Der Tunnel

41 4 2
                                    

Elias wurde vom Regen geweckt, der gegen den hölzernen Fensterladen prasselte. Müde öffnete Elias das Fenster und starrte hinaus. Die sengende Hitze der letzten Wochen war verschwunden und der Himmel mit dunklen Wolken verhangen. Und es regnete. Der letzte Regen lag schon lange zurück.

Scheint, als weinte der Himmel um Akkon, dachte Elias still vor sich hin.

Heute war der Tag, an dem er von hier weg musste. Und er keine Ahnung, wie er dies bewerkstelligen sollte, das einzige was er hatte, waren Roberts Worte von einem Tunnel zum Meer. Wenn er sich richtig erinnerte, sagte er etwas von der Kapelle. Dort würde er also seine Suche nach dem Fluchtweg beginnen.

Nachdem er seine Sachen alle fertig gepackt hatte, ging Elias zuerst ohne das Gepäck zur Kapelle. Er wollte sich vergewissern, dass es den Tunnel tatsächlich gab, bevor er sein ganzes Hab und Gut in die Kapelle schleppte. Auf seinem Weg dorthin begegneten ihm einige Brüder, die alle einen niedergeschlagenen Eindruck machten. Sie alle wussten, dass die Eisenburg fallen würde. Und dass nicht viel Zeit blieb.

Bald hatte Elias die kleine Kapelle erreicht, die bis auf einen alten Templer, der in sein Gebet vertieft war, leer war. Leise durchquerte Elias den kleinen Raum und kniete sich auf den kalten Steinboden. Er ließ aufmerksam seinen Blick durch die Kapelle schweifen, doch nichts deutete auf einen Tunnel hin.

Direkt vor ihm befand sich ein einfacher Steinaltar, auf dem einige brennende Kerzen sowie ein kleines hölzernes Kreuz standen. Darüber befand sich ein kleines Fenster, durch das etwas Tageslicht in den Raum schien. An den Wänden links und rechts befanden sich jeweils vier schmale Säulen im Abstand von zwei Metern, an denen noch Fackelhalter angebracht waren. In dieser Kapelle gab es keine Sitzgelegenheiten, wenn einer der Brüder herkam, um zu beten, dann kniete er sich wie Elias einfach hin.

Elias wurde von einem Geräusch aus seinen Gedanken gerissen. Als er sich umdrehte, sah er, dass er alte Bruder aufgestanden war und den Raum verlassen hatte. Nun war er allein in der Kapelle. Seine Gelegenheit, nicht nur mit Blicken nach dem Tunnel zu suchen.

Schnell stand er auf und ging zum Altar und begann diesen abzusuchen, doch vergeblich, er konnte nichts finden. Leise fluchend wandte er sich von dem massiven Steintisch ab. Er wollte schon aufgeben, doch er ließ seinen Blick ein letztes Mal über die Wände des Raumes wandern und plötzlich fiel es ihm auf.

Es war nur ein kleiner Hinweis. Einer der Fackelhalter an der westlichen, dem Meer zugewandten, Wand hing etwas schräg. Allerdings war dies nur zu sehen, wenn man vorn am Altar stand und von dort in den Raum blickte.

Vorsichtig untersuchte Elias den Fackelhalter, der sich leicht gerade rücken ließ. Sobald er in seiner normalen Position war, ertönte ein leises Rumpeln hinter der Wand. Langsam öffnete sich eine Tür zwischen den beiden Säulen, die den Durchgang begrenzten. Hinter der Öffnung erstreckte sich eine nahezu endlose Dunkelheit.

Freudig stellte der Junge Knappe fest, dass sein Herr also doch Recht gehabt hatte mit dem Tunnel. Er konnte also doch seinen Auftrag erfüllen und aus dieser Zwickmühle entkommen.

Schnell schnappte sich Elias eine der Altarkerzen und ging etwas in den Gang hinein. Schon nach wenigen Metern vollführte er eine Biegung, und nach einigen weiteren Metern erkannte Elias im Schein seiner kleinen Kerze die glitschigen Stufen einer schmalen Treppe, die tiefer in den Fels führten. Er wollte gerade die Stufen hinabgehen, als er stutzte. Neben der Treppe erkannte er die Überreste einer Fackel, die noch glommen. Der Tunnel musste noch vor kurzem benutzt worden sein! Hoffentlich gab es dort unten noch irgendetwas, mit dem er fliehen konnte.

So schnell es irgendwie möglich war, stieg Elias die Treppen hinab, die sich länger dahinzogen, als er es erwartet hätte. Während dem Abstieg verlor er jegliches Zeitgefühl, doch er vermutete, dass es sich warscheinlich um mehrere Minuten handelte, die er die Treppen hinabstieg.

Endlich erkannte er ein schwaches Licht vor sich, und nach einer leichten Biegung das Ende der Treppe, die in eine große Höhle mündete. Sie hatte eine kleine Bucht mit Ausgang zum offenen Meer, in der zwei hölzerne Boote trieben, die mit mehreren Stricken an Felsblöcken angebunden waren. An einem der Felsen erkannte Elias auch die gekappten Reste eines weiteren Streickes, er vermutete, dass hier ein weiteres Boot gelegen hatte, das der vorherige Nutzer des Tunnels genutzt hatte, um zu entkommen.

Als Elias sich hier unten genug umgeschaut hatte, machte er sich wieder auf den Weg nach oben, um sein Gepäck zu holen.

Wenige Stunden später hatte Elias all sein Gepäck unbemerkt in die Felsgrotte gebracht und machte sich im Licht der untergehenden Sonne, die durch die Öffnung zum Meer scheinte, daran, alles in eines der Boote zu laden. Als er fertig war – er hatte nicht besonders viel Gepäck – tastete Elias ein letztes Mal nach dem Kästchen mit dem Schriftstück, das er sich in den Gürtel gesteckt hatte, als er das Gepäck geholt hatte, bevor er selbst ins Boot stieg.

Er schickte ein letztes schnelles Gebet zum Himmel, bevor er das Seil kappte und sich mit dem Ruder vom Ufer abstieß. Nach einigen starken Ruderzügen hatte er die Höhle verlassen und war etwas aufs Meer hinausgerudert.

Erst jetzt erkannte er, dass sich die Höhle etwas nördlich der Eisenburg befand, unter einer Klippe, die schon zum Händlerviertel der Venezianer gehörte. Auf der Klippe thronte das protzige Haus eines Händlers, auf dessen Dach wehte nun allerdings die Flagge der Sarazenen.

Je weiter Elias nach draußen ruderte, erkannte er mehr von der zerstörten Stadt. Die lange Zeit der Belagerung hatte an der einst so schönen Hafenstadt genagt. Die Häuser der venezianischen Händler, die auf die Klippen direkt an der See gebaut waren, waren zu einem Teil zerstört, und über der gesamten Stadt stiegen mehrere kleine Rauchfahnen auf. Auf jeden höheren Gebäude, das Elias erkannte, sah er die Flaggen der Sarazenen. Im Hafenbecken unterhalb der Eisenburg, wo die Templer zum Tode verdammt waren, lagen nur noch wenige Schiffe, viele Kapitäne hatten die Erstürmung der Mauern zum Anlass genommen, so schnell wie möglich auszulaufen und ihre Ware in Sicherheit zu bringen. Einige dieser Schiffe lagen nun draußen, wenige hundert Meter vor der Küste, vermutlich um das Geschehen in der Stadt zu beobachten.

Genau zu diesen Schiffen wollte Elias. Vielleicht konnten sie ihn irgendwie nach Europa bringen, oder zumindest in die Richtung.

Er löste den Blick von der Stadt und konzentrierte sich darauf, zu rudern. Die Strecke bis zu den ersten Schiffen war doch weiter, als sie auf den ersten Blick geschienen hatte und langsam wurden seine Arme schwer. Doch er durfte nicht aufgeben, nicht jetzt, wo es ihm entgegen aller Widrigkeiten gelungen war, aus der Stadt zu entkommen. Mühsam setzte er seine Reise fort, doch die Ruderzüge wurden immer langsamer und schwächer. Lange würde er nicht mehr durchhalten.

Zu seiner Erleichterung hörte er plötzlich Stimmen, die näher kamen. Erschöpft erkannte er einen Handelssegler, nur wenige Meter entfernt.

„Hallo!", rief er mit letzter Kraft, „Ich bin hier! Holt mich hier raus!" Dann fielen ihm vor Erschöpfung die Augen zu und das letzte was er hörte, waren die erstaunten Stimmen der Seemänner, die seine Nussschale entdeckt hatten.

FalkensteinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt