnt ihr in unseren Stall stellen. Er ist zwar klein, aber ich denke, dass sich unsere Ziege auch eine Nacht den Stall mit eurem Pferd teilen kann", nickte die Frau und ging vorraus.

Sie führte Johanna zu einer kleinen Hütte am Rande des Dorfes, genau am Fluss. Vor dem Eingang zu dem mit Stroh gedeckten Häuschen stand eine große Eiche, auf der zwei weitere Kinder herumtollten.

Die Frau öffnete das Tor zu einem kleinen Häuschen geben der Hütte.

„Hier könnt ihr euer Pferd unterstellen", sagte die Frau freundlich.

Johanna nickte und führte den Rappen in das Häuschen. Hier stand neben einem kleinen Heuhaufen eine einzelne Ziege, die sie und ihr Pferd neugierig anstarrte. Sie band ihren Rappen an einen Holzbalken und verließ das Häuschen wieder.

„Na dann komm mal mit", meinte die Frau und ging voran in die Hütte.

Der Raum war größer, als man es von draußen hätte erwarten können. In der Mitte war eine flache Kochstelle, in der die Frau gerade ein kleines Feuer anzündete.

„Setz dich", lud sie Johanna ein und deutete auf einen Hocker, der neben der Kochstelle stand.

„Vielen Dank", bedankte sich Johanna. „Auch für die Unterkunft", sie stockte, denn sie kannte den Namen der Frau gar nicht.

„Marthe. Ich heiße Marthe", erklärte die Frau freundlich.

„Mein Name ist Johanna", stellte sich Johanna ihrerseits vor.

„Ich weiß", lächelte die Frau verschmitzt, „Ich erinnere mich an die Besuche, als ihr mit eurem Vater von der Burg ins Dorf gekommen seid. Damals wart ihr zwar noch etwas jünger, aber ich erkannte euch sofort. Es ist mir eine Ehre, euch ein Dach anbieten zu können".

Johanna nickte dankbar und ließ ihren Blick weiter durch die Hütte schweifen. Weiter hinten, hinter der Kochstelle, waren mehrere Matten ausgebreitet, deren Umrisse sie nur schwer erkennen konnte, da es nicht besonders viele Lichtquellen gab.

„Was führt euch eigentlich hierher, Johanna?", wollte Marthe wissen und schaute Johanna fragend an.

„Ich muss so schnell wie möglich zu Großvater nach Königsstadt", antwortete Johanna knapp, während sie zusah, wie der kleine Junge von Marthe im Raum herumtapste.

„Allein?", hakte Marthe neugierig nach, „Euer Vater würde euch doch nie allein reisen lassen".

„Ja, schon", druckste Johanna herum. „Ich bin aus der Burg geflohen. Er will mich mit irgendeinem dahergelaufenen Ritter verheiraten", erzählte Johanna.

„Und das passt euch so gar nicht", fügte Marthe grinsend. „Hat man euch schon einmal gesagt, dass ihr eurer Cousine sehr ähnlich seid?", wollte sie wissen.

„Ja, das habe ich schon einmal gehört", lachte Johanna.

Ihre Cousine Salome, die bei zusammen mit ihrer Mutter und Johannas Tante Kriemhild bei ihrem Großvater am Hof lebte, wehrte sich nun auch schon seit einigen Jahren erfolgreich gegen ihre Vermählung, was König Heinrich bis jetzt tolerierte.

„Könnt ihr nach dem Kleinen sehe, während ich die Suppe koche?", wechselte Marthe das Thema, „Mein Mann wird bald nach Hause kommen. Keine Angst, er ist eine gute Seele".

Johanna nickte.

„Schaut einfach, dass der Hosenmatz nicht zu nah ans Feuer geht", lächelte Marthe.

„Das sollte ich schaffen", nickte Johanna.

„Danke", lächelte Marthe und wandte sich dem Kochtopf zu, während Johanna den kleinen Jungen im Auge behielt. Er stapfte mit seinen kleine Füßchen munter durch die Hütte und fand immer etwas neues zum Spielen. Johanna fand es faszinierend, dem Jungen zuzusehen. Er war vielleicht drei Jahre alt und hatte blonde, lockige Haare, ganz wie seine Mutter. Sein kleines Gesicht mit den Pausbäckchen formte sich immer wieder zu einem fröhlichen Lachen, wenn er ein neues Spielzeug entdeckt hatte.

„Darf ich euch eine Frage stellen?", brach Marthe schließlich das Schweigen.

„Nur zu", nickte Johanna.

„Wie ist es? Also das Leben auf der Burg?", fragte Marthe neugierig.

„Nun ja. Ich will es nicht schlecht reden, uns geht es wirklich gut dort oben, aber es ist so trostlos. Ich kann nichts tun, außer Stickereien zu machen, oder Spaziergänge am Fuß der Mauern. Und ich stehe ständig unter Beobachtung", erzählte Johanna. „Aber so ergeht es nunmal der Prinzessin des Königreichs".

„Und es gibt dort keine jungen Männer, die euch den Kopf verdreht haben?", fragte Marthe interessiert.

„Junge Männer? Nein, der jüngste ist Knut, der Torwächter. Und der ist Mitte dreißig. Wir sind dort oben einfach viel zu abgelegen. Alle Jungen Männer gehen in die Stadt, oder noch weiter weg. Und ich kann es ihnen nicht einmal verübeln", antwortete Johanna.

Marthe nickte und rührte erneut in der Suppe. Schweigen hielt wieder Einzug in dem kleinen Raum, und nur das fröhliche Lachen des kleinen Jungen brach die Stille.

Aber mit einem Mal öffnete sich die Tür und ein Johanna bekannter Mann trat ein. Es handelte sich um den Holzfäller, der ihr noch vor wenigen Stunden angeboten hatte, in seinem Haus zu übernachten.

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