„Land in Sicht!", rief einer der Matrosen über das Deck und riss Elias aus seinen Gedanken.
Er stand von seinem Platz an der Reling auf, an dem er die letzten Tage verbracht hatte, indem er still auf das Meer geblickt hatte, und ging nach vorn an den Bug des Handelsschiffes, wo sich eine kleine Menschentraube aus Matrosen gebildet hatte.
„Da ist Zypern!", freute sich ein junger Mann direkt neben ihm unddeutete auf den Horizont.
Und tatsächlich befand sich dort ein heller Streifen, den Elias als Festland identifizierte.
„Freut ihr euch, Elias?", fragte plötzlich die Stimme von Periklís, der neben ihm aufgetaucht war.
Elias nickte.
„Dort endet unsere gemeinsame Reise", stellte Periklís fest.
„Ja", stimmte Elias zu, „Wie geht es danach für euch weiter?"
„Vielleicht segeln wir nach Alexandria, vielleicht nach Athen, womöglich noch weiter in den Westen. Oder zurück ins heilige Land. Es sind noch viele Christen dort", erzählte Periklís. „Und es sind gefährliche Zeiten".
„Ihr habt recht, aber wann waren die Zeiten einmal nicht gefährlich?", fragte Elias.
„Das ist eine gute Frage", lächelte Periklís. „Irgendjemand wird sich wahrscheinlich immer finden, der sich von einem unterscheidet und gegen den man Krieg führen kann. So wie es sich schon immer jemand fand".
„Sehr philosophisch, mein Freund", stellte Elias fest. „Aber ihr habt Recht."
„Ja, ein Seemann hat zwar einen sehr harten Job, aber wenn die See ruhig ist, dann hat man auch viel Zeit, über die Welt nachzudenken", erklärte Periklís.
„Periklís, los jetzt!", hallte plötzlich die Stimme eines anderen Matrosen übers Deck und beendete ihr Gespräch. Erst jetzt bemerkte Elias, dass die euphorische Stimmung nach der Sichtung in eine sehr geschäftige Atmosphäre an Bord umgeschlagen hatte.
„Nun, wie auch immer, junger Freund, ich wünsche euch alles Gute für eure weitere Reise. Bleibt unter dem Segen des Höchsten!", verabschiedete sich der Grieche von ihm und machte sich an die Arbeit.
„Ihr auch, Periklís", wünschte Elias dem Matrosen, obwohl dieser ihn nicht mehr hören konnte.
Wenig später ging Elias mit seinem wenigen Hab und Gut durch die Straßen Formosas. Hier herrschte geschäftiges Treiben, viele Händler drängten sich zwischen den Menschen auf der Straße hindurch, unterdenen auch viele Reisende wie Elias waren.
Ohne Ziel ließ sich Elias von der Menge immer weiter in die eng verzwigten Straßen treiben, bis er mit einem Mal auf einem großen Platz stand, an dessen Seite sich eine riesige Baustelle befand. Viele dutzend Arbeiter waren dabei, Steine von verschiedensten Formen und Größen an ihren Platz zu schaffen.
Überall ragten kleine hölzerne Gerüste in den Himmel, auf denen Arbeiter herumkletterten. Am einen Ende der großen Baustelle stand schon eine Wand, auf deren Krone ein hölzerner Kran befestigt war, an dem einige Männer mit einem Flaschenzug die großen Brocken nach oben hoben.
Was auch immer hier gebaut wurde, dieses Bauwerk musste den Erbauer ein Vermögen kosten.
Beeindruckt von der Baustelle blieb Elias noch eine Weile stehen und schaute dem Geschehen zu, bevor er weiter ging.
Er folgte weiter der Hauptstraße der Stadt und bog irgendwann unwillkürlich in eine schmale Gasse neben der Straße ein. Diese war kaum breit genug dass drei Männer nebeneinander gehen konnten, und hier und da standen Kisten und Fässer an den Wänden der Sandsteinhäuser.
Hier ging es wieder etwas bergab, ganz im Gegensatz zur Hauptstraße, die immer etwas angestiegen war. Elias folgte der Gasse, wenn er sich nicht täuschte, konnte er dort unten das hölzerne Schild eines Gasthauses ausmachen, und tatsächlich. Das kleine Häuschen, das hier in der Gasse etwas eingeengt zwischen zwei größeren stand, machte zwar keinen sehr luxuriösen Eindruck, doch das brauchte er gar nicht. Ihm würde ein einfaches Lager oder ein Strohsack reichen.
Stickige Luft schlug Elias entgegen, als er die Tür zu dem Häuschen öffnete. Er befand sich in einem engen Raum in dem mehrere schwere Tische sowie eine hölzerne Theke standen. Hier und da saßen einige Männer – die meißten betrunken – die ihn seltsam anstarrten. Er ignorierte die Blicke der Männer und ging zur Theke, hinter der einbuckliger Mann mit Glatze stand und die Gäste misstrauisch beäugte.
„Habt ihr ein Bett für einen armen Reisenden?", fragte Elias den Mann.
Dieser musterte ihn lange, bevor er ihm antwortete. „Ihr habt Glück, Junge. Ein Zimmer ist noch frei. Für fünf Goldstücke ist es euer".
„Drei Goldstücke, mein Freund. Ich bin ein armer Überlebender der Schlacht von Akkon. Ich habe nicht viel", erzählte Elias.
„Und ich muss auch etwas verdienen. Einigen wir uns auf vier Goldstücke, mein Freund", gab der dicke Wirt zurück.
Zufrieden nickte Elias dem Wirt zu und zog vier Goldstücke aus seinem Beutel, die er dem Wirt zuschob. Dieser überprüfte das Geld schnell mit einem kurzen Biss auf den Münzen.
„Nun gut. Hier entlang, Junge", lächelte der Wirt und öffnete eine schmale Tür neben dem Tresen.
Dahinter lag ein kurzer Gang mit mehreren Türen, an dessen Ende eine schmale Holztreppe ein Stockwerk nach oben führte. Der Wirt stieg die Treppe nach oben, die unter seinem Gewicht schwer ächtzte und ging oben aufdie letzte der drei Türen zu. Gerade als Elias ihm folgen wollte, öffnete sich die Tür neben der, auf die der Wirt zusteuerte und ein junger orientalisch aussehender Mann rannte mit vollem Tempo in Elias hinein, sodass beide mit dem Gleichgewicht zu kämpfen hatten und Elias Gepäckbeutel zu Boden fiel.
„Passt gefälligst auf, wohin ihr geht!", blaffte der junge Mann und machte sich eilig davon.
„Tut mir leid", murmelte Elias dem Mann hinterher, obwohl er ihn nicht mehr hören konnte, und hob seinen Beutel auf.
„Das hier ist euer Zimmer", erklärte der Wirt, der von dem Zusammenstoß wohl gar nichts mitbekommen hatte und breitete seine Arme in dem kleinen Raum aus, als Elias zu ihm hineingetreten war.
Es war so, wie Elias es erwartet hatte. Ein Bett mit einer Strohmatratze, ein kleiner Hocker und ein Schränkchen, auf dem eine metallene Waschschüssel stand. Ziemlich spartanisch, aber für ihn völlig ausreichend.
„Wenn ihr sonst noch etwas braucht – Essen oder Trinken – ihr findet mich unten an der Theke", erklärte der Wirt und wandte sich zumgehen. „Ach und jede weitere Nacht kostet nocheinmal vier Goldstücke!"
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Falkenstein
Narrativa StoricaAnno Domini 1291: Akkon, die letzte Bastion der Kreuzfahrer im heiligen Land ist gefallen. Einer der wenigen Überlebenden hat ein geheimes Dokument, das über das Schicksal von ganz Europa entscheidet. Doch es gibt viele, die nach dem Dokument giere...