Der Geist der Bruderschaft

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"Wo andere blindlings der Wahrheit folgen, bedenket ..." - "...nichts ist wahr."
"Wo andere begrenzt sind, von Moral oder Gesetz, bedenket ..." - "...alles ist erlaubt"

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Die Tage fliegen an mir vorbei. Nach meinem Gespräch mit Jonathan habe ich ihn nicht mehr gesehen und ich will mich nicht beschweren. Tahil hat unser Gespräch an der Quelle nicht mehr erwähnt, also füge ich mich und trainiere weiter mit ihr und noch härter als vor Jonathans Ankunft. Das Training lenkt mich nicht nur von der bevorstehenden Reise ab, es lässt mich auch vergessen, dass ich eine Gefangene bin.

Es vergehen zwei, drei, sechs, acht Tage und schließlich weis ich nicht mehr, wie lange ich schon auf dieser Insel bin. Nastergal ist verschwunden, es gab keine Zusammenkunft wie die erste und das er weg ist weis ich auch nur von Tahil. Sie schien nicht verwundert über diesen Umstand und winkte gelangweilt ab, als ich mehr wissen wollte „er wurde zurück nach Nassau geschickt, wird weiter seine Arbeit erledigen. Das war vorherzusehen, Meister Khasis hat ihn damals selber ausgebildet, er ist wie ein Sohn für unseren Meister."

Ein wenig enttäuscht, nicht nochmal mit Nastergal gesprochen haben zu können und erleichtert, dass er nicht bestraft wurde warte ich nun nur noch auf die Ankunft meines Vaters. In den wenigen Momenten in denen ich nicht trainiere oder schlafe, schleichen sich dann doch unerwünschte Gedanken in meinen Kopf und lassen mich mürrisch an die Decke starren. Ich bin mir sicher, dass mein Vater von Nastergal oder irgendwem gewarnt wurde und sich nun versteckt hält. Ob er weiß, dass wir seiner Kinder wegen nach London reisen sollen?

Unruhig drehe ich mich auf die Seite und beobachte den Vorhang , der sich leicht im Wind bewegt. Immer wieder beleuchtet ein Streifen Mondlicht die Erde in meiner kleinen Hütte. Bei der nächsten Bewegung aber verändert sich etwas. Das Mondlicht scheint nicht mehr ungehindert in meine Hütte, sondern wird von einem Schatten verdeckt, einem menschlichen Schatten. Sofort bin ich hellwach und wachsam. Ich erhebe mich lautlos von meiner Schlafstätte, schleiche zum Eingang und drücke mich gegen die Wand.

Angespannt lausche ich der Stimme, die nur ein leises Flüstern ist, die ich aber dank des Gifts in meinem Körper trotzdem hören kann. „Sie wird uns mehr Probleme bereiten, als sie lösen wird. Wir sollten Sie auf der Stelle töten, egal was der Rat dazu sagt. Sie ist wie ihr Vater oder noch schlimmer - wie ihr Bruder" der Sprecher klingt wütend, seine dunkle Stimme kenne ich nicht. „Wir werden sie nicht töten, auch wenn ich sie liebend gern um ihr Leben betteln sehen würde." diese Stimme erkennen ich sofort und Wut erfasst mich und rauscht durch meine Adern.

„Jonathan, sie ist eine Gefahr. Du kannst sie nicht immer im Blick behalten. London ist groß und unübersichtlich, selbst für einen erfahrenen Assassinen wie dich." Plötzlich ertönt ein Röcheln und die Schatten bewegen sich. Ich wage einen Blick nach draußen und dort steht Jonathan, seine helle nackte Haut bekommt in dem Mondlicht eine noch bleichere Farbe und betont das Spiel seiner Rückenmuskulatur. Sein gegenüber - ein dunkelhäutiger Assassine der Insel- baumelt einige Finger breit über der Erde. Jonathans Hand liegt um seine Kehle und die Sehnen an dem Hals des Assassinen treten bereits hervor, genau wie die Muskeln an dem Arm des blonden Mannes.

„Zweifel nicht an mir Kaento. London ist meine Stadt und mit einer aufmüpfigen jungen Frau, die nie gelernt hat sich Regeln zu unterwerfen oder einem Mann gehorsam zu sein werde ich fertig. Sie wird nicht zu den Templern überlaufen, sie weis nichts über die Strukturen unserer Welt. Sie ist dumm und naiv, ein Werkzeug des Rates um die Ordnung wieder herzustellen." "Du redest wie ein Tampler" spuckt Kaento mühsam aus und seine Finger um Jonathans Handgelenk versteifen sich. "Nichts ist wahr, alles ist erlaubt." erwiedert dieser nur ungerührt und lässt den jungen Mann fallen, der auf die Knie geht und sich die schmerzende Kehle reibt. Plötzlich fliegt sein Blick zu mir und ich ziehe meinen Kopf zurück und presse mich nun wieder an die Wand, die Muskeln zum zerreißen gespannt und jeder Zeit bereit, mich zu verteidigen.

Aber niemand kommt, weder Kaento noch Jonathan, also wage ich einen erneuten Blick und muss einen Schrei unterdrücken, als eine schwarze Hand nach meiner Schulter greift und mich in die Hütte schubst. "Joanna, ich weis wie das, was du gesehen hast auf dich wirken muss, aber ich will dir nichts tun." Er steht, die Hände erhoben, vor mir und versucht ungefährlich auszusehen und ich muss mir ein unpassendes Lachen verkneifen. Ich habe schon viele gefährliche Männer gesehen, viele waren groß, grobschlächtig und absolut ungepflegt, aber die Assassinen wirken eher wie Raubkatzen: muskulös, schlank und absolut tödlich und nun steht ein stolzer Löwe vor mir, mit ausgefahrenen Klauen und beteuert mir, dass er ungefährlich sei. "Ich habe keine Angst vor dir" sage ich gleichgültig und es stimmt. Ich empfand selten Angst, ich hatte schon zu viele schreckliche Dinge gesehen und erlebt, als dass mir ein einzelner Mann Angst einflößen könnte.

"Keine Angst zu empfinden ist töricht, sie kann dich vor so manchen Gefahren schützen." schnaubt Kaento und nimmt die Hände runter. "Nur weil ich eine Gefahr nicht fürchte, bedeutet das nicht, dass ich die Gefahr nicht erkenne und einschätzen kann." erwiedere ich und lasse mich auf die Schlafmatte sinken und überschlage die Beine. "Ich weiß, dass Jonathan mit Vorsicht zu genießen ist, er hat mir deutlich demonstriert, was er von mir hält." Der große Mann kommt auf mich zu und lässt sich vor mir auf die Knie fallen um mit mir auf Augenhöhe zu sprechen. "Die Assassinen sind nicht mehr was sie einmal waren. Unsere Bruderschaft bricht zusammen, immer wieder laufen unsere Brüder zu den Templern über. Wir erhalten Berichte aus allen großen Städten dieser Welt, dass wir Verräter in unseren Reihen haben und ich bin mir sicher, Jonathan ist ein solcher. Kein Bruder traut mehr dem anderen, selbst die Insel ist nicht mehr sicher." Eindringlich redet Kaento auf mich ein und die Furcht in seinem Blick ist echt, auch wenn ich noch nicht ganz begreife, was er mir sagt.

"Dein Vater hat vor einigen Jahren ein wichtiges Artefakt gefunden, es an die Templer verloren und dann zu uns zurück gebracht, es war eine... unsichere Zeit und seitdem ist die Welt im Umbruch. Du darfst auf keinen Fall nach London gehen, das würde deinen sicheren Tod bedeuten und dabei brauchen wir freie Gesiter wie deinen, um unser Credo weiterleben zu lassen." "Alles was ihr mir sagt, verwirrt mich nur noch mehr" gestehe ich dem Mann mir gegenüber und hoffe auf mehr Informationen. "Du wirst es verstehen lernen Joanna. Wir kämpfen für eine freie Welt, für die Freiheit der Menschen und für freie Geister, alleine das ist wichtig zu wissen." In seinen Worten schwingt eine Inbrunst, eine Dringlichkeit mit, die mich sofort packt. Ich will diese Worte wahr werden lassen, entsprechen sie doch genau meiner Vorstellung von dieser Welt.

Ohne ein weiteres Wort, nur mit einem letzten bedeutungsvollen Nicken verlässt er meine Hütte und lässt mich alleine zurück. Und wieder liege ich auf dem Rücken und starre die Decke an, versuche alle Teile zusammenzusetzen und eine Entscheidung zu treffen, bis mir schließlich doch die Augen zufallen und ich in einen unruhigen Schlaf falle.


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⏰ Letzte Aktualisierung: Jun 03, 2019 ⏰

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