Sherlock ist unsicher

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Ich lag auf meinem Bett in meinem Zimmer und dachte nach.

Natürlich war ich noch immer aufgebracht, aber mir war klar, dass ich bei Sherlock immer wieder mit solchen und ähnlichen Überraschungen würde rechnen müssen.

Was sollte ich jetzt also tun?

Nun, das einzig richtig wäre wohl, da runter zu gehen und die Sache richtig zu stellen. Sherlock klar zu machen, dass ich für meinen Teil gar nicht an einer offenen Beziehung interessiert war.

Ich wollte Sherlock. Ich liebte Sherlock. Und die Tatsache, dass er sich mit sexuellen Dingen schwer tat, sah ich nicht als großes Problem an. Entweder würde ich es schaffen, ihm irgendwann zu zeigen, wie wunderschön es ist, körperliche Liebe mit dem Partner zu genießen. Oder, falls sich tatsächlich herausstellen sollte, dass das in seinem Leben keinen Platz hatte, würde ich mich mit Kuscheln zufriedengeben, und mich ansonsten, nun ja, eben die nächsten vierzig Jahre mit Handjobs unter der Dusche begnügen. Zugegebener Maßen waren die mit dem Gedanken an ihn durchaus ... überwältigend. Also seis drum.

Die Liebe, die ich für Sherlock empfand, war mir wichtiger.

Ich liebte ihn ja immerhin schon ein paar Jahre.

Ich hatte mich verliebt, am selben Tag, als wir uns kennen lernten, ich hatte ihn bereits geliebt, als ich den Taxifahrer erschoss. Ich liebte ihn und wäre fast daran zerbrochen, als ich glaubte, dass er tot war. Ich liebte ihn, als ich begann, Mary zu daten. Ich liebte ihn in dem Augenblick, als er vor mir stand und ich begriff, dass er nicht tot war. Ich liebte ihn, als ich mich von Mary trennte, weil er wieder da war.

Und nun ...

Ich wollte nicht mit irgendwem ins Bett gehen. Ich wollte nur mit Sherlock schlafen, und wenn das nicht gehen würde, dann eben mit niemandem.

Also wollte ich gerade aufstehen und nach unten gehen, um reinen Tisch zu machen und klare Verhältnisse zu schaffen, als meine Gedanken mich davon abhielten.

Ich grübelte über Sherlocks Beweggründe nach.

Ich kannte ihn ja nun inzwischen gut genug, um zu wissen, oder sagen wir, hin und wieder mal zu ahnen, was in diesem genialen, aber zwischenmenschlich so unbeholfenen Kopf vorging.

Nun, ich wollte Sex mit ihm, ja. Aber ich wollte natürlich nicht, dass er sich unter Druck gesetzt fühlte. Damit man das nicht falsch versteht: ich würde das nie tun, ich würde ihm und mir alle Zeit lassen, die das brauchte und wie schon gesagt, gegebenenfalls ganz darauf verzichten.

Aber ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er sich selber unter Druck setzten würde.

Um mir zu gefallen, aber auch um sich selbst zu beweisen, dass er, der geniale Sherlock Holmes, auch diese Schwierigkeiten ohne Probleme bewältigen würde.

Also wäre es vielleicht besser, ihn in dem Glauben zu lassen, ich würde mir das, was er mir (noch) nicht geben konnte, mit seinem Einverständnis anderswo holen, und ihm damit den Druck nehmen.

Ich kaute etwas unschlüssig auf einer Lippe herum.

Und dann fasste ich zwei Entschlüsse:

Erstens wollte ich Sherlock zumindest vorübergehend in dem Glauben lassen, ich hätte das mit der offenen Beziehung akzeptiert.

Und zweitens würde ich mit Mycroft darüber reden.

Dank meines Geliebten wusste der ja nun ohnehin schon Bescheid, ich wie ich ihn einschätzte, wusste er auch schon, dass Sherlock und ich nun tatsächlich zueinander gefunden hatten. Ich hatte keine Ahnung, wie der es immer wieder schaffte, einfach alles zu wissen, aber er tat es einfach.

Ich hatte ihn sogar in Verdacht, bei uns in Baker Street 221B eine Kamera installiert zu haben. Oder zumindest eine „Wanze". Ich hatte auch schon gründlich danach gesucht, war allerdings nicht fündig geworden.

Jedenfalls war der Dank Sherlock ja nun eh schon im Bilde, also konnte ich mir genauso gut von ihm Rat und Hilfe holen.

Ich fand, das war er mir schuldig.

Aber jetzt raffte ich mich erst einmal auf, und ging wieder nach unten ins Wohnzimmer.

Sherlock saß auf dem Sofa, hielt ein Kissen mit den Armen fest umklammert und sah mir entgegen.

„John?", fragte er unsicher. „Bist du sehr böse auf mich?"

Das kam so bittend, beinahe kindlich, dass ich nicht anders konnte als zu schmunzeln.

„Na ja, Sherlock", sagte ich. „Begeistert bin ich nicht gerade, dass du solche Dinge mit deinem Bruder besprichst. Ich wünsche mir, dass in Zukunft für solche Dinge, die unsere Partnerschaft betreffen, ich dein erster Ansprechpartner bin, einverstanden?"

Er nickte.

„Heißt das", fragte er, „das du mich immer noch willst?"

„Aber natürlich, mein Schatz. Schau, ich liebe dich. Seit ungefähr einer halben Stunde sind wir ein Paar. Und ich wäre einfach ein mieser Schuft, wenn ich das so schnell schon und nur wegen einer kleinen Meinungsverschiedenheit wieder aufgeben würde, meinst du nicht auch?"

„Ich weiß das nicht, John, für mich ist das alles so neu ... du musst mich an die Hand nehmen und mich diese Dinge lehren."

Er sah mich mit seinen wunderbaren Augen an und setzte leise hinzu: „Bitte."

In diesem Augenblick konnte ich nicht anders, als ihn zu küssen.

Er rückte näher an mich heran und schmiegte sich an mich. Meine Hände fuhren in seine Locken und wuschelten darin herum.

Seine Nähe und Wärme zu spüren, war einfach wunderbar.

„Ich liebe dich, Sherlock", sagte ich. „Und weißt du, wir werden uns mit Sicherheit noch öfter streiten. Aber du musst dann nicht jedes mal Angst haben, dass ich die Beziehung mit dir aufgebe. Das wird nicht geschehen, okay?"

„Gut", sagte er und gab mir noch einen kleinen Kuss.

Er sah jetzt beruhigt, zufrieden und glücklich aus.

Wir hielten uns eine Weile im Arm und sagten nichts. Manchmal muss man einfach das Beieinandersein genießen.

Schließlich nahm er meine Hand und streichelte sie sanft.

„John?", fragte er.

„Ja, Sherlock?"

„Du hast gesagt wir werden uns bestimmt noch öfter streiten."

„Ja", sagte ich und versuchte Sicherheit und Stärke auszustrahlen.

„Ich fürchte, ich werde wohl auch noch öfter Dinge tun, dass du böse auf mich bist."

„Das wird wohl so sein", sagte ich und musste wieder schmunzeln.

„Und, John, du versprichst mir, das auszuhalten? Und trotzdem bei mir zu bleiben?"

„Ja, Sherlock, das verspreche ich. Sicher wirst auch du das ein oder andere Mal böse auf mich sein. Versprich auch du, dass du zu mir stehst ja?"

Er schnaubte und sagte in einem Ton, als hätte ich mal wieder was unaussprechlich dummes gesagt:

„Das ist doch völlig außer Frage, John."

Ich grinste breit und küsste ihn.

„Du, John?"

„Ja, Sherlock?"

„Ich frage mich, ob du mir wohl auch böse sein wirst, wenn ich dir beichte, dass auch Mrs. Hudson bereits über unsere offene Beziehung Bescheid weiß?"

Er und ich und ... andere?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt