Greg plaudert aus dem Nähkästchen

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Ich ging am nächsten Abend tatsächlich aus. Ich traf mich mit Lestrade auf ein Bier im Pub.

Lestrade und ich verstanden uns recht gut, und wir hatten das schon hin und wieder gemacht. Das letzte Mal war allerdings schon eine Weile her. Als ich ihn anrief, um mich mit ihm zu verabreden, war er erst etwas verlegen. Aber das legte sich schnell, so trafen wir uns beide gegen sieben Uhr in meinem Lieblingspub.

„Hallo, Dr. Watson", begrüßte er mich, als ich an den Tisch trat, an dem er schon saß.

„Guten Abend, Detektive Inspector."

Ich gab ihm die Hand und sagte dann schmunzelnd:

„In Anbetracht der Tatsache, dass wir ja jetzt wohl so etwas wie Schwager sind, fände ich es passend, wenn Sie mich John nennen."

Er nickte.

„Einverstanden, John, dann nenn mich aber bitte Greg. Nicht Gregory, dass ist ..." er zögerte, „das ist Mycroft vorbehalten."

Ich grinste.

„Okay, Greg."

Greg hatte uns das erste Bier besorgt.

„Ich war schon ganz schön überrascht, das mit dir und Mycroft hätte ich nicht erwartet."

Greg lief rot an.

„Nun ja, es hat sich eben so ergeben ... er ist für mich anders, weißt du? Nicht so, wie alle Welt ihn kennt, eiskalt und berechnend ... ich kenne den anderen, den wahren Mycroft."

Er sah verlegen auf den Tisch.

Ich nickte, irgendwie kannte ich das. Sherlocks unsichere, kindliche Seite, die ich inzwischen kennengelernt hatte, würden auch nicht viele Menschen zu sehen bekommen.

Wir nahmen beide einen Schluck Bier.

„Ich liebe ihn, und er mich. Alles andere spielt keine Rolle", sagte Greg ruhig und sah mich an.

Ich nickte. Und beschloss, ihm von Mycrofts Avancen mir gegenüber erst mal nichts zu erwähnen. Wenngleich ich mir nicht sicher war, ob ich damit das richtige tat.

„Und... wie läuft es bei dir und Sherlock so?", fragte Greg nach einer Weile.

Ich seufzte.

„Oh", sagte er, „so schwierig?"

„Ja", sagte ich. „Wenn ich Facebook hätte, würde mein Beziehungsstatus 'Es ist kompliziert' lauten."

Greg sah mich erstaunt an.

„Also wenn man euch so sieht, hat man den Eindruck, dass ihr glücklich wärt ..."

„Sind wir auch, aber ..."

Ich wusste nicht, wo ich anfangen sollte.

Greg kam mir zuvor.

„Du hast Probleme damit, dass Sherlock eine offene Beziehung will, oder?"

Ich prustete mein Bier über den Tisch.

„Woher zum Geier weißt du das denn jetzt auch ... ach klar. Mycroft. Der konnte den Mund nicht halten, oder?"

Greg nickte mit verlegenem Grinsen.

„Also jetzt mal raus mit der Sprache", sagte er, „was macht dir so zu schaffen?"

Jetzt war es auch schon egal, also erzählte ich Greg die ganze Geschichte, damit er die Zusammenhänge kannte. Wer weiß, vielleicht kann er mir ja nen vernünftigen Rat geben, dachte ich.

„So ist also die Lage, Greg", beendete ich meinen Monolog. „Kannst du verstehen, dass es mir gerade nicht so gut geht mit alle dem? Kannst du dir vorstellen, wie es dir ginge, wenn Mycroft dir so einen merkwürdigen Vorschlag mache würde?"

„Nun ja", sagte Greg und kratzte sich im Nacken, „ich weiß gar nicht, wie ich das jetzt sagen soll, aber ... John, Mycroft und ich führen eine offene Beziehung."

Gut, dass ich gerade kein Bier im Mund hatte, sonst hätte ich es wieder über den Tisch verteilt.

„John, ich dachte, das wüsstest du, immerhin hat Myke dir ja ein entsprechendes Angebot gemacht ..."

Ich schloss die Augen und schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Lieber Gott, lass mich sterben. Jetzt. Bitte. Ein klassischer Herzinfarkt? Oder ein nettes kleines gerissenes Aneurysma? Bitte!

Aber der Himmel hatte kein Einsehen, ich blieb am Leben, und ich dachte mir zum wiederholten Male: Ach Scheiß drauf, jetzt ist auch schon alles egal.

Aber wie das Leben so spielt: Ich denke, na zumindest kann es jetzt nicht mehr schlimmer kommen.

Und mein Leben sagt: Ätsch, doch!

Wir saßen einander gegenüber, und schauten beide etwas unsicher auf den Tisch.

„Darf ich fragen warum?", fragte ich, in der Hoffnung, irgendetwas aufschlussreiches für meine eigene Situation daraus entnehmen zu können.

„Wir haben halt Bedürfnisse, die sich zwar an einigen Stellen überschneiden, an anderen Stellen jedoch zu unterschiedlich sind, um unter einen Hut gebracht zu werden."

Er drehte sein Bierglas in den Händen.

„Mycroft ist ... na ja, eben Mycroft. Er ist auch im Bett sehr, wie soll ich das ausdrücken, konservativ. Das ist okay, und wir haben da auch ziemlich viel Spaß, aber ... mir genügt das eben nicht, hin und wieder mag in es eben härter."

Ein Blitz, der mich erschlägt? Jetzt? Bitte, ihr himmlischen Mächte!

„Na ja, und weil ich mir mein etwas abenteuerlicheres Vergnügen eben anderswo suche, mit seinem Wissen und Einverständnis, hat er eben auch das Recht, sich andere Partner für seinen Blümchensex zu suchen. Das ist doch völlig in Ordnung, wenn beide es wollen und akzeptieren."

Ich holte, mal wieder, tief Luft.

„Ich verstehe schon, dass die Situation bei euch anders ist. Keine Frage. Aber, John, ich denke ebenso wie Myke. Im Moment ist es wahrscheinlich für euch beide das beste so. Sherlock kann die Sache entspannt angehen, und du hast alle Möglichkeiten offen."

Ich nahm noch einen Schluck Bier.

„Na ja, Greg", sagte ich dann, „ich bin mir dessen zwar immer noch nicht sicher. Aber seis drum. Es ist wie es ist. Könntest du daher Sherlock gegenüber für dich behalten, dass wir beide den Abend zusammen verbracht haben? Wenn er in dem Glauben ist, ich hätte ... nun ja, jemand anderen getroffen, und vielleicht anderes getan als nur Bier trinken ... dann macht er sich weniger Sorgen um meine ... sexuellen Bedürfnisse."

Greg nickte.

Damit schlossen wir das Thema ab. Der Rest des Abends verlief ganz angenehm. Wir unterhielten uns über Fußball; ein Thema, das uns beide interessierte. Über die letzten Fälle. Über Gerüchte und Klatsch aus dem Yard. Über Filme und Musik.

Dabei floss das ein oder andere Bierchen.

Als wir uns verabschiedeten, gingen wir noch ein paar Meter in die gleiche Richtung. Bevor wir uns trennten, blieb Greg stehen, kratzte sich erneut im Nacken uns sagte dann (wir erinnern uns an das „Ätsch, doch!", das mein Leben noch im Ärmel hatte?):

„John, ich mag und schätze dich, und in Anbetracht deiner Situation ... also was ich sagen will ist, wenn du doch irgendwann die offene Beziehung leben willst ... also wie auch immer, falls du Lust hast, ein bisschen BDSM auszuprobieren und zu erfahren, wie sich das anfühlt, ein Sub zu sein ... Ich würde gerne ein paar Spiele mit dir ausprobieren, immerhin bist du gutaussehend und ..."

Den Rest hörte ich nicht mehr.

Ich hatte mich umgedreht und war gegangen.

Bier trinken mit Greg gehörte zu den Dingen, die ich garantiert in absehbarer Zeit nicht mehr mache würde.

Wo bleibt der Tödliche Asthmaanfall, wenn man ihn braucht?

Er und ich und ... andere?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt