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*Kriege ich vielleicht einen kleinen Applaus für meinen Aufwand? Ich saß viel zu lange an dem Bild...*

Ryo lächelte, als er das gewünschte Profil fand. Das Lächeln verschwand aber schnell.
Die Infos auf dem Profil waren kaum vorhanden, nur eine Bio und zwei Fotos waren zu finden. Die Bio, bestehend aus "Fuck off.", war nicht gerade hilfreich und die Fotos waren das Profilbild, welches knapp ein Jahr alt war, und einem Bild von einem Strand. Ansonsten konnte man nicht einmal das Alter sehen, was Ryo milde frustrierte.
Mit einem letzten Funken Hoffnung tippte er auf das kleine Feld, welches "Freunde" zeigte.
Tatsächlich wurde er fündig und fand zwei Personen in der Liste. Eine davon hieß Malik, die andere Akefia, und beide hatten kein Profilbild.
Kurz wollte er aufgeben und hatte das Handy bereits ausgeschaltet, aber dann machte er es wieder an und klickte auf den ersten Namen. Er hatte lange genug herumgeschnüffelt, ein oder zwei Profile mehr oder weniger machten keinen Unterschied mehr.

Malik Ishtar war nicht gerade die Person, die Ryo erwartet hatte.
Zwar hatte er kein Profilbild, aber er hatte Bilder. Jedoch waren die meisten Selfies oder Bilder eines Motorrads, was nicht viel zum Thema "Bakura" beibrachte.
Als er schon aufgeben wollte und das Profil des anderen durchgucken, sah er ein interessantes Bild.
Ein Bild von Malik und Bakura, wie Malik gerade fröhlich seinen Motorrad Helm abnimmt und Bakura fast schon genervt daneben steht. Dennoch konnte Ryo einen großen Unterschied erkennen - sein Ebenbild war nicht einmal halb so schlecht drauf wie in der Schule.
Sah man genau hin konnte man beinahe ein leichtes Lächeln erkennen, aber es konnte auch nur Ryos Einbildung sein.
Malik währenddessen lächelte auf fast jedem Bild, und wenn er nicht lächelte, dann zog er die verschiedensten Gesichter - einmal ernst, dann dämlich, dann theatralisch weinend.
Sobald er noch ein wenig die Timeline verfolgte, merkte er, dass Bakura wohl doch etwas wie einen Freund hatte. Er fand zum Beispiel ein Bild, in dem er und Malik an einer Konsole zusammen spielten und eines, in dem sie in einem Bett lagen, das mit Büchern praktisch zugekleistert war. Über fast jedem lautete die Überschrift Muss Ishizu mal mein Handy wegnehmen :P"

Entschlossen ging er nun auf das zweite Profil, in der Hoffnung, noch einen Freund Bakuras zu finden.
Aber sobald er genauer hinsah, wurde ihm schnell klar, dass Akefia kein "Freund" war.
Zum einen hatte er denselben Nachnamen wie Bakura, aber auf dem einzigen Bild konnte Ryo nicht direkt ausmachen, ob es sich um einen Bruder oder den Vater des Weißhaarigen handelte. Die Narbe des Mannes zog seine Aufmerksamkeit auf sich und er sah auf die Bildbeschriftung, um vielleicht den Ursprung herauszufinden - stattdessen zuckte er zusammen.
"Haben endlich den Löffel abgegeben - War auch langsam Zeit. Beerdigung langweilig, niemand hier außer Miesepeter."
Danach hatte er Bakura markiert und Ryo erkannte fast sofort, dass das Bild wohl von jener Beerdigung stammte. Der Mann trug einen Anzug, wie er nun bemerkte, und im Hintergrund konnte er fast schon schwören, Bakuras Haare zu sehen - aber eben nur fast.
Die Kommentare bestanden aus den üblichen Floskeln ("Tut mir so leid" "Hoffe euch geht's gut") und beinahe hätte er vor Nostalgie gelacht. Menschen konnten verdammt gut lügen.
Ein Kommentar zog aber seine Aufmerksamkeit an.
"He, armer Lappen - Heul nicht rum."
Zwar war Ryo kein Fan von gefälschtem Mitleid, aber etwas netter konnte man es schon ausdrücken. Er kümmerte sich nicht einmal um das Profil, sondern machte sich auf den Weg durch endlos viele Statusmeldungen. ("Jugendamt, wie schön, wieder hier zu sein." "23, yay...")
Das einzige, was das Profil des Mannes ihm sagte, war, dass Bakura einen Cousin oder Bruder hatte, der in der Stadt lebte. Aber über die Interessen seines Ebenbildes sagte ihm dies immer noch nichts.

Ryo sah von seinem Handy auf und bemerkte den Teller kalte Spaghetti, die seit einer halben Stunde unbeachtet auf dem Tisch gestanden hatten.
Peinlich berührt nahm er den Teller und packte den Inhalt in eine Tupperbox, um es darin in den Kühlschrank zu stellen. Wie er sich selbst kannte würde er es später aufwärmen und dann essen.
Danach spülte er den Teller und die Töpfe, beachtete dabei das Handy nicht (oder versuchte es zumindest) und ging dann nach oben, um die Schuluniform loszuwerden.
Während er die Treppe in seiner Wohnung hochlief, dachte er ausnahmsweise nicht über Bakura nach. Stattdessen dachte er über seine ungesunden Angewohnheiten nach, wie entweder viel zu wenig oder in langen Abständen zu essen.
Er fragte sich, woher er das hatte, schob es aber schnell auf den Stress in der Schule. Die Oberschule war immerhin nicht leicht und viele gewohnten sich an, praktisch vom Nötigsten zu leben. Wenn er sich recht erinnerte, hatte es einer in der Klasse so weit getrieben, dass er für zwei Tage im Krankenhaus war und somit die Prüfung verpasste, wegen welcher er durchgehend bis zum Umfallen geübt hatte. Umfallen selbstverständlich im wörtlichen Sinne, der Kerl war im Sportunterricht umgekippt.
Während seine Gedanken einfach umherschwirrten nahm er sich einen Pyjama aus dem Schrank und legte das Jackett über die Lehne seines Stuhls, bevor er gedankenverloren ins Badezimmer ging. Er zog die Schuluniform aus und packte das Hemd mit der Hose in die Waschmaschine.
Nach den letzten Jahren wusste er, wie man das Teil waschen musste, und schaltete somit die Maschine ein, dann drehte er das Wasser der Dusche aus und vollbrachte die restliche Abendroutine, bevor er sich einen Pferdeschwanz bindend in sein Zimmer begab und sich mit einem Buch ins Bett legte.
Ryo wusste, er würde noch eine Weile wach sein, allein schon da er seine Hausaufgaben fertig machen musste. Dennoch zog er es vor, in seinem schön warmen Schlafanzug zu sein und verhinderte gleichzeitig unnötige Falten in seiner Uniform. Er war nun mal ein voraus denkender Mensch.

Während Ryo eingekuschelt sein Buch las, lag Bakura im Bett und hatte sich das Kissen über den Kopf gedrückt.
Mariku und Akefia nahmen keinerlei Rücksicht auf ihn, was so viel bedeutete wie hirnloses Geschrei und Gelächter. Der Weißhaarige wusste bereits, dass dieses Jahr die Hölle sein würde.
"Und dann heißt es immer, mit 17 hat man keine Probleme...", murrte er in sein Kissen und bemerkte zuerst kaum, dass sein Handy auf dem Schreibtisch vibrierte. Als es sivh jedoch wiederholte nahm er das Kissen vom Kopf und starrte auf das nervige Gerät.
Im Grunde fand er es nur nervig, da er did Menschen nervig fand, mit denen er über das Gerät sprechen musste. Familie, Klassenkameraden, Akefia. Alles in einem hatte er vielleicht zwanzig eingespeicherte Kontakte, wobei er nur mit zwei davon regelmäßig und freiwillig schrieb.
Nahm man es genau schrieb er nur mit einer Person freiwillig, aber einen Freund würde er diese Person immer noch nicht nennen. Malik war zwar irgendwie Teil der Familie geworden, aber er wollte nicht akzeptieren, eine Person zu mögen. So etwas passte einfach nicht zum einzelgängerischen Bakura.
Im Grunde kannte er Malik nur, da dieser Marikus Bruder war. Aber anders als dieser war Malik eine fast schon freundliche Person, wenn auch etwas selbstbesessen manchmal. Er würde ja selbstverliebt sagen, aber besessen traf eher zu... Man musste nur einen Blick auf die Social Media Accounts des Ägypters werfen.
Bakura drückte es gerne als das "Kim Kardashian Syndrom" aus, wobei er sich fast schon sicher war, dass der Blonde mehr Selfies hatte als die Prominente. Ob dies nun schlecht oder gut war konnte man selbst entscheiden.
Dennoch hatte ihm der Ältere oft geholfen und war einer der wenigen Menschen, denen Bakura vertrauen konnte. Malik hatte ihn nie verraten, wenn er mal wieder aus Frust die Schule geschwänzt hatte oder eine 6 bekommen hatte, woraufhin er die Unterschrift der Eltern oftmals fälschte. Der Ägypter war fast wie ein Bruderersatz für ihn, wenn man es denn so sehen wollte.

Das Handy machte erneut auf sich aufmerksam und riss Bakura somit aus seinen Gedanken, was dem kleinen Stück Technik einen eisigen Blick bescherte.
Er stand auf und nahm das kleine Ding in die Hand, drückte auf den Knopf zum anschalten und starrte einige Sekunden auf den Bildschirm. Warum besaß er das verhasste Ding überhaupt?
Er ignorierte die Nachrichten der Klassengruppe (er rätselte nur kurz herum, woher die seine Nummer hatten) und ging direkt auf die andere Nachricht, die wie zu erwarten von Malik stammte.
Man ey, Ishizu nervt... Wie war der Tag so?
Ein kleines Lächeln zog sich kurz durch sein Gesicht, dann verschwand es und er setzte sich tippend wieder aufs Bett. Wenigstens war der Lärm aus dem Wohnzimmer nun ertragbar.

Jetlag  (Arbeitstitel)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt