Jonathan

114 8 0
                                    


„Was?" frage ich stumpf und bin nicht dazu in der Lage, irgendetwas Intelligentes von mir zu geben. Ich habe mich grade erst daran gewöhnt einer geheimen Organisation von Killern anzugehören und nun soll ich nach England. Nach England um dort meine Geschwister zu retten, von denen ich bis vor kurzem  nichts geahnt hatte und die ich bis eben verdrängt hatte?

„Du und dein Vater sollt mich nach London begleiten, das hat der Rat beschlossen." wiederholt Jonathan ruhig und beobachtet mich weiterhin. Sein Blick ist forschend und ich bin mir siche, er hält mich für nicht besonders intelligent. Deshalb erwidere ich ziemlich unhöflich: "Das habe ich vertsanden, aber wieso? Ich kenne meine Geschwister nicht, weiß nicht mal ob sie wirklich existieren und mit meinem Vater habe ich gebrochen." Außerdem will ich nicht nach England, sondern zu meinem Schiff und dann... Ja, was dann? Für die Assasinen kämpfen? Für die Piraten und Nassau einstehen? Die Piratenkönige stürzen und selber einer werden? Engländer und Spanier bekämpfen?

Ich hatte nie so weit gedacht, ich habe die Tage gelebt und alles auf mich zukommen lassen, habe mir nie ernsthaft Gedanken über meine Zukunft gemacht. Und nun sollte ich in das Herz des British Empires und dort für die Assasinen arbeiten? Mir kommt in den Sinn, dass ich nie darüber nachgedacht habe, dass meine Zugehörigkeit in dieser Bruderschaft nicht nur bedeutet ausgebildet zu werden, sondern dass ich Verpflichtungen habe, die ich erfüllen muss.

"Es tut mir leid Joanna, aber darauf nimmt der Rat keine Rücksicht. Dies wurde zu deiner ersten Mission bestimmt. Wir bilden dich nicht aus, damit du dich mit diesen Fähigkeiten leichter bereichern kannst und noch mehr Händler und Gesandte überfallen und abschlachten kannst. Deine Ausbildung dient alleine dem Zweck, dass du der Bruderschaft zu Diensten stehst, für unser Credo und unsere Überzeugungen kämpfst."

Und mit einem Mal fällt mir auf, wie naiv ich war. Ich habe wirklich geglaubt, dass ich meine Freiheit behalten könnte, dass ich irgendwann diese Insel verlassen und mein Dasein als gefürchteter Pirat weiterleben könnte. Aber offfentsichtlich hatte ich mich getäuscht "Ich werde nicht nach England reisen! Ich kenne weder das Land, noch die Stadt und ich werde sicher nicht mein Leben für Leute geben, die mir absolut nichts bedeuten!" erwiedere ich hitzig und blicke Jonathan fest in die Augen.

"Hervorragend" genervt reibt er sich das Gesicht, bevor er fortfährt "es ist mit euch Inselbewohnern doch immer das Gleiche, ihr seid undiszipliniert, unzivilisiert und störrisch. Ich weiß wirklich nicht, warum wir weiterhin unsere Energie in euch dreckige Piraten stecken, es kommt nie etwas Gutes dabei herum." Ungläubig und schwer beleidigt ob seiner harschen Worte springe ich auf und gehe wütend auf ihn zu, aber mit einem geschmeidigen Satz zur Seite weicht er mir aus und greift fest in meine Haare und entlockt mir einen Schmerzensschrei. Ich greife nach seiner Hand und versuche sie zu lösen, aber er ist stärker als ich und in einer viel besseren Position.

"Und ihr seid so impulsiv und hervorsehbar. Dein Training ist noch lange nicht beendet und solltest du dich weiterhin dem Rat verweigern, werden wir kurzen Prozess machen. Wir sind nicht auf dich angewiesen, Joanna. Dein Leben liegt nun in unseren Händen und unserer Gnade. Ich glaube kaum, dass dir das gleiche Glück wiederfährt wie deinem Vater, der dem Tod wieder und wieder ein Schnippchen schlägt und sich auf einen loyalen und wirklich dummen Mentor wie Nastergal verlassen kann."

Immernoch hält er mich an den Haaren, zwingt meinen Kopf nach hinten und spricht von oben zu mir herab. Aber anstatt ihn wütend anzufauchen oder ihn anzuflehen mich loszulassen, lache ich ihm ins Gesicht und ignoriere den Schmerz "Bring mich nach England, lass mich dort mit meinem Vater zusammen arbeiten, aber du solltest wissen: Ich habe Männer getroffen, die grausamer waren als du, die keinem Credo unterworfen waren und nur für sich gelebt und gekämpft haben und ich habe sie alle überlebt und besiegt."

Einen kurzen Moment noch halten meine Augen seinen Blick fest und erwiedern das wütende Funkeln, dann lässt er mich los und stößt mich unsanft von sich. "Deine Drohungen werden dir nichts nützen, Joanna. Ich werde dich schon noch dazu bekommen, mir und der Bruderschaft zu dienen uns zu gehorchen und wenn nicht..." und von einem Moment auf den anderen ist er wieder über mir, drückt mich zu Boden und hält mir seine versteckte Klinge an den Hals. "werde ich dir einfach die Kehle aufschneiden." Ich spüre die Worte beinahe auf meiner Haut, so nah sind seine Lippen meinem Gesicht und genau so schnell wie er mich umgeworfen hat, steht er wieder vor mir und verlässt mit einem letzten grausamen Grinsen in meine Richtung die Hütte.

Vollkommen erstarrt bleibe ich auf dem Boden hocken, unfähig mich zu rühren und lasse die Sitution wieder und wieder in meinen Gedanken ablaufen. Trotz meiner kühnen Reaktion, bin ich überrumpelt von Jonathans Verhalten, weiß nicht was ich davon halten soll und ich werde immer noch nach London gehen müssen. Mein Körper rebelliert, als ich endlich die Kraft finde aufzustehen und meine Muskeln krampfen sich unangenehm zusammen.

Ich brauche ein Bad in der heißen Quelle und ich brauche unbedingt etwas zu essen, um wieder zu Kräften zu kommen und meine Gedanken ordnen zu können. Also greife ich mir schnell ein Bündel Kleider und mache mich auf den Weg zu den Quellen am anderen Ende der Lichtung. Der blonde Assassine ist nirgends zu sehen und erleichtert atme ich auf. Niemand sonst scheint auf mich zu achten, als ich die dicken Lianen beiseite schiebe und mich meiner Kleidung entledige und in das warme Wasser eintauche.

Ein erleichtertes Seufzen kommt über meine Lippen, als meine Muskeln sich langsam entspannen und die Wärme die verkrampften Stellen erreicht. Ich lasse mich einfach treiben und schließe die Augen, bis ein Rascheln meine Aufmerksamkeit erregt. „Entspann dich, ich bin's nur." Tahil kommt hinter einem der Büsche hervor und hockt sich an den Rand des Beckens. „Was wollte Jonathan von dir?"

Ich erzähle ihr, dass ich nach England gehen soll, lasse aber die Drohungen weg, die er gegen mich ausgesprochen hat. „Nach England? Jetzt schon?" Tahil klingt ehrlich überrascht und das bestätigt meine Vermutung, dass hier irgendetwas nicht stimmt.

„Ich will aussteigen" sage ich zusammenhangslos, aber Tahil scheint zu wissen, was ich meine. „Das geht nicht mehr Joanna. Du gehörst jetzt zu uns, bist Teil unserer Bruderschaft." Ich schnaube ungläubig „ich habe keinen Eid geleistet, habe niemandem Treue geschworen. Ich bin immer  noch eine freie Frau."

Nachdenklich zieht Tahil ihre Stirn kraus und sieht mich aus unergründlichen, braunen Augen an. „Du würdest gesucht werden, wärst eine Verräterin und könntest keinen Fuß mehr an Land setzten. Wir sind überall und obwohl du noch nicht viel weist - es ist zu viel um dich einfach gehen zu lassen." ihre Worte sind energisch und drücken eine Warnung aus, die deutlicher nicht sein könnte.

Ich war eine Gefangene, gezwungen mein Leben der Bruderschaft zu opfern oder bei dem Versuch Ihnen zu entkommen zu sterben. „Irgendwann Tahil, irgendwann werde ich weg sein und ich schwöre dir bei Calypso: Eher werde ich mich von der See zerfetzen lassen als meine Freiheit einfach aufzugeben."

Ich war an den Rand des Beckens geschwommen und hatte mich so weit hochgezogen, dass ich beinahe mit Tahil auf Augenhöhe war und was ich in ihren Augen sah, war weder Feindschaft noch Ärger. Ich sah eine Sehnsucht nach Freiheit, die meiner erschreckend ähnlich war.

PiratentochterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt