Tulum

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Ich habe immer noch das weiße Kleid an und langsam wünsche ich mir meine Sachen zurück. Ich habe kein Kleid mehr getragen, seit ich ein Mädchen gewesen war und vermisse das Gefühl von Leder an meinen Beinen. Ethan ist noch immer nicht zurück, also beschließe ich das Haus zu erkunden. Im Erdgeschoss gibt es neben dem Salon und der Eingangshalle noch eine große Küche mit Vorratskammer, in der ich mich großzügig bediene.

An den Wänden im Ersgeschoss, sowie im ersten Stock  hängen alte Gemälde von Offizieren, der Königsfamilie und anderen wichtigen Persönlichkeiten. Außerdem gibt es einige alte Waffen, die auf Regalen ausgestellt sind. Ich nehme im oberen Flur die erstbeste Tür und betrete ein Arbeitszimmer.

Bücherregale reihen sich an den Wänden und ein riesiger Schreibtisch domeniert das Zimmer. Ein Feuer prasselt in einem kleinen Kamin und spendet etwas Licht. Ich gehe auf den Schreibtisch zu und entdecke die gleiche seltsame Schiene, die auch schon Jane getragen hat. Ich hebe sie vorsichtig hoch und erkenne einen kleinen Mechanismus, der mit dem Messer verbunden ist, das unterhalb der Schiene angebracht ist.

Als ich diesen betätige, schnellt die Klinge hervor. Erschrocken und fasziniert zu gleich, drehe ich diese Wunderwaffe in meiner Hand, bevor ich sie an meinen Arm anlege und die Klinge testweise ein und wieder ausfahren lasse.

"Sei vorsichtig. Die Klinge ist scharf und wenn man nicht aufpasst ist der Finger schneller ab, als man gucken kann." Erschrocken fahre ich herum und sehe Ethan in der Tür lehnen. "Ich habe die Klinge schon einmal gesehen." sage ich und lege sie zurück auf den Schreibtisch. "Wundert mich nicht, dein Vater trägt seine sogar im Schlaf."

Ich runzel die Stirn und schüttel den Kopf "nicht bei meinem Vater." Ethan scheint erstaunt und kommt auf mich zu. "Es wundert mich, dass du sie nie an ihm gesehen hast." während er das sagt, nimmt er die Klinge und legt sie an. "Es ist unsere liebste Waffe." "Unsere?" frage ich verwirrt.

Ethan hält inne und beobachtet mich einen Moment lang, bevor er die Schultern hochzieht und sich von mir abwendet "Wenn er es dir noch nicht gesagt hat, sollst du es vielleicht noch nicht erfahren." Sagt er im weggehen, aber so leicht lasse ich mich nicht abwimmeln. "Was nicht gesagt? Ethan! Erzähl es mir!" Ich laufe hinter ihm her und packe ihn an der Schulter. "Oh nein, kleine Piratentochter. Den Zorn deines Vaters, lade ich mir sicher nicht auf."

Ich bin verwirrt, mehr als je zuvor. Woher kennt Ethan meinen Vater und was verheimlicht er mir? Frustriert gebe ich meine Bemühungen auf und folge dem ehemaligen Piratenjäger nach unten. "Möchtest du eiegntlich so segeln?" fragt dieser mich nun. Ich mache ein mürrisches Gesicht. "Ich habe meine Sachen bei Be... während des Sturms verloren. Ich habe nichts anderes."

Beinahe hätte ich zu viel verraten, aber Ethan ignoriert diese Tatsache einfach und führt mich nach draußen und über die Plantage. "Die Männer werden sich freuen. Wenn sie schon mit einer Frau segeln müssen, ist sie wenigstens beinahe nackt." Zornesröte steigt in meine Wangen und ich will mich rechtfertigen. So klein habe ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. "Ich weiß ja nicht, ob du schon mal über Bord gegangen bist, aber ich für meinen Teil bin einfach nur froh, überlebt zu haben." Sage ich eingeschnappt.

Als wir an dem Schiff ankommen, ein kleiner Schoner, setze ich mich hinterm Steuerrad an die Reling und ziehe die Knie an. Ich hasse mich in diesem Moment so sehr, wie noch nie zuvor. Ich bin nicht mehr ich selbst, habe mein Schiff und meine Crew verloren, Kidd hat mich sitzen lassen und nun hocke ich hier, in Selbstmitleid badend, in einem Kleid und jammere rum.

Während das Schiff zum Auslaufen bereit gemacht wird, starre ich nur auf Ethans Rücken und wünsche mir, das dieses Jucken in meinem Kopf aufhört. "Alles klar, Captain?" fragt er mich nun und reißt mich aus meinen Gedanken. "Mhm." Er winkt einen Matrosen heran und übergibt ihm das Steuerrad, damit er sich neben mich setzen kann. "Was ist los mit dir Joanna? Wo ist dein Feuer? Dein Kampfesgeist?"

"Mit meiner Aquila davon gesegelt." seufze ich. "Das ist ja nicht auszuhalten. Warte hier." Ethan erhebt sich und kommt kurze Zeit später mit einem Bündel in der Hand zurück. "Hier. Probier das an. Eine Hose aus Leder hab ich leider nicht, aber die hier ist aus Leinen und sollte erst einmal reichen. Außerdem ist ein Dolch dabei." Er legt mir das Bündel in den Schoß und ich grinse in dankbar an.

Ohne Umschweife ziehe ich die Hose unter das Kleid und drehe mich der offenen See zu, um den zerfetzten Stoff loszuwerden. Ich ignoriere das Grölen der Männer, denn der weiche Stoff des Hemdes fühlt sich wunderbar an und die Hose ist nur ein bisschen zu groß, ein Tau um meine Hüfte dient mir als Gürtel. Der Dolch ist nichts besonderes, aber ziemlich scharf. Ich atme erleichtert aus und strecke mich genüsslich in den geliehenen Sachen.

"Besser?" fragt Ethan und ich nicke. "Jetzt fühl ich mich auf jeden Fall nicht mehr wie ein hilfloses Mädchen." Ethan lacht. "Du hast vier meiner Männer in diesem Kleid und unbewaffnet erledigt. Du warst nie hilflos." Ich zucke mit den Schultern und plötzlich kommt mir ein Gedanke. "Wenn du meinen Vater kennst, kennst du sicher auch Nastergal, oder?" Ethan nickt.

"Er gab mir Koordinaten zu einem Ort, der nicht auf meiner Karte eingezeichnet war. Weißt du etwas darüber?" Mein Kopf drohte zu explodieren und als Ethan nickt und "Tulum" murmelt, ist der Druck plötzlich weg. Der Name der Insel hallt in meinem Kopf wieder und nun weiß ich, was mein Ziel ist.

"Ich hab eine andere Bitte Ethan, bevor wir mein Schiff suchen, muss ich auf diese Insel." Sein Blick zeigt Unbehagen und er reibt sich mit einer Hand den Nacken. "Wenn ich dich dort hinbringe, ist es ungewiss, wie lange du bleiben wirst." Ich ziehe die Stirn in Falten, aber ich weiß, dass es egal ist. Nastergal sagte mir, ich solle solange dort bleiben, bis meine Ausbildung beendet wäre. "Das Risiko gehe ich ein. Also, segelst du mich hin?"

"Wir nehmen Kurs auf Tulum, Männer!" ruft Ethan über das Deck und übernimmt wieder das Steuer.

Nach vier Tagen kann ich die Insel sehen. Sie erscheint grün und wild am Horizont, ohne Anleger, ohen Hütten am Strand. "Wie geht es weiter, wenn ich an Land bin?" Ich stehe neben Ethan und starre durch das Fernrohr. "Sie werden dich finden, wenn sie wollen. Und wenn es soweit ist, werden sie dich ausbilden. Ich werde zurück segeln, aber sie werden jemanden kontaktieren um dich zu holen, wenn du soweit bist."

Mir geht das rätselhafte Getue ziemlich auf die Nerven, aber ich lasse mir nichts anmerken. Wenn Nastergal meint, dass dies das richtige für mich ist, dann werde ich ihm vertrauen und alles über mich ergehen lassen, was diese geheimnisvollen Leute mit mir vorhaben.

"Soll ich dich noch an Land rudern?" fragt Ethan, als wir die Sandbänke vor der Insel erreichen. Das Riff führt zu wenig Wasser, als das wir näher hätten dran segeln können. "Nein, ich schwimme, mach dir keine Umstände." sage ich und muss vor Aufregung und Vorfreude Lächeln. "Danke für's herbringen Captain." verabschiede ich mich uns steige auf die Reling. "Wir werden uns schon bald wieder sehen, Joanna." erwiedert Ethan geheimnisvoll.

Und dann springe ich in die Wellen und schwimme auf die Insel, meine Zukunft zu.


So meine Lieben. Langsam wird's ernst für Joanna, endlich hat sie das erste Ziel ihrer Reise erreicht, aber was wird sie auf Tulum erwarten?

Ich wünsche euch eien schöne Woche mit ganz viel Liebe, bis Donnerstag

PiratentochterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt