09B

1.3K 18 10
                                    

Cintia betrachtet die immer noch wippende Tabea – das Mobiltelefon hat sich seit ihrer Ankunft noch mehrmals mit einem ‹Summ-Summ› gemeldet. Demonstrativ greift Cintia zu ihrem Handy, schaut die Nachrichten an. Eine von Tabea, sie komme vorbei – das war jetzt schon zu spät. Die meisten jedoch von Wattpad. Die Leser, sie fragen, was das denn solle. Genervte Stimmen und zwischendurch eine Prise Lob.

«Und?», unterbricht Tabea das Schweigen, Cintia blickt hoch. «Was und?», kontert nun Cintia. «Was schreiben dir die Fans?», will Tabea wissen, Cintia beginnt die Kommentare vorzulesen. Tabea bestätigt jeden einzelnen Kommentar mit einem ‹Hm›, einem Kopfnicken oder ‹genau›. Cintias Stimme wird von Kommentar zu Kommentar gereizter, Tabea bestätigt weiterhin. «Weshalb schreibst denn du nicht?», will die nun genervte Cintia wissen, Tabea lächelt: «Weil du schöner schreibst.» «Ah-ha, und deshalb stimmst du jedem Kommentar zu?» «Ja, dein letztes Kapitel war scheiße. Ehrlich. Du lässt den einfach abhauen.» «Was hätte ich denn schreiben sollen?», fragt Cintia mit schriller Stimme. «Es wäre Zeit für Sex gewesen.» Cintia wirft ihr Handy nach Tabea, diese duckt sich lachend. «Aber – ich kann dir ja helfen.» «Ah, ja?» «Ja – jetzt müssen wir erst mal deine Geschichte retten und dann weiter zum Bestseller!» «So, retten? Was soll ich denn Schreiben, Frau Lehrerin?» «Bring einen neuen Typen rein. So eine Eifersuchtsszene wäre toll.» «Und wenn das mein Plan war?» «Dann wäre es trotzdem scheiße gewesen.» «Bah!» «Obwohl – du könntest, genau, das wäre eine Idee!», Tabea wippt aufgeregt, beugt sich vor zu Cintia und flüstert ihr etwas ins Ohr. «Was?», kommt es aus Cintias Mund. «Die Jungs werden es lieben», antwortet ihr Tabea mit einem schelmischen Grinsen, zwinkert verschwörerisch und blickt wieder auf ihr Handy. cintia nagt auf ihrer Lippe, unsicher, schaut zu Tabea und dann wieder auf den Boden. Das war nicht in ihrem Plan – aber – die Idee war – anders. Überraschend, irgendwie. «Na?», spricht Tabea endlich weiter, «Das wär doch was.» Cintia nickt, Tabea hält beide Daumen hoch. «Aber wer?», fragt nun Cintia, Tabea verstummt, streckt den Zeigefinger aus, holt Luft und schweigt. Die Hand sinkt langsam zurück. Wer? Wer würde – Tabea sucht auf ihrem Handy, hält ein Bild hoch, Cintia schüttelt den Kopf. Nein. Jemand anders musste es sein. Tabea startet ein Video, hält es Cintia hin. Gemeinsam hören sie zu, sehen zu, unschlüssig. «Meinst du, das ...?», mit gehobener Stimme unterbricht Cintia ihre Frage. Ist es so wichtig? Vielleicht ist das die beste Wahl. Vermutlich, ja. Sie nickt.

«Soll ich dir helfen?», fragt Tabea, Cintia schüttelt den Kopf, schon den Laptop wieder offen auf den Knien. Tabea robbt zu Cintia, klappt den Schirm des Laptops zu und presst ihre Lippen wieder auf Cintias. Ein gestohlener Kuss, der zweite schon. Tabeas Hand drückt Cintia nach hinten, Cintia lässt sich fallen. «Du wirst das Gut machen – und sonst bin ich ja für dich da.», schließt Tabea den Moment, haucht einen Kuss und rappelt sich auf. Ihre Schuhe platten wieder durchs Treppenhaus, leiser und leiser, die Tür fällt, weg ist sie. Cintia liegt immer noch auf dem Teppich, den Laptop auf dem Schoss, presst den Mund und die Augen zusammen.

Erst nach vielen Atemzügen, tiefen Atemzügen, rappelt sich Cintia wieder auf, öffnet den Laptop. Schwer liegen ihre Finger auf den Tasten. Das war nicht sie – aber – vermutlich hatte Tabea recht...

-----

«Converse Schuhe traten vor mir in den Staub, eine Hand streckt sich nach der meinen. Wasser, Voss, wurde mir gereicht. Sitzend konnte ich mich anlehnen, ich wurde gehalten. Mama? Aber Mutter war schon lange nicht mehr. Wer – es fühlte sich so vertraut an. Ich war im Himmel. Ganz klar, das musste der Himmel sein. Anders konnte ich es mir nicht erklären. Was wird auf meinem Grabstein stehen? ‹ging mit gebrochenem Herzen›? Was wird Papa ohne mich machen? So viele Fragen, und ich lehnte mich einfach an. Arme umschlangen mich, hielten mich. Heimat. Wohlbefinden. Ich war angekommen. Das war das Ende, ich hatte mein Ziel erreicht. Ich schloss die Augen, ich gab mich keiner Illusion mehr hin. Dies war echt, die Hände, die mich hielten, die Wärme an meinem Rücken, diese Sicherheit. Das war echt, echter als die Sonne, echter als der staubige Boden, echter als der Hof. Ich war in der Realität angekommen. Ich wollte mich nicht konzentrieren, scheute die Gedanken, genoss die Stille. Die Stille und den Herzschlag, meinen und den anderen. Anfangs schlugen die Herzen noch so und anders, doch der Rhythmus wurde gleicher, die Schläge kamen sich näher, vereinten sich zu einem einzigen, starken, Herzschlag. Ich spürte die Kraft durch mich fließen, das Feuer, die Freude und das Glück. Dieses Gefühl ließ mich erschaudern – noch nie hatte ich das erlebt. Ich schwieg, der Moment brannte sich in mich ein, die beste Erinnerung meines Lebens.

Wir atmeten zusammen, wir hatten einen Herzschlag, wir – vielleicht träumten wir gerade zusammen. Die Hände hielten mich. Schützend. Ich war in Geborgenheit. Ich war zuhause. «Hey», flüsterte die warme, weiche Stimme in mein Ohr. Ich schmolz. Ich öffnete meinen Mund, doch hustete ich nur trocken. Ein Tropfen Wasser fiel hinein, ich labte mich daran, dürstete nach mehr. Der nächste Tropfen perlte meinen Hals hinunter. Erfrischung. Aus den Tropfen wurde ein Fluss, Wasser, trinken. In der roten Dunkelheit hinter meinen Augenlieder tauchten Sterne auf, zogen rasch an mir vorbei, teilten sich in farbige Sternchen. Ein Feuerwerk, nur für mich. «Hey», flüsterte die Stimme wieder, ich fühlte den warmen Atem in meinem Nacken. «Ja?», hauchte ich, kriegte einen leichten Kuss auf mein Haar. Ich war im Himmel. Das war mir jetzt klar. «Is everything ok?», will die Stimme wissen, ich nicke. Ja, alles war super. «Can you stand up?», kommt die nächste Frage. «Gib mir eine Minute.», antworte ich. «A minute, ok.»

Ich fühlte mich verstanden. Es gab plötzlich wieder Fragen in meinem Kopf, aber – die waren alle unwichtig. Die Minute, wenn es eine war, verging mit einem Lidschlag. «Come on», wurde ich angefeuert, richtete mich mit der Hilfe auf und öffnete die Augen. Ich sah das Lächeln, die langen Haare, die liebenden Augen. Tränen kamen mir, ich wurde kommentarlos in den Arm genommen. Mein Kopf lag auf der Schulter, Tränen rannen über meine Wangen. In der Ferne sah ich das Auto meines Vaters, er kam auch nach Hause. Wo er war, wusste ich gar nicht. Es war mir egal. Ich blieb in der Umarmung stehen, genoss die Wärme.

Das Leben ging weiter, bald, doch ich genoss einfach diesen Moment. Ich hielt inne, ich behielt ihn für mich. Dieser eine, überwältigende Moment. Ich wusste, in ein paar Sekunden war das vorbei – doch noch stand ich da, ließ mich halten...


Ich hab euch gehört, ich hab euch gehört. Aber manchmal sind schwere Schritte notwendig um grosses zu erreichen. Was denkst du – wie geht es weiter?

Ich freue mich auf deinen Kommentar,

xoxo Xindy»

------

Cintia drückt ‹Veröffentlichen›, sie hat ein weiteres Kapitel im Netz. ‹Überraschung› – ruft sie leise ihrem Spiegelbild zu, ist selbst überrascht. Zweifel über das Kapitel, ja das hat sie. Aber - es ließ sich ganz gut tippen. Die Mutter ruft aus der Küche, bald gibt es das verspätete Mittagessen...

SEX, BAD BOYS, GIER - Sehnen der LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt