Seattle

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Seattle, das verregnete Seattle, war eigentlich ziemlich trocken. Na klar, die Luft war feuchter und es roch stärker nach Meer, als in Montana, aber im großen und ganzen war es ein ziemlich schöner Platz um Urlaub zu machen.
Neben den Sehenswürdigkeiten, wie dem Space Needle oder dem Seattle Art Museum, freute ich mich dermaßen auf die freie Zeit, die ich unbedingt auf dem Pike Place Market verbringen wollte. Ich hatte schon so viele tolle Dinge darüber gehört und wollte dieses Gefühl, über das alle so schwärmten unbedingt selber mal erleben.
Maggie stiefelte vor mir her und versuchte ihren Koffer über eine Bordsteinkante zu heben ohne sich zu sehr anstrengen zu müssen. Cameron trat neben mich und grinste, als er mir wortlos mein Gepäck aus der Hand nahm und es mühelos trug. Ein dünner Schweißfilm lag auf seiner Stirn und ich schmunzelte. Die feuchte Luft machte ihm also auch zu schaffen. Doch während er dabei verdammt heiß aussah, glich ich wohl eher einem ersoffenen Pudel. Cam zwinkerte mir zu und strich sich einige verirrte Strähnen aus dem Gesicht.
"Okay, rück schon raus. Was willst du?", fragte ich und verdrehte die Augen. Er wollte sich bei mir unterhaken, doch ich machte einen Schritt zur Seite. Engeistert starrte er mich an und fasste sich theatralisch an die Brust.
"Was? Ich darf deinen Koffer schleppen, mich für dich abrackern und emotional erniedrigen lassen, aber anfassen darf ich dich nicht?", rief er aus und verzog das Gesicht. Lachend schüttelte ich den Kopf und rieb mir übers Kinn.
"Wow, bist du jetzt fertig?"
"Ja, du machst mich fertig."
"So hab ich das nicht gemeint", seufzte ich und riss ihm meinen Koffer aus der starken Hand. Cam warf den Kopf in den Nacken und lachte. So richtig aus dem Bauch raus. Mein Magen begann zu kribbeln und ich vermied es ihn weiter anzustarren. Sonst täte ich noch etwas Blödes. Wie zum Beispiel ihn anzuspringen und die Kleider vom Körper zu reißen. Den Blick stur nach vorne gerichtet, trottete ich Maggie weiter hinterher und versuchte es zu vermeiden knallrot zu werden. Plötzlich spürte ich seinen warmen Atem auf meiner Wange und seine weichen Lippen an meinem Ohr. Ich bekam sofort eine Gänsehaut. Mein dämlicher Körper wollte sich einfach nicht an seine Berührungen gewöhnen.
"Ganz schön unartig", flüsterte er und ich fuhr zusammen. Verdammt. Ich hatte doch wohl nicht laut gedacht?
"Ich weiß nicht, wovon du sprichst", sagte ich und schluckte schwer. Mein blöder Kopf wurde sofort hochrot.
"Du musst dich doch nicht dafür schämen", bemerkte er und grinste frech. War der jetzt etwa unter die Gedankenleser gegangen?
"Lass es sein, Cameron", zischte ich und umklammerte den Griff meines Koffers noch stärker.
"Wieso? Du hättest dich wenigstens bedanken können", sagte er beiläufig und strich mir einige Haare aus dem Nacken.
"Wie bitte?", rief ich und meine Stimme überschlug sich dabei fast. Ich fiel vom Glauben ab. Ganz bestimmt.
"Na, ich hab dir deinen Koffer abgenommen. Es war ziemlich unartig, dass du dich nicht mal bedankt hast." Oh mein Gott, war das peinlich. Boden tu dich auf und verschlinge mich. Verdammter Cameron.
"Das...das wusste ich", brummte ich. Ja, Jules. Sehr überzeugend. Er war anscheinend gleicher Meinung, denn er lachte erneut auf.
Die Gruppe kam zum Stehen und ich holte tief Luft, während ich so viel Abstand zwischen uns schaffte, wie möglich.
"Liebe Leute, ich weiß es ist alles sehr aufregend. Aber hier geht es nicht um Urlaub, sondern darum die Kultur dieses Landes zu erkunden", rief Mr Ford und klatschte in die Hände. Sein Jakett war zerknittert und auf seiner faltigen Haut bildete sich ein Sonnenbrand.
"Die Kultur von Amerika bevor oder nachdem sie die Indianer abgeschlachtet haben?", fragte Maggie mich und verdrehte die Augen. Obwohl sie ein echtes Cowgirl war, hatte sie wirklich nichts über für ihre "Landsleute" aus dem Wilden Westen. Ich seufzte und versuchte mich auf Mr Ford zu konzentrieren, doch Cam kickte immer wieder kleine Steinchen gegen meine Beine. Genervt funkelte ich ihn an und ich schwöre, wenn Blicke töten könnten, dann würde Britney jetzt Cameron eine Mund-zu-Mund-Beatmung verpassen. Doch alles was ich von ihm bekam, war ein dreistes Grinsen und noch mehr Steine in meinen Schuhen.
"In Ordnung, meine Damen und Herrren. Sie haben mir im Vorfeld schon die Zimmerverteilung bekannt gegeben und organisiert wie ich bin, habe ich bereits die Schlüssel besorgt", verkündete unser Lehrer und tastete seine Taschen ab. "Hach, wo gab ich sie denn nur?" Organisiert wie immer? Alles klar. "Oh, da sind sie ja. Also, bevor ich Ihnen nun Ihre Schlüssel gebe, möchte ich Sie noch einmal darauf hinweisen, dass die Zimmerverteilung unbedingt eingehalten werden sollte. Ich habe keine Lust auf ungewollte Schwangerschaften und Syphilis. Also, bitte, lassen Sie es mich nicht bereuen diese Fahrt mit Ihnen zu machen." Ich verzog das Gesicht, während die anderen laut aufstöhnten.

Ich wusste, dass Maggie und ich ein gemeinsames Zimmer hatten, aber dass Susan auch noch dabei war, das hatte die liebe Miss O'Hare mir verschwiegen. Normalerweise hätte ich gefragt, wer das Bett am Fenster wollte, aber ich war stinkig. Deshalb drehte sich in meinem Kopf alles nur um mich und ich hiefte meinen Koffer auf die kahle Matratze.
Maggie strahlte mich an und stellte sich mit den Händen in den Hüften vor die Fensterfront mit dem Blick auf Puget Sound. Tatsächlich segelten Möwen über die Meeresbucht und der morgendliche Nebel verzog sich gen Himmel.
Ich packte sie am Oberarm und zerrte sie ins Badezimmer.
"Was soll'n das?", fragte sie und starrte mich aus ihren grünen Augen an. Ihre roten Korkenzieherlocken umrahmten ihr blasses Gesicht und ihre mit Sommersprossen übersäte Nase war gerümpft.
"Susan Miller?! Ist das dein verdammter Ernst?" Sie verschränkte die Arme vor der Brust.
"Was hast du denn gegen sie?"
"Alle sagen, dass sie schnarcht!", rief ich unterdrückt und lehnte mich gegen die kühle, geflieste Wand.
"Also kann Julianne Summers keine schnarchenden Menschen ertragen? Weil sie sonst nicht genug Schönheitsschlaf bekommt?", zischte sie und verzog das Gesicht.
"Bin ich hier im falschen Film oder hast du mich gerade tatsächlich angezickt?", fuhr ich sie an und trat einen Schritt auf sie zu.
"Genau. Unsere Julianne Summers hält sich doch immer für was besseres. Nur, weil du aus New York kommst. Du brauchst doch niemanden als dich selber. Und dieses dämliche Herumgezicke mit Cameron. Du hast es wirklich nötig!" Ich ruckte zurück und starrte sie an. What the fuck?
"Alles klar. Wenn du so denkst. Du scheinst eine perveserse Genugtuung zu empfinden, wenn du meinen ganzen Namen verwendest. Supi", sagte ich, reckte mein Kinn und stapfte zurück ins Zimmer. Mit zitternden Händen griff ich nach meiner Tasche und flüchtete förmlich aus unserem Raum.
"Hey! Warte! Es tut mir leid!", schrie Maggie plötzlich und hechtete hinter mir her. Sie hatte mich wirklich verletzt. Und zwar so richtig. Meine Freunde aus New York würden heute noch einen Anruf bekommen. An die konnte ich mich wenigstens halten.
"Ja, mir auch", flüsterte ich und machte die Tür hinter mir und genau vor ihrer Nase zu. Mir auch.

Fighting Cameron Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt