Ich bin ein Idiot

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Oh Mann, wie habe ich mich nur in diese bescheuerte Situation hinein manövrieren können. John Hamish Watson, manchmal bist du wirklich ein Riesenidiot.

Es ist jetzt fünf Monate her, dass Sherlock und ich ein Paar sind.

Zu diesem Punkt zu kommen, war eine schwere Geburt. Was in der Hauptsache daran lag, dass zwar alle Welt vermutet hatte, wir hätten was miteinander. Ich jedoch habe immer und überall lauthals verkündet: „Ich bin nicht schwul!"

Nun, das stimmt auch. Ich bin nicht schwul, ich bin bisexuell. Nichtsdestotrotz ist mir klar, dass ich mit diesem Satz impliziert habe, nicht an Männern interessiert zu sein.

Das war der reine Selbstschutz, denn ich war vom ersten Augenblick sehr wohl an Sherlock interessiert, der jedoch nicht an mir. Er war mit seiner Arbeit verheiratet.

Allerdings hat sich das über die Zeit geändert; er hat sich, obwohl er immer von sich behauptet hatte, kein Herz zu besitzen, was, mit Verlaub, natürlich kompletter Unfug ist, auf seine ganz eigene Sherlocksche Weise in mich verliebt.

Vor fünf Monaten waren wir also nun endlich so weit, dass wir uns gegenseitig eingestehen konnten, dass wir uns lieben. Und seit dem sind wir ein Paar.

Soweit so gut. Ja, es ist schön mit Sherlock. Ja, ich liebe ihn und ich liebe jeden einzelnen Tag, jede einzelne Minute mit ihm, auch wenn er mich manchmal mit seinen Eigenheiten in den Wahnsinn treibt.

Na ja, zugegeben, einfach bin ich auch nicht immer.

Und ja, ich bin letzten Endes Schuld an der Situation, unter der ich nun selber so leide.

Wir saßen auf dem Sofa, hielten uns Arm in Arm und genossen es einfach, uns so nah zu sein. Zu wissen, was wir für für den anderen bedeuten. Dass wir nach wie vor beste Freunde und Kollegen sind, aber auch noch soviel mehr.

Und dann sagte Sherlock:

„John, ich sollte dich vielleicht darüber in Kenntnis setzen, dass ich wenig bis gar keine sexuelle Erfahrung habe."

Ich schaute ihn groß an. „Wie bitte?"

„Nun John, wir sind nun seit wenigen Minuten ein Paar und soweit meine theoretischen Kenntnisse des Zwischenmenschlichen mich nicht trügen, beinhaltet eine stabile Beziehung zwischen zwei liebenden Partnern, die ich gewillt bin, mit dir zu führen, auch gelegentliche sexuelle Kontakte."

„Ja", sagte ich, „aber, Sherlock, wir können das langsam angehen. Ich werde dich zu nichts drängen ..."

„Das weiß ich John. Ich kenne dich gut genug. Ich weiß aber auch, dass du in der Vergangenheit häufig und gerne Sex hattest. Mit deinen diversen Freundinnen."

Ja, das konnte ich nicht bestreiten. Das hatte ich.

Auch das war Selbstschutz gewesen, aus den oben genannten Gründen.

„Sherlock", sagte ich und kuschelte mich noch enger an ihn, „das müssen wir nicht ausgerechnet jetzt besprechen. Ich liebe dich, und du liebst mich. Alles andere wird sich finden."

Ich hätte wissen müssen, dass es damit nicht getan war. Nicht bei Sherlock Holmes.

Nicht bei Sherlock-Ich-muss-alles-genau-wissenschaftlich-verstehen-und-bis-ins-Detail-planen-Holmes.

„Nein, John", sagte er.

„Ich finde, wir sollten das besprechen, und einen für uns beide gangbaren Weg finden."

Ich schaute ihn nur an, nicht wissend, was ich sagen sollte.

„John, es ist nämlich nicht nur so, dass ich noch nie Sex hatte. Es ist auch so, dass ich bisher keinerlei Bedürfnis danach verspürte und, nun ja, auch nicht weiß, ob ich je Bedarf nach Sex habe."

„Man hat keinen Bedarf nach Sex", sagte ich, „sondern Lust."

„Nun, dann weiß ich nicht, ob ich je Lust darauf haben werde."

Ich kuschelte mich noch enger an ihn. Ehrlich gesagt, war mir das im Moment egal, ich wollte nur mit ihm zusammen sein.

„Nun", sagte ich deshalb vorsichtig, „ich werde da schon Wege finden."

Wege dich zu überzeugen. Zu verführen. Früher oder später. Dachte ich.

Sherlock jedoch, das ist mir inzwischen klar, hatte das völlig anders verstanden. Er glaubte, ich meinte, Wege, mir meine sexuellen Wünsche zu erfüllen, z.B. außerhalb unserer Beziehung.

„Ja", sagte er, „das ist völlig in Ordnung. Solange dein Herz mir gehört, kann ich deinen Körper mit anderen teilen."

Was? Mein Kopf ruckte herum, ich starrte ihn verblüfft an.

Er nickte mit dem Kopf.

„Ich habe das schon mit Mycroft durchdiskutiert ..."

„Was?!"

„Ich sagte, ich habe das ..."

„Sherlock, ich habe dich akustisch verstanden. Du hast bitte was getan? Du hast unsere zu diesem Zeitpunkt noch nicht mal existierende Beziehung mit deinem Bruder durchdiskutiert?!"

Sherlocks Blick war Verwunderung pur. Er spürte, dass ich mich aufregte, aber er verstand in keinster Weise, warum.

„Sherlock, du hast das zu diesem Zeitpunkt noch völlig hypothetische Sexleben unserer zu diesem Zeitpunkt noch völlig fraglichen Liebesbeziehung mit deinem Bruder, Mycroft, DEINEM BRUDER!, durchgesprochen?"

„Äh ... ja ...?"

„Sherlock!"

Ich schnaubte wütend.

„Und? Zu welchem Ergebnis seid ihr ach so schlauen Holmes-Brüder so gekommen?"

„Nun, dass es vollkommen in Ordnung ist."

„WAS IST VOLLKOMMEN IN ORDNUNG?!"

Zu diesem Zeitpunkt konnte ich nur noch schreien, und Sherlock mich nur noch völlig verwirrt anschauen, da ihm absolut nicht klar war, worüber ich mich so erregte.

„Nun, John, dass wir beide eine ... offene Beziehung führen. So bekommst du Sex, wann immer du ihn brauchst, und ich kann ... mich in meinem Tempo, ganz langsam an alles ran tasten. Außerdem wäre es so für uns beide möglich, zu akzeptieren, falls ich mich tatsächlich niemals an den Gedanken gewöhnen kann, Sex zu haben."

Zu diesem Zeitpunkt ging mein Temperament mit mir durch. Ich sah nur noch rot.

Mit Mycroft! Wie konnte er nur!

Also sprang ich auf, schrie wütend:

„Gut, wenn es das ist, was du willst, dann haben wir eben eine offene Beziehung! Und sag deinem Bruder, er kann mich mal!"

Und dann rannte ich türenknallend auf mein Zimmer.

Eigentlich typisch für uns. Eine halbe Stunde nach unserem Liebesgeständnis einen lautstarken Streit zu haben. Na ja, lautstark war ehrlicherweise nur ich ... egal.

Sherlock jedoch ist bis heute immer noch der Meinung, dass ich derjenige sei, der das mit der offenen Beziehung von Anfang an gewollt hatte.

So gut er deduzieren kann, in Gefühlsdingen ist er so unbeholfen wie ein Baby.

Er und ich und ... andere?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt