1. Prüfung

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Gewaltig. Das ist das erste Wort das mir einfällt, als ich vor dem dichten Dschungel stehe. Die Bäume sind riesen groß und die Wildnis wurde hier nicht von den Menschen zurückgedrängt. Nur ein kleiner Trampelpfad führt in das dichte, sonst unberührte Grün und ich kann Affen brüllen hören.

Ich nehme meinen Mut zusammen und dringe in den Urwald ein. Schlagartig wird es dunkler und die Luft ist merkwürdig feucht und kühl. Überall um mich herum wimmelt es nur so von Ungeziefer und ich bekomme eine Gänsehaut.

Ich folge dem kleinen Trampelpfad immer weiter und nach gefühlt ewiger Zeit verändert sich die Umgebung. Ich höre einen Wasserfall rauschen und ein kleiner Bach fließt zu meiner rechten in das unwegsame Gelände. Um die mächtigen Bäume herum sind Plattformen aus Holz oder Bambus gebaut und teilweise mit kleinen Brücken verbunden. Ich stehe inmitten dieser perfekten Symbiose und starre nach oben, als ein Fauchen mich herumfahren lässt.

Inmitten des Grün hockt ein ausgewachsener Panther, die Lefzen nach oben gezogen und den Blick starr auf mich geheftet. Ich höre, wie er die Krallen ein und ausfahren lässt. Ich starre den Panther an, versuche ihn nicht aufzuschrecken und greife in Zeitlupe nach dem Dolch in meinem Gürtel. Aber allein diese Bewegung reicht, um ihn zu provozieren.

Mit einem lauten Fauchen sprintet er auf mich zu und setzt zum Sprung an. In letzter Sekunde kann ich mich mit einem Hechtsprung zur Seite retten und rolle mich auf dem weichen Untergrund ab. Das schwarze Raubtier kommt schlitternd zum stehen und dreht sich suchend nach mir um. Als seine dunklen Augen mich fixiert haben, bin ich schon fast an einem der Bäume.

Ich weiß, dass diese Tiere klettern können, aber vielleicht schaffe ich mir einen kleinen Vorsprung, wenn ich ihn noch einmal ablenken kann. Also warte ich auf seinen nächsten Angriff und als er wieder auf mich zuspringt, ziehe ich mit meinem Dolch an seinem Unterleib entlang, als ich mich in eine Brücke fallen lasse. Jaulend kommt der Panther einige Meter von mir entfernt zum stehen und blitzschnell erklimme ich den Baum hinter mir.

Ich höre wie Krallen in die Rinde fahren und sporne mich noch mehr an, schneller die Plattform zu erreichen, denn so hätte er keinen Platz mehr für einen Sprungangriff. Erleichtert ziehe ich mich auf das Holzgerüst, als ein lautes Jaulen meine Aufmerksamkeit erregt. Ich blicke über den Rand der Plattform und sehe den Panther am Boden liegen. Er regt sich nicht mehr und ein kleiner Pfeil steckt in seinem Hals.

Schnell lege ich mich flach auf die Holzplanken, um nicht auch getroffen zu werden und versuche die Umgebung im Auge zu behalten. Ich atme flach und lausche auf ungewöhnliche Geräusche, aber ich höre weder Schritte, noch Farne rascheln.

Ich weiß nicht wie lange ich auf dem Bauch liegen bleibe, aber irgendwann bin ich mir sicher, dass der Angreifer weg ist und ich klettere den Baum wieder herunter. Der Panther ist tot und ich ziehe den Pfeil aus seinem Hals und rieche daran. Es ist das gleiche Gift, das ich immer benutze.

Leise und immer die Umgebung im Blick behaltend, bahne ich mir einen Weg durch den Dschungel. Der Trampelpfad zweigt nun in mehrere Richtungen, aber ich weis, dass ich tiefer in das dichte Grün muss. Es ist ein zermürbender Marsch, bei jedem Rascheln rechne ich mit einem neuen Angriff und es wird immer dunkler und auch kälter.

Als Nahrung dienen mir lediglich kleine Beeren, die an den Sträuchern wachsen und mein Magen sehnt sich nach einer richtigen Mahlzeit. Ich überlege grade, wo ich ausruhen könnte, als mich ein erneutes Rascheln herumfahren lässt. Ich kann grade noch ein Augenpaar unter einer Kapuze erkennen, als ein Pfeil mich trifft.

Ich fluche und zeihe den Pfeil aus meinem Arm und beginne sofort das Gift herauszusaugen. Ich weiß, dass mich ein einziger Pfeil nicht töten wird, dafür hat mein Vater damals gesorgt, aber das ist nun der zweite Pfeil innerhalb kürzester Zeit. Mein Körper hatte sich grade erst von den Strapazen erholt und ist geschwächt durch den Marsch und die wenige Nahrung.

Kleine schwarze Punkte flackern vor meinem inneren Auge und ich lehne mich an einen Baum und atme flach, versuche mein Herz ruhig zu halten und hoffe, das ich nicht bewusstlos werde. Als sich der Schwindel gelegt hat, gehe ich ein paar Schritte und bin froh, das weder Schwindel, noch Übelkeit zurückkehren.

"Was zur Hölle ist auf dieser Insel los?" frage ich mich leise, als ich plötzlich vor einer grünen Wand stehe. Lianen und Blätter hängen von oben herab und versperren den Weg. Ich schiebe den Vorhang beiseite, der beachtlich schwer ist und stehe auf einer freien Fläche.

Eine riesige Lichtung, umgeben von dem Urwald, breitet sich vor mir aus. Der Mond spendet genug Licht, dass ich kleine Hütten erkennen kann und Plattformen in den Bäumen. Hinter dieser Ansammlung von Hütten steht ein beeindruckendes Steinmonument, ein Pyramidenförmiger Bau mit abgeflachter Spitze, von Moos und Flechten überzogen, aber immer noch ehrfurchtserregend.

Ich kann keine Menschenseele entdecken und halte mich am Rand der Lichtung, in der Nähe der Bäume und erklimme den nächstbesten um nicht sofort entdeckt zu werden. Obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass ich genau diesen Ort finden sollte, weiß ich nicht, ob ich auf mich aufmerksam machen soll, denn schließlich haben sie grade noch einen Giftpfeil auf mich geschossen.

Und genau in diesem Moment kommt der nächste Pfeil aus dem nichts auf mich zu, trifft mich aber nicht. Ich ziehe ihn aus dem Stamm und behalte ihn in meiner Hand. "Was wollt ihr?" rufe ich von meinem Baum herunter, bekomme aber als Antwort nur einen zweiten Pfeil, der meinen Fuß knapp verfehlt.

Innerhalb von wenigen Sekunden entscheide ich mich zu kämpfen, denn früher oder später wird mich einer ihrer Pfeile treffen und bewusstlos bin ich absolut hilflos. Ich klettere hinunter, den Rücken dem Dschungel zugewandt und spähe um den Baum. Immer noch sehe ich niemanden und husche nun von Baum zu Baum.

Da erkenne ich eine Bewegung im Augenwinkel und bemerke eine Kapuzengestalt zwischen den Hütten. Ich hole tief Luft und halte den Dolch in der einen und die Pfeile in der anderen Hand. Ich sprinte über die freie Fläche und hinter eine der Hütten, wo mich eine vermummte Gestalt abfängt. Ich ramme ihr einen Pfeil in den Hals, aber sie kämpft weiter. Ich ducke mich unter ihrem Arm weg und trete der Gestalt die Beine weg.

Bevor ich meinen Dolch einsetzen kann, werde ich von hinten angesprungen und zu Boden gerissen. Mein Kopf schlägt auf dem Boden auf und mir wird schlecht vor Schmerz. "Jetzt ramm ihr endlich den Pfeil in den Hals!" brüllt eine tiefe Stimme. "Ich habe keine mehr." erwidert eine Frau patzig.

Mit meinem ganzen Willen und meiner ganzen Kraft, werfe ich mich nach links und bäume mich auf, sodass mein Peiniger von mir ablässt und ich schnell auf die Füße kommen kann. Mein Dolch liegt wenige Meter entfernt und ich weiß das ich keine Chance habe, aber wenn ich sterben sollte, werde ich soviel Schaden anrichten wie ich kann.

Nastergal hat mich hierher geschickt und nun kämpfe ich schon das zweite mal an einem Tag um mein Überleben. Wollte er mich umbringen? War seine Freundschaft nur vorgetäuscht? Bevor ich mir zu viele Gedanken machen kann, konzentrier ich mich wieder auf meine Gegner, die nun auf mich zu geschlichen kommen.

"Joanna Kennway, endlich hast du den Weg zu uns gefunden." Die Stimme des Mannes ist gedämpft, durch das Tuch vor seinem Gesicht. "Es tut uns leid, aber diesen Kampf wirst du nicht gewinnen, auch wenn du dich tapfer geschlagen hast."

Ich will grade etwas erwidern, als ich den kleinen Einstich in meinem Nacken fühle. Der dritte Pfeil, die dritte Dosis Gift. Ich halte mich nicht mal mehr eine Minute auf den Beinen, bevor alles schwarz wird.

PiratentochterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt