Nach dem langen Gespräch mit Harry brachte er mich zurück zu meinem Zimmer und ging.
Bevor er ging, führten wir ein kleines Gespräch, wo er von mir hören wollte, dass ich auf mich aufpassen sollte.
"Bitte, lass Liam nicht mehr in deiner Nähe sein", meinte er zuletzt, bevor er ging.
Ich grübelte die nächsten Stunden über seine Worte.
War er wirklich so schlimm? Der Liam, wie er so zu mir war, würde mir so was nie antun, wenn man davon ausging, wie er mit mir sprach. Oder mich ansah.
Seine Augen funkelten jedes mal, wenn unsere Blicke sich trafen. Ich konnte nicht anders und seufzte, wieso war ich der jenige, den sie wollten. Mein Gehirn konnte keine Begründung erzeugen, die nachvollziehbar dafür war.
Ich sah nichts besonderes an mir, seit meiner Kindheit war ich ganz normal wie jeder anderer Mensch. Meine Noten waren in der Schule nicht die besten und nicht die schlechtesten, mein Aussehen oder mein Charakter waren genauso nicht besonders.
Um ehrlich zu sein fand ich mich langweilig.
Wenn man sich irgendwelche neun Menschen auswählen würde und mich zu dieser Gruppe hinzufügen würde, würde ich sogar unter ihnen nicht auffallen.
Doch laut Harry war es für die sogenannte Königsfamilie nicht so.
Ich war etwas, wonach sich die neuen Blutsauger sehnten. Mit meinem Blut in meinen Adern konnte ich sie stillen.
Ich lehnte mich zurück und dachte über das Ganze.
In der letzten Zeit starben einige Menschen, zwei vor meinen Augen und einige aus unserer Schule und Umgebung.
War ich es Wert?
Vielleicht sollte ich mich opfern, damit keiner mehr leiden sollte.
Ich konnte von ihnen sowieso nicht weglaufen, sie waren ja stärker als ich. Sie könnten mich überall finden und auf der Stelle töten.
Doch könnte ich das tun? Würde ich jemals zulassen, mich zu opfern, damit niemand mehr sterben sollte?
Vielleicht sollte es so sein. Vielleicht wäre es das richtige.
Als ich merkte, dass es drei Uhr morgens war, legte ich mich ins Bett und schloss meine Augen.
Obwohl Harry mich gewarnt hatte, wollte ich ein letztes mal mit Liam sprechen.
x
x
x
Als ich in der Früh aufwachte, hörte ich ein leises Geräusch und zuckte zusammen.
Sofort schlug ich meine Augen und sah Liam vor meinem Bett stehen.
"Oh, ich wollte dich nicht stören", blickte er mich schuldig an und lächelte schwach. "Hast du gut geschlafen?" wollte er danach wissen.
"Umm, ja. Kann man sagen", setzte ich mich auf und mied Augenkontakt. Ich konnte in seine Augen nicht schauen, denn ich wollte nicht, dass er merkte, dass etwas nicht stimmte.
Eine unangenehme Minute verging, bis er wieder zum Reden anfing.
"Also. Was machst du heute noch?" fragte er mich und setzte sich zu meinem Bett hin.
"Uh... Ich habe zwei Kurse am Nachmittag, bis zwei Uhr bin ich noch frei", meinte ich und sah ihn endlich wieder an.
Mein Gehirn schickte mir die Erinnerungen wieder zurück.
Würde Liam mich wirklich umbringen?
"Was denkst du?" fragte Liam plötzlich ernst und ich schüttelte den Kopf.
Verdammt, er konnte ja meine Gedanken lesen.
"Nichts", murmelte ich leise und sah weg.
"Doch, du hast etwas gedacht, aber ich konnte es nicht hören", meinte er und nahm mein Gesicht in seinen Händen.
Er starrte mich leer an und sah besorgt aus.
"Liam, es ist-"
"Zayn, ich konnte deine Gedanken nicht lesen. Das ist nicht normal", meinte er leise und ich hob die Augenbrauen hoch.
"Denk an etwas anderes", meinte er und ich verzog die Augenbrauen.
"Wie?"
"Keine Ahnung, denk daran, was du zum Frühstück essen wirst. Oder wie langweilig die Klassen sein werden", zählte er auf und ich nickte.
Ich konzentrierte mich auf meinen Plan dieser Woche und erinnerte mich, dass ich einen Einstiegstest am Freitag hatte.
"Und?" fragte ich ihn am Ende.
"Verdammt!" seufzte er und staute seine Hände in die Hosentaschen. "Es geht nicht!"
"Meinst du jetzt wirklich, du kannst meine Gedanken nicht mehr lesen? Das ist doch unmöglich, oder?"
"Genau!" zischte er und fuhr eine Hand durch seine Haare. "Das ist gefährlich, sehr gefährlich. Es war eine Telepathie zwischen uns, wenn wir nicht zusammen sind, könnte ich trotzdem spüren, wie du dich gerade fühlst."
Auf seine Worte blieb ich still.
"Ich darf dich nie wieder alleine lassen", beschloss er danach und nickte. "Ich nehme ab jetzt immer die selben Klassen wie du. Danach bringe ich dich in dein Zimmer und werde sicher, dass du in Sicherheit bist. Fuck, ich weiß, wer dahinter steht!" graulte er geärgert.
Ich lächelte.
"Das ist ja unmöglich, wir können ja nicht jede Stunde zusammen bringen. Von mir aus, ja. Aber es wird doch immer wieder etwas dazwischen kommen, Liam. Ich glaube du übertreibst ein bisschen. Was kann mir passieren, ich bin doch die meiste Zeit im Campus", erklärte ich ihm und zuckte mit den Achseln.
"Du hast keine Ahnung", flüsterte er leise und drehte sich um. "Du hast keine Ahnung", wiederholte er erneut und atmete aus.