Freund oder Feind?

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Als ich meine Augen wieder aufschlage ist meine Kehle staubtrocken. Als ich versuche zu schlucken, muss ich sofort husten und mein Hals brennt unangenehm. Ich fahre mir mit der Zunge über die trockenen Lippen, aber es ist kein Speichel da, um sie zu befeuchten. Ich schaue mich um und bemerke, dass ich auf einer Matte in einer Hütte liege. Das Dach ist aus Farnen und die Wände aus Holz.

Neben meiner Matte steht ein Krug und sofort stürze ich mich begierig darauf, aber bevor ich auch nur einen Schluck nehme, besinne ich mich eines besseren. Wer auch immer diesen Krug hierhin gestellt hat, hat mit den Leuten zu tun, die mich gestern angegriffen haben. Also stelle ich ihn trotz meiner trockenen Kehle und dem unsagbaren Durst zurück.

Meine Bluse und die Hose kleben an mir, denn dank des Gifts habe ich gefiebert und es dann ausgeschwitzt. Ich hasse dieses Gefühl, schon damals, als mein Vater mir regelmäßig das Gift injeziert hat. Erst nur einen Tropfen, dann immer mehr. "Man kann nie wissen mein kleiner Engel. Ich möchte, dass du gegen alle Gefahren dieser Welt gewappnet bist."

Damals habe ich es nicht verstanden, aber er war mein Held, der beste Mensch auf dieser Welt, also habe ich nicht weiter gefragt. Ich war 12 Jahre alt bei meiner ersten Dosis und habe fast 5 Jahre lang immer an seinem letzten Abend auf der Insel diesen Schmerz durchleben müsse, bis ich 3 seiner Pfeile ohne Schwindel oder Übelkeit überstehen konnte.

Und dann ist er gegangen und nicht wiedergekommen. Im Nachhinein wurde mir bewusst, dass es ofentsichtlich war, dass er nicht wiederkommen würde. Denn ich hatte einen Bund Pfeile und 3 Fläschchen auf meinem Kissen gefunden. Aber ich habe es erst benutzt, nachdem ich in Nassau vergewaltigt worden war und habe nie daran gedacht mich selber zu immunisieren.

Und diese drei Jahre ohne Gift zeigen sich nun, ich vertrage lange nicht mehr so viel davon und die Reaktion darauf ist auch heftiger als damals. Ich starre an die Decke, viel zu schwach um einen Fluchtversuch zu starten und versuche mir einen Reim auf all das zu machen. Nastergal schickt mich auf eine Insel, auf der ich zweimal fast gestorben wäre. Mein Vater immunisiert mich gegen ein Gift, dass diese Leute benutzen und welches ich vorher sonst nirgendwo anders als bei ihm gesehen habe.

Ich soll hier ausgebildet werden, dass hatte Nastergal mir gesagt und auch Ethan hatte mich ohne Bedenken hierher gebracht. Aber wer sollte mich ausbilden? War ich in eine Falle getappt oder bin ich nur den falschen Leuten begegnet?

Als ich Schritte vor der Hütte höre, springe ich auf und stehe in Angriffshaltung neben der schäbigen Matratze, den Krug als einzige brauchbare Waffe in der Hand. Der Vorhang wird zur Seite geschoben und eine Frau tritt ein. Trotz des Schwindels, der Übelkeit und dem Wasserentzug versuche ich gefährlich genug auszusehen, damit sie mich nicht sofort überwältigt und ich noch etwas Zeit habe, mir eine Strategie zu überlegen.

Aber die Frau überrascht mich, indem sie sich auf die Knie setzt und die Hände hebt. "Ich weiß, das alles muss dir ziemlich seltsam vorkommen, aber ich werde dir nichts tun. Du bist hier in Sicherheit." Ihre Stimme ist melodisch und hat einen leichten Akzent, der zu ihrer dunklen Haut passt.

Dennoch gebe ich meine Haltung noch nicht auf, auch wenn meine Musekln vor Anstrengung zittern und meine Sicht verschwimmt. „Bitte, setz dich. Wenn du ohnmächtig wirst, hast du gar nichts davon."

Langsam lasse ich mich auf die Matratze sinken, aber meine Muskeln sind trotzdem angespannt. „Trink." Mein Körper schreit nach Wasser und wenn sie mich hätte töten wollen, hätte sie es bereits getan. Also hebe ich den Krug an die Lippen und trinke ihn in wenigen schnellen Zügen leer.

„Dein Misstrauen spricht für dich, auch wenn es dich beinahe umgebracht hat." Die Frau hat sich noch immer nicht bewegt und sie erinnert mich an ein Raubtier, wie sie dort still hockt und alles beobachtet, ohne eine Regung. "Ihr wolltet mich umbringen." sage ich trocken und lehne mich an die Wand.

"Nein, wir wollten dich testen." erwidert sie mit einem leisen Lachen in der Stimme, das mich die Stirn runzeln lässt. "Und herzlichen Glückwunsch. Du hast deine erste Prüfung auf Tulum bestanden." Wenn sie erwartet, dass ich mich freue, muss ich sie leider enttäuschen.

"Gut. Hab ich dann einen Wunsch frei?" ihr Lächeln erstirbt  "Du musst noch viel lernen Joanna. Aber zunächst mal, beantworte ich dir einige deiner Fragen." Bei diesen Worten erhebt sie sich und und ich tue es ihr gleich, immer noch auf der Hut. Mir scheint es, dass überall wo ich hinkomme, jeder meinen Namen kennt. Natürlich wollte ich als Piraten Captain berühmt werden, aber da ich ohne mein Schiff, ohne Crew und ohne Waffen in den letzten Tagen unterwegs war, nervt es nun doch ein wenig.

Ich weiß nicht mal mehr genau wie lange ich nun schon aus Nassau weg und ohne mein Schiff bin, ich habe über zu viele Dinge die Kontrolle verloren. "Komm. Ich zeige dir wo du dich waschen kannst." Ich folge der Frau aus der Hütte und staune nicht schlecht. Auf der Lichtung herrscht ein reges Treiben, niemand scheint still zu stehen, alle sind in ihre Übungen vertieft.

"Findest du es nicht etwas unhöflich, dass du meinen Namen kennst, ich aber nicht deinen?" frage ich meine Führerin. "Mein Name ist Tahil und das wir wissen wer du bist, liegt daran, dass wir schon sehr lange auf dich warten." Sie spricht auch in Rätseln. Am liebsten würde ich meinen Kopf gegen den nächsten Baum hämmern. "Tahil, können wir eine Abmachung treffen? Keine Rätsel, Geheimnisse oder sonst irgendwas. Wenn du etwas nicht sagen willst, dann behalt es einfach für dich."

"Du bist gereizt und das vertsehe ich. Nach deinem Bad werden wir reden." und damit schiebt sie einen Vorhang aus Lianen beiseite und eröffnet mir eine dampfende Quelle. "Die meisten unserer Brüder und Schwestern sind schon fertig, also wirst du deine Ruhe haben." Damit dreht sie sich um und  verschwindet hinter den Lianen.

Vorsichtig trete ich an eine der Quellen heran und tauche meinen Fuß in das dampfende Wasser, es ist angenehm warm und schnell entledige ich mich meiner verschwitzten Kleider und wate in das Wasser. Die Wärme ist wie Medizin für meinen geschundenen Körper und meine Muskeln entspannen sich langsam.

Nachdem ich den Schweiß, den Dreck und das Blut von meiner Haut und meiner Kleidung geschrubbt habe, steige ich aus dem Wasser und will grade in die nassen Sachen schlüpfen, als mir ein Bündel Stoff vor die Füße geworfen wird. "Zieh das an." Tahil steht vor mir, ohne dass ich sie bemerkt habe. Schweigend ziehe ich die Hose aus weichem Leder und das grobe Hemd an, Schuhe gibt es keine.

Tahil führt mich zu einem Stein am Rande der Lichtung und reicht mir eine Frucht. "Iss, während ich versuche, dir alles zu erklären."

PiratentochterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt