Kapitel 12

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Ich erstarrte und versuchte angestrengt zu verhindern, dass mir die Tränen in die Augen traten.

Vergeblich.

Warum tat es so weh das zu hören? Ich sollte es doch mittlerweile schon langsam gewoht sein, oder?
Eine Träne stahl sich aus meinen Augenwinkeln und kullerte langsam über mein
Gesicht, bis sie schließlich an meinem Kinn hängen blieb.

Finn sah kurz etwas erschrocken aus, doch nur für einen kleinen Moment. Denn dann war da wieder dieses fiese, asoziale Grinsen, das jedes Mal ein heftiges Jucken in meiner rechten Faust verursachte.

"Was ist? Kommst du nicht damit klar so genannt zu werden? Aber so nennt man nun mal Mädchen, die sich durch die halbe Schule vögeln"

Er hatte seinen Griff etwas gelockert, also riss ich meine Hände aus seinen und starrte ihn wütend an.
"Du hast absolut keine Ahnung, Finnley. Von gar nichts", zischte ich, schnappte meine Tasche und stolperte von ihm weg, zum Gehsteig, der zu mir nachhause führte.
Währenddessen rannen immer mehr Tränen über meine Wange, die ich allerdings unwirsch wegwischte. Nach der Aktion war echt das Letzte, was ich wollte, dass er mich auch noch heulen sah!

Er hätte mir alles an den Kopf werfen können und es hätte mir nichts ausgemacht, wirklich alles! Doch er hatte genau den einen, wundesten aller Punkte in meiner Seele getroffen. Nämlich so richtig brutal.

Der Wichser konnte mich mal! Ich war eine starke, unabhängige Frau. Ich durfte mich von so was nicht unterkriegen lassen.

Plötzlich ertönten schnelle Schritte hinter mir und gleich darauf tauchte Finn wieder neben mir auf.

"Von was hab ich absolut keine Ahnung?", fragte er und klang zur Abwechslung mal nicht spöttisch oder arrogant, sondern einfach ehrlich interessiert.

Ich schüttelte den Kopf.

"Lass mich einfach in Ruhe. Du würdest es eh nicht ernst nehmen...oder mir glauben", murmelte ich und beschleunigte meine Schritte.
Doch Finn wäre nicht Kapitän der Footballmannschaft, wenn er nicht mühelos mit mir Schritt hätte halten können.

"Woher willst du das wissen?", hakte er nach, während er mühelos neben mir her lief.

"Weil es dich sowieso einen Dreck interessiert, wie es mir geht, deswegen!"

Er runzelte die Stirn.

"Stimmt gar nicht...ich will wissen warum du weinst", erwiderte er und erst jetzt merkte ich, dass ich immer noch stumm vor mich hin heulte.
Na wahnsinnig toll...der Tag konnte ja nur noch besser werden...

Aprupt blieb ich stehen und starrte ihn wütend an.

"Okay, wenn dus wirklich wissen willst: ich bin Jungfrau. Und ich hab genau genommen noch nicht mal richtig jemanden geküsst oder sonst was. Und dieser ganze Scheiß von wegen Schulschlampe kommt nur von Nicole, weil sie mir eins reinwischen wollte...wofür auch immer! Jedenfalls bin ich alleine wegen ihr bei der ganzen Schule so was von unten durch und werde seit Jahren von irgendwelchen Idioten wie dir angegraben, die meinen, dass ich sowieso keine Ansprüche hab und mit jedem ins Bett geh...und die dann meinen ich bin arrogant oder eingebildet oder was weiß ich, weil ichs nicht mit ihnen mach und dann nur noch weiter rumerzählen was für eine Schlampe ich nicht bin! Und genau deswegen hab ich auch geheult! Weil ich es verdammt nochmal satt habe, die ganze Zeit als irgendetwas oder irgendjemand bezeichnet zu werden, was ich hundertprozentig nicht bin. Also falls du dir eine mega geile Nacht erhofft hast, kannst du das gleich mal knicken, weil ich absolut keine Ahnung hab wie man mit einem Jungen schläft. Also theoretisch natürlich schon, aber ich hab eben keinen Plan was ich da machen soll oder so...aber naja...dann hast du wenigstens danach noch was zu lachen und etwas, das du deinen kleinen Freunden und Nicole erzählen kannst!"

Wow...jetzt war es raus.

Alles was sich über Jahre in mir angestaut hatte, aber nie gesagt wurde, hatte ich nun Finn Sewell mitten ins Gesicht gepfeffert...und es fühlte sich einfach hammermäßig gut an!

Mit dem festesten Blick, den ich im Moment zusammenbrachte, sah ich auf in sein asozial schönes Gesicht und hatte absolut keine Ahnung, was er jetzt tun oder sagen würde.

Aber es war definitiv nicht das gewesen, was jetzt kam.

Er kam nämlich einen Schritt auf mich zu und noch bevor ich irgendwie hätte reagieren können, waren seine Arme auch schon um meinen Körper geschlungen und mein Kopf an seine muskulöse Brust gedrückt worden.

Mein erster Impuls war ihn von mir wegzuschieben und anzuschreien.

Okay nein, das war eigentlich erst mein zweiter Impuls.

Mein wirklicher erster Impuls war einfach die Augen zu schließen und hemmungslos sein Tshirt voll zu heulen.

Naja, schlussendlich entschied ich mich für den berühmten Goldenen Mittelweg und blieb einfach stumm und starr stehen während seine starken Arme weiter meinen Körper umschlossen.

Ich gebs echt nicht gerne zu, aber es fühlte sich richtig gut an. So warm und tröstend. Und seinen unheimlich süßen Duft nach irgendeinem sauteuren Parfum, gemischt mit seinem betörenden Aftershave nicht zu vergessen.

Gott, hoffentlich ließ er mich nie wieder los...

Wow, wow, wow, Moment mal! Hatte ich das grad wirklich gedacht? Julie, jetzt komm mal runter von deiner Kifferwolke! Das ist Finn Sewell, der dich da grad an sich presst! Und du magst ihn nicht, schon vergessen?

Bevor ich mich noch weiter mit meinem Scheißunterbewusstsein zoffen konnte, löste sich Finn von mir, fuhr sich etwas verlegen durchs Haar und trat wieder einen Schritt zurück.

Was nein, bleib da! Oder warte...nein, geh weg...mann, wieso war ich so verwirrt?!

In diesem Moment war ich echt froh, dass niemand meine Gedanken lesen konnte...das wäre nämlich erstens ziemlich armselig und peinlich und zweitens müsste man denken ich wäre komplett gestört.
Hm, vielleicht war ich das ja auch...Ich meine immerhin hatte ich mich grade von Schlumpfi Oberarsch umarmen lassen...und es noch dazu genossen!

Finn lachte.

"Du schaust mich an, als hätte ich grad Hundebabys mit Benzin übergossen und angezündet"

Ich starrte ihn einfach nur weiter an, immer noch ziemlich fassungslos.

"Warum hast du das gemacht?"

"Hab ich nicht. Ich würde nie Hundebabys anzünden", erwiderte er und ich raffte eine Sekunde lang erst mal nicht, was er da überhaupt redete.

"Du weißt was ich mein! Warum zur Hölle umarmst du mich?!"

Er zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung, du hast einfach so arm und einsam ausgesehen...und ich hab mal gehört, dass es Mädchen dann besser geht, wenn man sie umarmt", erklärte er und kratzte sich verlegen am Kopf.

Mein Mund klappte auf und wahrscheinlich sah ich grad so richtig, richtig bescheuert aus, aber das war mir egal.
In was für einem Scheißfilm war ich jetzt bitte gelandet?
Seit wann interessierte sich Finn Sewell dafür wie es mir ging? Das passte einfach nicht zusammen!

"Aber...warum? Du hasst mich doch!", rutschte es mir, ziemlich laut, heraus und Finn runzelte die Stirn.

"Ich hab nie gesagt, dass ich dich hasse. Ich mein immerhin will ich mit dir schlafen und stell mich dafür sogar singend, in Strumpfhose auf ne Bühne...so viel Mühe hab ich mir bis jetzt noch nie für Sex gegeben, das kannst du mir glauben."

Er sah mich durch seine dichten Wimpern hindurch an und ganz plötzlich hatte ich diesen irren und absolut unverständlichen Impuls ihn küssen zu wollen...was ich natürlich gleich wieder verwarf.

"Du...du weißt aber, dass ich nur geblufft hab und nicht wirklich vorhab mit dir zu schlafen...das hast du selbst gesagt...also warum singst du trotzdem?"

Wieder dieses typische Finn-Grinsen. Okay, puh, so war er gleich viel weniger unheimlich.

"Weil ich mich an Abmachungen halte. Und weil du es auch tun wirst", antwortete er schlicht, so als wäre das selbstverständlich.
Als ich nichts erwiderte, lächelte er und sein Blick glitt erneut, über mein, immer noch nasses, durchsichtiges T-Shirt.

"Tut mir leid", meinte er dann und ich schnaubte.

"Wegen dir kann ich jetzt quasi halbnackt nachhause rennen...und meinem Bruder wird das sicher nicht gefallen, wenn ich dort so aufkreuze", maulte ich, obwohl ich innerlich irgendwie schon fast gerührt war, dass er sich bei mir entschuldigt hatte.

Was war heute nur mit diesem Jungen los?

Er überlegte einen Moment und zog sich dann sein eigenes Shirt über den Kopf, wobei er damit sein genau richtig ausgeprägtes Sixpack offenbarte.

Ich schluckte und versuchte nicht allzu auffällig auf seinen Körper zu starren, was, seien wir mal ehrlich, schlichtweg unmöglich war. Warum zur Hölle zog er sich aus? Verdammt, warum tat er mir das an?!

Zu meiner Überraschung hielt er mir das Shirt entgegen und grinste.

"Kannst du behalten. Ich will ja nicht, dass dein Bruder wegen mir ausflippt" , meinte er und zwinkerte mir zu.

Komplett überrumpelt nahm ich es entgegen und zog es mir über den Kopf.
Natürlich war es viel zu groß und roch so verdammt gut...nach ihm...

Finn musterte mich und lächelte.

"Steht dir."

Hatte er mir grad wirklich ein Kompliment gemacht?!

"Danke", murmelte ich, etwas unsicher wie ich mit der Situation hier genau umgehen sollte.

Finn schmunzelte.

"Gerne. Soll ich dich noch nachhause bringen?", fragte er dann und in meiner grenzenlosen Verwunderung nickte ich einfach, ohne weiter darüber nachzudenken.

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