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Ich streife noch bis zum Sonnenuntergang durch die Straßen von Nassau und grüble über Reads Worte. Mein Vater hat mir zwar Kidd geschickt, aber woher sollte er wissen wo ich anheuere? Der Gedanke quält mich. Als es endlich so weit ist, lasse ich die Hütten hinter mir und laufe an dem Herrenhaus auf dem Hügel vorbei. Ich lasse meinen Blick schweifen und bleibe stehen.

Hinter einem der Fenster bewegt sich etwas und ich kann den dunklen Schopf von Kidd ausmachen, der nackt am Fenster steht. Ein Schnauben entfährt mir, als Mary Read von unten auftaucht und ihre Hände über seinen Oberkörper, bis zu seinem Hals und wieder abwärts fahren. Schnell wende ich den Blick ab und schüttle mich.

Ich gehe weiter bis zum Ende des Weges und durch dicht bewachsenes Gelände, bis ich das Meer sehen kann. Die Lichtung ist recht klein und eine Palme wächst flach über dem Bode und über den Abhang hinaus und auf dieser hockt mein Vater und betrachtet das Meer.

Ich gebe keinen Laut von mir und beobachte ihn einfach nur. Er hat sich nicht verändert, ist kaum älter geworden, während ich lange kein Kind mehr bin. „Ich dachte du hättest Fragen, Joanna?" Ich fahre erschrocken zusammen und fühle mich ertappt. „Es wäre mir lieber, ich könnte dich dabei ansehen." Er erhebt sich und balanciert über den Stamm der Palme, bis er wieder Boden unter sich hat und springt mit einem geschmeidigen Satz auf die Lichtung.

Er kommt auf mich zu und will mich in eine Umarmung ziehen, aber ich stehe nur steif da, unfähig diese Geste zurückzugeben. „Was ist los Joanna?" er zieht sich zurück und schaut mich bedrückt an. „Vater... es ist nicht so leicht. Du warst mehr als 4 Jahre fort, hast mich alleine gelassen und mich belogen. Ich habe Dinge erfahren, die ich nicht zuordnen kann und habe dich in das Bild eines gefährlichen und brutalen Piraten gezwängt, denn so war es leichter für mich." Schwer hängen die Worte zwischen uns. Ich wollte nicht so ehrlich sein, aber er lässt mir keine Wahl. Er kann nicht als der große Piratenkönig verschwinden und mich dann als liebender Vater willkommen heißen.

„Ich hatte meine Gründe. Niemals hätte ich dich freiwillig zurückgelassen, obwohl du bei Harriett in guten Händen warst. Die Zeiten haben sich geändert Joanna. Wir müssen nun Verantwortung übernehmen, die Navy beansprucht immer mehr der Inseln für sich, die Spanier versuchen sich zu wehren und wir stecken mittendrin. Wir sind das Ventil all ihrer Probleme, sie machen Jagd auf die Piraten und Nassau ist der einzige wirklich sichere Hafen. In Havana und Kingston, selbst auf Tortuga kommt es immer wieder zu Säuberungsaktionen der Briten und wir mussten eingreifen."

„Wieso hast du mich nicht geholt? Wieso hast du mich nicht gelehrt ein Schiff zu segeln, eine Mannschaft zu befehligen und ein Pirat zu sein? Wieso hast du Kidd geschickt?" Er lacht leise „er hat es dir also erzählt, schlauer Bengel. Als die Unruhen losgingen warst du noch zu jung in meinen Augen. Ich wollte dich nicht mit Tod, Kämpfen und gottlosen Männern großziehen. Dann war ich fort, viel zu lange und habe fieberhaft nach einer Möglichkeit gesucht. Natürlich habe ich mit dem Gedanken gespielt dich auf mein Schiff zu holen, aber Nastergal hielt mich davon ab. An meiner Seite hättest du nie die Chance gehabt, ein großartiger Pirat zu werden.

Außerdem ist Kidd ein begnadeter Steuermann und er hat bei Blackbeard gelernt. Seine Bereitschaft, dir zu helfen hat mich ein wenig irritiert, aber er war die beste Wahl." Ich lasse seine Worte sacken und Mary Reads Worte fallen mir ein.

„Hast du meine Matrosen bestochen?" belustigt hebt er die Augenbrauen „Natürlich nicht, wie hätte ich das bewerkstelligen sollen? Ich wusste weder wo du anheuerst, noch ob die Männer tatsächlich mit dir segeln würden. Der Gedanke war da und Read hat mir dazu geraten, aber ich habe auf deine Überzeugungskraft gebaut." Was bezweckt diese Frau damit, Lügen zu erzählen und mich zu verunsichern?

Ich schiebe die Gedanken an sie beiseite. „Wirst du mich in den Rat berufen?" er ist perplex aber ich hoffe auf eine ehrliche Antwort. „Es muss einen Grund geben, weshalb ihr mich und Kidd im Auge behaltet und warum Blackbeard sich seiner angenommen hat und es dir so wichtig ist, dass ich ein guter Captain und Pirat werde." Er schweigt einige Augenblicke bevor er zu sprechen beginnt „Du bist einfach zu clever Joanna. Du hast Recht, es gibt einen Grund dafür, allerdings werden wir euch nicht in den Rat berufen. Wir könnten es nicht einmal, selbst wenn wir wollten. Das Anrecht auf einen Platz wird weiter gegeben, befindet  ein Mitglied dich als würdig und er ist bereit abzutreten, übergibt er dir seinen Talisman und du hast seinen Platz."

"Welchen Grund gibt es dann?" er schweigt und ich werde unruhig. "Ich will ehrlich zu dir sein. Es ist nicht einfach mit einem Haufen Piraten und ihren Meinungen zu arbeiten. Wir brauchen einen guten Plan, um unsere Bruderschaft vor den Engländern und den Spaniern zu schützen. Die Karibik bietet uns ein Füllhorn an Handelsschiffen und Überlebensmöglichkeiten. Wir haben versucht mit beiden Ländern zu verhandeln, aber ihre Bedingungen sind aberwitzig und ihre Abneigung gegen uns fast unüberwindlich. Ihre Bezahlung ist mies und sie würden uns bei der nächstbesten Gelegenheit das Messer in den Rücken rammen."

Ich sehe und verstehe das Problem "Also versucht ihr eine eigene Armee aufzustellen, um euch zu schützen?" Er nickt "Richtig, aber Piraten sind egoistisch und sehen meistens nur das Gold, dass sie dadurch verlieren." "Ihr müsstet Nassau schützen, ausbauen und Wachen abstellen, die die Stadt im Falle eines Angriffs verteidigen. Aber wir lieben die Freiheit und lassen uns nicht an einem Ort festbinden." Ich sehe den Stolz in seinen Augen aufblitzen und bekomme allmählich eine Ahnung, was ihr Plan ist. "Wir versuchen so viele Piraten dazu zu bewegen in Nassau zu investieren, die Stadt sicherer zu machen. Nassau war schon immer ein Ort für Heimatlose und Ausreißer und das soll auch so bleiben."

Mir gefällt die Idee eines Zufluchtortes für jedermann und ich bin stolz, dass mein Vater sich sosehr dafür einsetzt. "Das ist unser Plan und ihr seid die nächste Generation, die helfen soll, dass wir ihn umsetzten können." "Also entern und plündern für eine sichere Heimat?" Er lacht leise "so sieht es aus. Dafür brauchen wir jeden Piraten, den wir kriegen können."

Lange Zeit sagt keiner von uns etwas, wir stehen nebeneinander und starren auf das Meer hinaus, beobachten die Wellen die sich türmen und wieder abklingen. "Deine Mutter hat das Meer gehasst. Sie wollte immer zurück auf das Festland." ich wage es nicht, mich zu bewegen, aus Angst, er könnte aufhören zu sprechen. "Ich habe dir immer gesagt, dass sie bei einem Schiffsunglück gestorben sei, aber das stimmt nicht Joanna. Die Wahrheit wollte ich dir nicht erzählen. Kein Kind verdient eine Mutter, die es nicht genug liebt." Ich schlucke und bemerke, wie eine Träne meine Wahneg hinab rollt. "Was ist passiert?" meine Stimme ist leise und zittert. "Sie ist gegangen, ohne ein Wort des Abschieds und hat dich bei mir gelassen."

"Und ich bin dankbar dafür. Ich habe es nie bereut." Ich drehe mich zu ihm und sehe, dass sich Tränen in seinem blonden Bart sammeln und schließe meine Arme um ihn. "Danke. Und Vater? Ich werde dich nicht enttäuschen."


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PiratentochterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt