Zicke!

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Am nächsten morgen, es war Dienstag, ein ebenfalls ziemlich ruhiger Tag, ging ich Richtung Wolf at the door mit dem festen Vorhaben, trotz des gestrigen kleinen "Vorfalls" Henry zu fragen, ob er mir frei geben könnte. Ich hatte meine Mutter wirklich noch nie in so einem schlimmen Zustand gesehen (und ich kenne sie seit 20 Jahren), ich machte mir Sorgen das sie womöglich demnächst das Zeitliche segnen könnte. Bevor sie also nicht mehr war wollte ich sie unbedingt noch ein letztes Mal sehen, und zwar in Fleisch und Blut, und nicht durch eine Webcam.
Mein Vorhaben wurde jedoch schon im Keim erstickt. Als ich das Café betrat sah ich gerade noch, wie mein Chef sich von Maja und Emily, einer kleinen, blassen Schwarzhaarigen, die neuerdings bei uns aushalf, verabschiedete. Er würde heute einkaufen und dementsprechend den ganzen Tag wegbleiben. Anschliessend rauschte er, ohne mich eines Blickes zu würdigen, an mir vorbei und zur Tür hinaus. Tja, das war wohl nichts. Ich merkte wie die Wut in mir zu brodeln begann. Nur weil ich ihm eine Abfuhr erteilt hatte, musste er doch jetzt nicht so eingeschnappt sein! Blöde Zicke. Immerhin war jetzt nicht mehr so scharf auf mich. Leider konnte ich ihn heute nicht mehr um Urlaub bitten, dafür hatte ich dann aber einen recht entspannten Arbeitstag. Weil der Chef nicht da war, konnten wir im ganzen Laden die Musik hören, die wir wollten. Ich hatte mein Handy an die überall verteilten Boxen angeschlossen und hatte irgendeine Playlist angemacht. Wie es der Zufall wollte, erklang bereits nach kurzer Zeit Boy don't cry, von Tokio Hotel. Ich spürte einen leichten Stich in meiner Herzgegend. Es war nun genau einen Monat her, das ich bei den Kaulitzzwillingen übernachtet hatte, und ich wollte die zwei unbedingt wieder sehen, nur ich hatte keine Ahnung wie ich das anstellen sollte. Es war wie verflixt.
,,Hey, Luna!" Eine mit Sommersprossen gesprenkelte Hand wedelte vor meinem Gesicht herum. Ich zuckte zusammen. Maja stand vor mir und sah mich leicht genervt an. ,,Sorry, what was your question?" Mit ihrer rauchigen Stimme hatte sie mich gerade voll zurück auf den Boden der Realität zurückbefördert, und das nicht gerade sanft. Ich war noch immer voll verwirrt verwirrt. ,,What means 'tanzen'?" Fragend sah sie mich an. Es lief gerade die entsprechende Stelle im Song. ,,It means "dance"." Erklärte ich ihr. Sie sah mich mit schief gelegenem Kopf an und fragte dann: ,,So why don't you do it?"
,,What?" Verständnislos sah ich sie an. Meine Arbeitskollegin verdrehte die dunklen Augen und ich hörte hinter mir leises lachen von Emily.
,,Dance. Why aren't you are dancing?" Ich zuckte mit meinen Schultern, ein leichtes Lächeln zupfte an meinen Mundwinkeln. Warum eigentlich nicht? Die Brünette lachte rauh und begann dann durch den Verkaufsraum zu tanzen. Grinsend sahen ich und Emily ihr zu, wie sie sich zu dem Takt bewegte und gleichzeitig mit einem feuchten Lappen die Tische abwischte. ,,She's right," lächelte ich und begann ebenfalls zu tanzen, oder zumindest so zu tun als könnte ich es. Der Laden war leer und ausser Emily sah uns niemand zu. ,,Come on, you don't have to be shy. Nobody can see us!" Mit diesen Worten zog Maja das schüchterne Mädchen in die Mitte des Raumes.

Ich hatte es zwar nicht am Dienstag geschafft mein Vorhaben zu erledigen, aber dafür war ich am Mittwoch erfolgreicher. Mein Chef war anscheinend wirklich verletzt und ziemlich sauer. Immerhin ging er mir jetzt aus dem Weg und ich musste ihn nicht mehr als es umbedingt nötig war sehen. Nun, um ihm mein Anliegen mitzuteilen war es unumgänglich mit ihm zu reden. Deshalb stand ich erneut nach Ladenschluss in dem kleinen, muffigen Büro meines Chefs. Als ich den stickigen Raum betrat, fiel das übliche Zahnpastalächeln aus, dafür strahlten seine weissblonden Haare umso mehr. Auch sah er mich nicht verlangend oder irgendwie begehrend an. Stattdessen musterte er mich mit säuerlicher Miene von unten bis oben. Ich wusste, ich hätte gerade so gut wieder gehen können. Dieser Typ schien so beleidigt, das er wahrscheinlich nur noch eines wollte: Rache. Naja, und mich vielleicht nageln, falls er dafür nicht zu beleidigt war, aber ansonsten war ich für ihn gestorben. Meine Hände, die ich ineinander verknotet hatte, begannen zu schwitzen. Von Selbstsicherheit war weit und breit nichts zu sehen, richtig nervös war ich. Mit tiefem ein-und ausatmen versuchte ich mich wieder zu beruhigen und mich aus meiner Schockstarre zu lösen. Wenn andere vor Nervosität zu zittern begannen, wurde ich stocksteif und brachte kein einziges Wort heraus. Nicht gerade hilfreich wenn man jemanden um etwas bitten wollte. Woher meine Unsicherheit überhaupt herkam wusste ich gar nicht. Anfangs hatte ich diesen "Mann" nicht ernst nehmen können, doch irgendwie hatte ich seit gestern richtig Respekt vor ihm bekommen.

,, ... und deshalb würde ich mir gerne eine Woche freinehmen, und das am besten so schnell wie möglich." Bittend sah ich ihn an.
Nachdem ich geendet hatte schwieg er wieder so wie gestern, also ich ihm eine Abfuhr erteilt hatte. Seine Lippe waren so fest zusammengepresst, das es so aussah als ob jemand mit Lippenstift eine Linie durch seine solariumgebräute Visage gezogen hätte. Seine zusätzlich verschränkten Arme gaben ihm trotz den Muskelbergen das Aussehen eines kleinen, beleidigten Jungen. Immerhin machte mich sein kindliches Verhalten ein wenig selbstbewusster. Die Stille war mir trotzdem unangenehm. Ich wusste nicht was ich tun sollte. Konnte der nicht endlich etwas sagen?! Je länger ich wartete, desto mehr wuchs meine Angst vor seiner Reaktion, obwohl ich inzwischen eh' schon wusste das er nicht mehr überlegte. Ich hatte gemerkt dass er sich schon während ich redete entschieden hatte.
Die Stille wurde durch sein trockenes Räuspern unterbrochen. Er sah mich aus seinen hellblauen Augen gespielt mitleidig an. Noch bevor er überhaupt angefangen hatte zu sprechen, wusste ich seine Entscheidung. Es war also ein Nein. Vor Wut begann ich zu zittern. Seine Worte klangen wie aus weiter Ferne zu mir durch, ich hörte wie das Blut in meinen Ohren rauschen. Wäre ich nicht so auf das Geld und den damit verbundenen Job angewiesen, hätte ich jetzt gekündigt und dann währe ich, nachdem ich ihm ordentlich meine Meinung gegeit hätte, gegangen. Und vielleicht wäre eine klitzekleine Ohrfeige im Programm mit inbegriffen gewesen, (also nur vielleicht). Aber so hatte ich keine andere Wahl als hier zu bleiben und mir Henrys fadenscheinige Entschuldigungen anzuhören. Endlich hatte er geendet und ich war erlöst. Kurz bevor ich mich ganz umgedreht hatte, konnte ich einen Blick auf sein Triumphierendes Grinsen erhaschen. So ein Kind, so ein richtiges ... Kind! Blöde Zicke. Wutentbrannt drehte ich mich um und stapfte aus dem stickigen Büro. Das bedeutete wirklich Krieg, ich meine hallo, was war das für ein asoziales Arschloch, welches mir nicht einmal frei gab, damit ich mich von meiner Mutter verabschieden konnte.
Als ich endlich draussen war spuckte ich erst mal in die nächstbeste Ecke. Was war das nur für ein herzloses Wesen?! Ich regte mich gerade so richtig auf. Zuhause angekommen setzte ich mich mit Magnus auf die Terrasse und erzählte ihm von diesem ...
Christine hatte leider nicht abgenommen und so musste ihr Kater dafür hinhalten. Gerade als ich zu Hochtouren auflief, begann sich ein mulmiges Gefühl in meinem Magen auszubreiten. Ich könnte meine Mutter tatsächlich nie mehr sehen, anfassen können. Nie mehr mir ihr reden können, von streiten mal abgesehen. Bei dem Gedanken wurde mir ganz übel. Ich versuchte mir selbst einzureden, das sie wahrscheinlich gar nicht sterben würde. Ich hatte schon oft miterlebt das es ihr so schlecht ging, das sie ins Krankenhaus musste. Irgendwie konnte ich mir selbst nicht glauben. Um mich abzulenken, begann ich, die inzwischen total trockenen Pflanzen auf dem Dach zu giessen. Danach ging ich nach unten um zu kochen. Ich versuchte mal wieder meine Gedanken mittels Musik zu übertönen, was mir heute einfach nicht gelingen wollte. Egal wie laut ich die Musik aufdrehte, die einzigen Ergebnisse waren Kopf-und Ohrenschmerzen. Die Sorgen um Mom liessen mir einfach keine Ruhe, weshalb ich mal wieder eine furchtbare Nacht hatte. Ich erwachte schon um fünf Uhr, und danach konnte ich einfach nicht mehr weiterschlafen. Ich sass bis um acht Uhr, also vier Stunden lang, regungslos am Küchentisch und starrte durch das geöffnete Fenster in die Nacht, mit einer Tasse längst erkalteter Milch zwischen den Händen. Ich sah den Mond an und fragte mich die ganze Zeit, was nah dem Tod wohl passieren würde. Magnus sass neben meinen Händen auf der Tischplatte und sah ebenfalls wie hypnotisiert auf die silberne Sichel hoch oben am glitzernden Sternenhimmel.

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Seltsam dies in dem Wissen zu schreiben, das ihr es erst in spätestens 2
Monaten lesen werdet. Creepy 🌚

Friendshit (Tom Kaulitz ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt