„Wie heißt ihr, Junge?", wollte ein bärtiger Mann wissen. Er hatte eine dickliche Statur und trug ein seidenes Gewand.
„Mein Name ist Elias", antwortete Elias erschöpft.
Die Besatzung des Handelsschiffs hatte ihn aus seinem Ruderboot gezogen und ihn an Bord geholt. Dort war er hierher, zum Heck des Schiffes gebracht worden, wo dieser Mann, vermutlich der Kapitän, das Geschehen in der Stadt beobachtet hatte.
„Und du kommst aus der Stadt?", fragte der Mann misstrauisch und musterte Elias aufmerksam mit seinen kleinen Knopfaugen.
„Ja, aus der Eisenburg", bestätigte Elias mit einem Blick hinauf auf das Bollwerk, das dort oben auf der Klippe über den Wellen des Mittelmeeres thronte.
„Aus der Eisenburg?", wollte ein anderer Mann überrascht wissen, worauf Elias nickte.
„Also seid ihr ein Templer", schloss der Bärtige.
Wieder nickte Elias. Dass er eigentlich nur ein Knappe war, hatte den Seefahrer nicht zu interessieren. „Ich habe von meinem verstorbenen Meister einen Auftrag bekommen, den ich unbedingt erfüllen muss", erklärte Elias.
„Einen Auftrag", wiederholte der Mann, „Und was für einen Auftrag es genau ist, das sagt ihr mir nicht? Immerhin seid ihr auf meinem Schiff und wollt nicht wieder im Wasser landen, oder nicht?"
„Einen Botengang. Mehr weiß ich selbst nicht", antwortete Elias dem Mann wahrheitsgemäß.
„Nun gut. Ich glaube dir, Junge", nickte der Mann. „Mein Name ist Bardas von Byzanz und mir gehört dieses Schiff. Wenn du willst, kannst du mit nach Zypern fahren, Junge".
„Vielen Dank, Herr", bedankte sich Elias und verneigte sich von dem Byzantiner.
„Periklís wird dir ein Lager herrichten", meinte Bardas nickend und deutete auf einen der Seemänner, die Elias aus dem Boot gezogen hatten. Bei ihm handelte es sich um einen großen, aber dürren Mann mittleren Alters. Sein unrasiertes Gesicht erschien durch die schwarzen Locken, die an den Seiten schon ergrauten, noch ernster als es sowieso schon schien. Der Name des Mannes ließ Elias darauf schließen, dass er griechischer Herkunft war.
„Folgt mir, junger Templer", wies Periklís ihn an und ging vorraus. Schnell griff sich Elias das wenige Hab und Gut, das er hatte, und folgte dem Griechen.
Sie stiegen eine schmale Treppe hinab ins dunkle Unterdeck, in dessen Mitte mehrere Kisten und Fässer gestapelt waren, um die sie jedoch herumgingen. Hinter der Ladung kam schließlich etwas freie Fläche zum vorschein, auf der mehrere Strohmatten verteilt waren. Das hier war also das Lager der Besatzung.
„Los, hilf mir", ordnete Periklís an. Der Grieche hatte sich einen Leinensack aus einer Holzkiste genommen und schob etwas Stroh in einer Nische zusammen, die etwas abseits der anderen Matten war. Elias verstand schnell und half dem Griechen das Lager herzurichen.
„Das ist leider alles was wir euch bieten können, Junge", erklärte der Grieche und fuhr sich durch die schwarzen Locken.
„Vielen Dank, Periklís. Das ist mehr als genug", antwortete Elias dankbar und platzierte sein Gepäck ordentlich neben seinem Lager.
„Ich lasse euch nun etwas allein, ihr seid bestimmt müde", stellte der Grieche fest und verschwand hinter den Kisten und Fässern.
Und er hatte Recht. Die Ruderei hatte Elias tatsächlich sehr viel Kraft und Ausdauer gekostet. Erst jetzt, als es etwas zu Ruhe kam merkte er dies. Elias Seufzte leise auf, als Periklís außer Hörweite war und tastete nach dem Behälter mit dem Schriftstück. Er war noch da. Dann legte er sich auf das Lager und schlief sofort ein.
Wenige Stunden später wachte er auf und schaute sich in dem Raum um. Eine kleine Metalllaterne war etwas weiter vorne aufgehängt worden. Im schwachen Lichtschein erkannte Elias die Umrisse von anderen Seemännern, die auf ihren Lagern zu schlafen schienen. Es musste Nacht geworden sein, während er geschlafen hatte, doch Elias verspürte keine Müdigkeit mehr. Also stand er leise auf und ging den Weg zurück, den Periklís ihn geführt hatte, zurück an Deck.
Die kühle und salzige Nachtluft wehte ihm um die Nase, als er durch die Luke hinaustrat. Sie hatten inzwischen auch die Küste hinter sich gelassen und befanden sich auf dem Mittelmeer, wie Elias schnell erkannte. Das einzige, was um das Schiff er erkennen konnte, war eine unregelmäßige schwarze Fläche, auf der sich hier und da das schwache Licht des Mondes oder der Sterne spiegelte. Dieser Anblick erinnerte Elias an seine Reise ins Heilige Land, als er zusammen mit Robert vor fast drei Jahren übers Mittelmeer nach Antiochia gesegelt war. Er war damals oft noch lange an Deck gesessen und hatte die unendlich scheinenden Wellen beobachtet.
Elias ging leise über die Holzplanken des Decks zum Bug des Handelsschiffs und schaute über die See, so wie damals schon und schwelgte in Erinnerungen. Damals hatte Robert ihn in der Nähe von Kempten gefunden, als Straßenjunge, der jeden Tag um sein Leben kämpfte. Robert hatte ihn als Knappen angenommen und war für ihn zu einem Vater geworden, ganz im Gegenteil zu seinem leiblichen Vater, den er nie kennengelernt hatte. Insgesamt wusste er ziemlich wenig über seine Eltern, seine erste dunkle Erinnerung war ein großes Fest mit Turnier in Kempten.
„Könnt ihr nicht schlafen, Junge?", fragte plötzlich die Stimme von Bardas und der Byzantiner trat zu ihm an die Reling.
„Ich habe bis gerade geschlafen und dachte ich gehe etwas auf Deck spazieren", antwortete Elias wahrheitsgemäß. „Was ist mit euch? Warum schlaft ihr nicht?"
„Ach, wisst ihr, es muss immer einen geben, der Nachtwache hält. Dieses Piratenpack macht auch nicht vor normalen Handelsschiffen halt".
„Piraten?", fragte Elias überrascht.
„Ja, sie fahren im Dienste der muslimischen Herrscher Nordafrikas und greifen jedes Handelsschiff an, das sie entdecken. Man erzählt sich, dass es noch kein Mann lebend aus ihren Fängen geschafft hat", erzählte Bardas. „Aber diese Männer haben sich noch nicht mit meiner Crew und mir angelegt! Über die Hälfte der Männer haben schon in der Byzantinischen Marine oder der Armee gedient, bevor ich sie angeheuert habe. Und auch ich habe einiges an Kampferfahrung", fügte der Kaufmann mit etwas Stolz in der Stimme hinzu.
Elias nickte und blickte wieder hinaus auf die See.
„Eure erste Schiffsreise?", wollte Bardas nach einiger Zeit des Schweigens wissen.
„Nein, die zweite. Als ich mit meinem Meister vor zwei Jahren ins heilige Land kam, sind wir auch von Venedig nach Antiochia gesegelt", erzählte Elias.
„Ah, Venedig. Eine sehr schöne Stadt", nickte Bardas. „Ich war bereits zweimal dort. Damals habe ich die Bekanntschaft der schönsten Frau von ganz Venedig gemacht. Julia di Venacci, so eine schöne Frau gibt es kein zweites Mal auf dieser Erde. Sie ist die Frau eines reichen Kaufmanns, einem guten Geschäftsmann".
Bardas schien ein wahrhafter Schwätzer zu sein. Nach einer Weile hörte Elias den unendlichen Erzählungen des Seemanns nicht mehr zu und ging wieder seinen Gedanken nach.
„Nun, wie auch immer, es wird so langsam hell", meinte Bardas. „Ich schaue einmal nach den Männern". Mit diesen Worten verabschiedete sich der Byzantiner und ließ Elias allein.
Kaum merklich atmete Elias aus.
Tatsächlich wurde es langsam hell über dem östlichen Horizont. Bald würde die Sonne aufgehen und bald würden sie Zypern erreichen.
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Falkenstein
Ficción históricaAnno Domini 1291: Akkon, die letzte Bastion der Kreuzfahrer im heiligen Land ist gefallen. Einer der wenigen Überlebenden hat ein geheimes Dokument, das über das Schicksal von ganz Europa entscheidet. Doch es gibt viele, die nach dem Dokument giere...