Erinnerungen

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Vor 9 Jahren:

Way hey, roll and go!
Our boots and our clothes, boys, are all in the pawn,
To me rollicking randy dandy-O!
Heave a pawl, O heave away!
Way hey, roll and go!
The anchor's on board and their cable's all stored,
To me rollicking randy dandy-O!"

Schon von weitem höre ich den Shanty, den die Männer meines Vaters jedesmal anstimmen, wenn sie mich besuchen kommen. Wie immer laufe ich barfuß den Weg unseres Hauses hinunter und stürme an den alten Holzhäusern vorbei, ohne auf die Rufe der Inselbewohner zu achten, bis ich erst Sand und dann Wasser an meinen Füßen spüre.

Mein Kleid und meine langen Haare wehen wild im Wind und ich kann kaum still stehen. Ich halte mir die Hand über die Augen und kann schon den blonden Schopf meines Vaters ausmachen, der in den Seilen hängt und mir winkt, bevor er Anweisungen zum anlegen gibt.

„Joanna! Du benimmst dich wie ein unerzogenes Gör! Ziehe dir sofort Schuhe an und komme aus dem Wasser! Was soll dein Vater bloß von dir denken?" Unsere Haushälterin Harriet kommt wütend den Strand runter und hält meine Stiefel in der Hand. Obwohl es mir wiederstrebt, gehe ich zu ihr und ziehe meine Schuhe an und lasse mir sogar noch die Haare flechten, denn ich will nicht, dass mein Vater mit mir schimpft.

Das hat er erst einmal getan. Ich hatte mich vor seiner Abreise auf sein Schiff geschlichen und mich im Laderaum versteckt, denn ich wollte so gerne mit ihm segeln, mit ihm auf Reisen gehen und irgendwann selber Captain werden, aber das erlaubte er nicht. Niemals würde ich mit ihm und seiner Crew segeln, nicht, nachdem meine Mutter auf See gestorben war.

Ich schüttelte den Kopf und damit die traurige Erinnerung ab. Er war wieder da und würde wenigstens für ein paar Tage bleiben. Seine Männer hatten mir hoffentlich wieder etwas von den fernen Inseln mitgebracht und wieder würde ich viele Geschichten hören.

Endlich legt die Jackdaw an, mein Vater springt vom Deck und landet geschmeidig auf dem Holzsteg. Seufzend nimmt Harriet ihre Hände von meinen Schultern und ich sprinte los, lache laut auf und mit einem Satz lande ich in den offenen Armen meines Vaters, der mich in die Höhe hebt und sich mit mir im Kreis dreht.

„Da ist ja mein kleiner Engel. Warst du auch immer brav und nett zu Harriet?" Ich nicke wild „Aber ja doch! Ich habe immer meine Aufgaben erledigt und fleißig gelernt." Lächelnd setzt er mich ab und tätschelt meinen Kopf „Das werde ich sie lieber noch einmal selber fragen" sagt er lachend und zwinkert mir zu.

Beleidigt ziehe ich eine Schippe, daraufhin lacht er nur noch lauter, das tiefe Brummen vibriert in meinem Kopf. „An deiner Stelle würde ich die Beine in die Hand nehmen und schauen, dass ich Nastergal finde. Wenn ich mich recht erinnere, hat er etwas für dich."

Noch bevor er es ausgesprochen hat, flitze ich schon über den Steg, zwischen den Männern hindurch, die mich alle mit einem liebevollen Blick betrachten und auf den schwarzen Riesen zu, der vom Steuerrad aus Anweisungen gibt.

Nastergal ist ein ehemaliger Sklave, den mein Vater auf irgendeiner Rohrzucker Plantage hier in der Karibik aufgegabelt hat. Er sieht zum Fürchten aus, groß und breit, mit dunkler Haut und noch dunkleren Augen. Aber ich vergöttere ihn beinahe so sehr wie meinen Vater. Sein Herz ist riesengroß und ich habe einen besonderen Platz darin, sagt mein Vater immer.

Als er mich sieht, muss er grinsen und schnell sitze ich in seinen Armen und strahle ihn an. „Guten Tag junges Fräulein. Was verschafft mir die Ehre?" „Guten Tag Mister Nastergal. Wie ich höre, sind sie ein begnadeter Steuermann und Quartiermeister. Kann man in ihre Dienste treten?" Ich mache große Augen. "Mylady wissen wohl nicht, dass Mister Nastergal großen Ärger mit dem Herrn Vater bekommt, sollte die Lady sich auf dem Schiff rumtreiben, wenn es Segel setzt."

PiratentochterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt