Die Strahlen der Sonne im Fenster weckten Elias auf. Es war nun schon der dritte Tag, den er hier in Formosa verbrachte und er hatte noch immer keine Idee, wie er weiterreisen sollte. Die letzten Tag war er am Hafen unten gewesen, wo noch immer weitere Schiffe mit Überlebenden ankamen, doch er hatte keines gefunden, das er hätte bezahlen können. Doch er musste es weiter versuchen.
Müde stand er auf und packte das Kästchen mit dem Pergamentstück ein – der Inhalt war ihm zu wertvoll, als dass er ihn einfach hier im Zimmer lassen würde – und verließ das Gasthaus und bahnte sich wieder einen Weg durch die Massen von flüchtigen Kreuzfahrern und Bewohnern der Stadt hinab zum Hafen.
Nach mehreren Stunden von erfolglosem hin- und herirren suchte sich Elias einen kleinen Marktstand und kaufte sich einen Laib Brot und etwas Wasser, um sich im Schatten einer Palme in der Nähe der Baustelle, die er schon nach seiner Ankunft in Formosa bestaunt hatte, niederzulassen.
Er wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Kein Seemann im Hafen war bereit, ihn für das Geld das er noch hatte, mit aufs europäische Festland zu nehmen. Und bald würde er sich auch das Zimmer des Gasthauses nicht mehr leisten können.
„Entschuldigt, aber darf ich mich zu euch gesellen?", fragte plötzlich eine Stimme, die zu einem jungen, orientalisch aussehenden Mann gehörte. Er hatte krauses schwarzes Haar und einen kurzen, gepflegten Bart. Die Augen des jungen Mannes schienen in einem klaren Blau und ergaben einen seltsamen Kontrast zu seiner braunen Haut. Irgendwie kam der Mann Elias seltsam bekannt vor.
Nichtsdestotrotz nickte Elias langsam, worauf sich der Mann neben ihm niederließ und sich mit seinem Rücken an die Palme lehnte.
„Mein Name ist Malik. Malik Tornikes. Sohn von Johannes Tornikes, dem berühmten Sebastokrator vom byzantinischen Kaiser Michael VIII, Gotthab ihn selig", stellte sich der junge Mann vor und streckte Elias die Hand hin, in die dieser zögerlich einschlug.
„Ich bin Elias" antwortete er knapp, worauf ihn Malik nach seiner langen Vorstellung etwas komisch musterte, das breite Grinsen in sein Gesicht zurückkehrte.
„Freut mich, dich kennenzulernen, Elias. Was führt dich hierher? Bist du auch wegen der Mamluken hier?", wollte Malik neugierig wissen.
Elias nickte. „Ich war der Knappe eines hochrangigen Tempelritters in Akkon. Mein Herr ist im Kampf um die Stadt gefallen, genauso wie viele unserer Brüder. Nur ich konnte mit Mühe entkommen", erklärte Elias spärlich. Er wollte einem Fremden nicht sofort alles über sich erzählen.
„Akkon sagst du? Schrecklich, was dort passiert ist. Ich war in Sidon, als die Stadt fiel. Die Anführer hatten gerade beschlossen, den Kreuzfahrern in der Stadt eine weitere Truppe zu Hilfe zu schicken, dort wäre ich auch dabei gewesen, als uns die Nachricht erreichte", brummte Malik. „Man sagt, wir waren zu spät. Ein paar von uns sind trotzdem noch losgezogen, viele sind geblieben und einige sind in die Schiffe gestiegen, die nach Zypern oder Konstantinopel fuhren. Wir konnten nichts mehr tun".
Der junge Mann klang verzweifelt und Elias wusste nicht, was er antworten sollte. Er schwieg einfach und blickte auf das glitzernde Meer hinaus, das so ruhig dalag, als ob der Krieg in weiter Ferne lag, obwohl er sich doch nur direkt hinter dem Horizont versteckte.
„Würde es dir etwas ausmachen, wenn...", Malik verstummte und deutete auf den Laib Brot und den Wasserschlauch.
„Nein, natürlich nicht, bedien dich", antwortete Elias großzügig und gab dem Byzantiner das Brot und den Schlauch. Er hatte ohnehin keinen Hunger mehr, nachdem sie über diese Themen geredet hatten.
„Vielen Dank! Ich hatte schon seit zwei Tagen nichts mehr zu Essen. Seit dieser Bastard von Wirt mich rausgeschmissen hat", erzählte Malik mit vollem Mund.
„Keine Ursache", lächelte Elias und sah Malik beim Essen zu. „Und weißt du wie es für dich weitergeht?", fragte er dann.
Malik schaute ihn an und zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Erstmal werde ich zusehen müssen, dass ich von dieser verdammten Insel runterkomme. Und dann vielleicht wieder zurück nach Konstantinopel. Oder nach Venedig. Oder Rom. Wer weiß, wo mich der Wind hinverschlägt. Wie ist es mit dir? Wirst du den Tempelrittern treubleiben?"
„Ich habe genug vom Krieg. Ich werde meinen letzten Auftrag zu Ende bringen und mich dann irgendwo niederlassen. Eine Familie gründen", meinte Elias.
„Auftrag?", hakte Malik nach und Elias konnte Neugierde in seinen Augen funkeln sehen.
„Es ist wohl eher etwas Privates. Eine letzte Botschaft meines Herrn an einen alten Freund", log Elias, sich wohl bewusst, dass das Pergamentstück, das er bei sich trug, wohl alles andere war, als privat.
Malik nickte und schob sich den letzten Bissen des Brotes in den Mund. „Vielen Dank für das Essen, mein Freund", meinte Malik mit einem Lächeln und erhob sich, „Ich muss weiter. Aber war schön, dich kennenzulernen".
„Ebenso", nickte Elias und schüttelte Malik nocheinmal die Hand, bevor der junge Mann in Richtung Hafen davonging.
Auch er wollte sich bald wieder auf die Suche nach einem Weg von dieser Insel zu machen und streckte sich. Wie so oft an diesem Tag ließ erseine Hand ein weiteres Mal an seinen Gürtel gleiten, wo er das Kästchen mit dem Pergament verstaut hatte – und erschrak. Das Kästchen war weg!
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Falkenstein
Historical FictionAnno Domini 1291: Akkon, die letzte Bastion der Kreuzfahrer im heiligen Land ist gefallen. Einer der wenigen Überlebenden hat ein geheimes Dokument, das über das Schicksal von ganz Europa entscheidet. Doch es gibt viele, die nach dem Dokument giere...