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Der Morgen startete beinahe erträglich.
Zumindest, bis Mariku sich dazu entschied, zwei Töpfe aneinander zu schlagen um Bakura zu wecken. Zwar hatte dies geklappt, doch Bakura war nicht sonderlich begeistert.
So saß er nun an diesem schönen Donnerstagmorgen in der Küche, Mariku ihm gegenüber mit einem Nutellabrötchen.
"Wo ist Akefia?", murrte er, während er an seinem eigenen Brot aß.
"Arbeiten. Muss später selber weg, nimm einen Schlüssel mit."
Der Blonde beachtete sein Gegenüber kaum, starrte aber umso genauer auf sein Handy. Anders als Akefia schaffte es der Ältere leider, das Gerät zu bedienen, wie Bakura schnell herausgefunden hatte.
Er ging ebenfalls dazu über, den Älteren zu ignorieren, da Ruhe seitens des Blonden etwas sehr seltenes war. Für gewöhnlich tat er alles, um Bakura zu nerven.

Nach einem zufälligen Blick auf die Uhr nahm sich Bakura unwillig seine Schultasche und verließ ohne große Worte die Wohnung.
Hektisch lief er die Treppen herab, ging dann durch die Tür des Gebäudes und erstarrte.
Die Luft war von angenehm kühl, wie er die vorherigen Tage empfunden hatte, zu fast schon eisig geworden. Zwar war er das von der Nacht gewohnt, aber da konnte er sich wenigstens unter seiner warmen Decke verkriechen. Außerdem hatte er wohl noch nie eine solche Kälte wahrgenommen, da es auch in der Nacht in Kairo selten unter 10°C wurde.
Er nahm noch einmal das Handy aus der Hosentasche und drückte auf die Wetterapp, die ihm einen kleinen Schock brachte. 3°C, etwas, was ihm bisher komplett fremd gewesen war. Fast bekam er schon Heimweh nach der Wärme seiner Heimat, dann jedoch richtete er seinen Kragen auf und ging in Richtung Schule.
Zwar schützte ihn der Kragen nicht viel, aber es wehrte den leichten Wind ab, der ihm sonst ihn den Nacken blies.

Er lief ein wenig, bis er sich sicher war, dass Mariku ihn absolut nicht mehr sehen konnte.
Dann ging er in eine kleine Seitengasse, öffnete sein Hemd und zog es samt Jackett aus, um beides in seine Schultasche zu stopfen und einen grau schwarz gestreiften Kapuzenpullover überzuziehen.
Sobald er seine Aktion beendet hatte, ging er wieder auf die große Hauptstraße und sah sich zwischen den Menschen um. Beinahe fühlte er sich einsam, doch dann schoss ihm wieder durch den Kopf, dass er niemanden brauchte.
Ich bin stark genug. Ich brauche keinen unnötigen Ballast.

Ryos Blick lag fast die ganze Stunde über auf dem leeren Platz Bakuras, welcher nicht zum Unterricht erschienen war.
Er war weder krank gemeldet worden, noch hatte jemand eine Idee, wo er war. Und nun, zum Ende der ersten Doppelstunde, war er immer noch nicht da.
"Wer bringt Touzoku-kun die Materialien?" Auf die Frage des Mathelehrers waren alle ruhig, bis er einfach seufzend auf Ryo zeigte. "Bakura-kun, Sie haben doch sicher Zeit dafür. Kommen Sie nach vorne, ich werde Ihnen die Adresse geben. Raus mit euch."
Yugi und der Rest der Gruppe wollte vorgehen, während Ryo zum Lehrer nach vorne ging und stumm den kleinen Stapel Blätter entgegen nahm.
"Würde es Ihnen etwas ausmachen, Touzoku-kun auch die Notizen zu geben?", fragte der Mann, während er auf einen Zettel die vermeintliche Adresse kritzelte.
"Kann ich machen. Äh, Sensei, könnte ich Sie um etwas bitten?"
Er nahm den Zettel entgegen und sah das Nicken des Mannes, woraufhin er fort fuhr. "Touzoku-kun will Bakura genannt werden, darum wollte ich Sie bitten, mich Ryo zu nennen."
"Wenn Sie das so wollen, Ryo-kun, dann gerne. Nur will ich keinen Ärger mit Ihren Eltern haben." Er entließ Ryo mit einem scherzenden Lächeln, sodass der Weißhaarige noch rechtzeitig zu seiner Englischstunde kam.

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis die Schulglocke das Ende des Tages ankündigte, aber dann war die Zeit endlich gekommen.
Ryo verabschiedete sich von Yugi und Anzu mit einer kurzen Umarmung und von Honda und Jono bekam er jeweils ein High-Five, wie sie es jeden Tag taten. Dann machte er sich auf, um die Schuhe zu wechseln und seinen Weg nach Hause anzutreten.
Heute regnete es zwar nicht, aber kalt und feucht war es draußen dennoch. So kam es, dass Ryo bald sein Jackett gegen die etwas dickere Jacke eintauschte, die er in seiner Tasche hatte.
Er ging schnell in die Richtung seiner Wohnung, um dort nur kurz seine Sachen auszuräumen und die Notizen und Blätter dann wieder in die Tasche zu packen, dann eine braune Winterjacke anzuziehen mit blauem Schal und einen Regenschirm für den schlimmsten Fall zu greifen.
Sobald alles getan war, öffnete er wieder seine Tür, rannte die Treppen herunter und ging auch zur Haustür, um diesmal den Weg zum Löwenkäfig anzutreten.

Wer wusste schon, wie Bakurs wohl lebte?
Während er lief lagen im die verrücktesten Ideen im Kopf. Vielleicht war er ja der Sohn eines stinkreichen Paares, wie der Leiter der Kaiba CORP.; oder er lebte allein in einem winzigen, verdreckten Appartement.
Vielleicht war Bakura aber auch einfach mit seiner Familie hergezogen und lebte mit dieser zusammen in einer schönen Wohnung... Wenn er ehrlich war, hatte Ryo keine Ahnung, was er zu erwarten hatte.

So war er weder enttäuscht, noch erstaunt, als er vor einem gewöhnlichen Mehrfamilienhaus stand. Es war eines der billigen, dass konnte man sofort erkennen, wenn man schon einmal eines gesehen hatte.
Es erinnerte ihn ein wenig an das eine Mal, als sie Jono besuchen wollten und dann herausfanden, wie dieser lebte... Für Ryo war es ein kleiner Schock gewesen, denn finanzielle Probleme hatte er noch nie gehabt. Sein Vater verdiente gut, zahlte ihm die Wohnung und schickte ihm monatlich Geld, damit er nicht arbeiten musste. (Nicht, dass die Schulordnung dies zuließ...)
Aber als sie damals vor dem heruntergekommenen Komplex standen und später die kleine, verdreckte Wohnung sahen, die Jono mit seinem Vater bewohnte, hatte es sie wohl alle wach gerüttelt.
In Gedanken versunken musterte er die Klingeln, immer und immer wieder, bis ihn eine tiefe Stimme aufschreckte.
"Suchst du was, Junge?"
Ryo fuhr herum und erwartete einen großen, Angst einflößenden Mann.
Stattdessen stand ein etwas kleinerer Mann vor ihm, der trotz seiner Größe immer noch verdammt einschüchternd war. (Hätte Ryo schätzen müssen, hätte er den gebräunten Fremden auf 1,70 geschätzt; kleiner als er selbst!*)
"Äh..."
"Wenn du hier nichts zu suchen hast, dann verschwinde." Damit zog der Fremde einen Schüssel hervor und ging zur Tür.
Beinahe hätte Ryo seine Stimme wiedergefunden, aber als er sich gerade rechtfertigen wollte, bemerkte er die grässliche Narbe im Gesicht des Mannes. Letzten Endes brachte er ein "Iugh" raus (er wusste nicht einmal, dass es so ein Geräusch gab), und der Mann sah ihn verwirrt über die Schulter an.
"Bist du in Ordnung?" Keine Sorge, keine Höflichkeit - Nur eine sarkastische Frage.
"Äh, ich soll Tou - Bakura-kun die Unterlagen bringen, kennen, äh, Sie ihn vielleicht?"
Die Wangen des Albinos waren in einen leicht rosafarbenen Ton gefallen und kurz dachte er, der Fremde würde ihn auslachen oder verscheuchen. Die Reaktion war definitiv unerwartet.
"Kura? Komm mal mit, Kleiner, ich denk da kann ich aushelfen."
Unter seinem Atem murmelte Ryo etwas, um auf den Größenunterschied hinzudeuten, doch sollte der Kleinere dies gehört haben, so ignorierte er es.
Jetzt, da er hinter dem Mann herlief, konnte Ryo sogar etwas mehr von ihm erkennen. Dunkle Haut, die einige kleine Narben aufwies, dunkler Anzug und ein schwarzer Hut, der nur wenig der gräulichen Haare zeigte.
Noch dazu war er trotz seiner Größe gut gebaut, viel muskulöser als Ryo, und hatte etwas an seiner Haltung, was den Schüler einschüchterte.

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis der Fremde stehen blieb und ihn über die Schulter aus kalten, violetten Augen ansah. "Mein Name ist Akefia Touzoku, Wurm."
Damit schloss er die Tür auf und trat zur Seite, um Ryo den Vortritt zu lassen. Doch sobald die Tür hinter den Beiden ins Schloss gefallen war, wollte Ryo wieder verschwinden.
"Bakura, du kleine Missgeburt, warum warst du nicht in der Schule?!", brüllte Akefia durch die kleine, aber saubere, Wohnung.
Zuerst kam keine Antwort und Ryo zuckte einfach nur an die Wand zurück, dann aber wurde eine Tür aufgerissen und Bakura erschien im kleinen Flur.
Der Größte der dreien, in diesem Falle also Bakura, starrte zuerst Ryo kalt in die Augen, dann seinem Bruder.
"Lass mich in Ruhe."
"Mach's nochmal und du fliegst raus. Hab keineZeit für deinen Scheiß."
Damit drückte er sich an Bakura vorbei, welcher noch versuchte, den Älteren an den Haaren zu ziehen. Stattdessen hatte er plötzlich den Hut in der Hand und starrte diesen nieder.
Und dann sah er wieder zu Ryo.

*Laut Wiki und anderen Quellen ist Akefia 1,71 m groß, was für unsere Zeit normal bis klein für einen Mann unter dem Durchschnitt in Deutschland, dafür aber im Durchschnitt Ägyptens liegt. Ryo selbst ist 1,76 m und somit größer als der liebe Kefi~ (Quelle: Google XD)

Jetlag  (Arbeitstitel)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt