Kapitel 2

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"Alice, was für eine Freude Euch zu sehen!", begrüßte er eine junge Frau in einem langen roten Gewand, das ab und zu den Boden streifte. Auffällig war ihre porzellanfarbene Haut, die im starken Kontrast zu ihren dunklen Haaren stand.

"Vater", grüßte sie und senkte respektvoll den Kopf. "Ihr habt nach mir rufen lassen." Ihre braunen Augen ruhten auf dem älteren Mann.

Der König, der an einem alten braunen Schreibtisch saß, ließ ein Kopfnicken sehen. "Setzt Euch doch! Wollt Ihr einen Keks?" Er deutete auf ein Sofa, das mit grünem Samt bezogen war. Davor befand sich ein niedriger Tisch mit kleinen Süßigkeiten auf einem silbernen Tablett.

Alice ließ sich nieder und nahm sich einen der Kekse.

"Alice, ich nehme an, Ihr habt von dem Untergang des Schiffes gehört?", fragte der Mann

Sie schüttelte den Kopf.

"Nein? Nun... ein weiteres Schiff meiner Flotte ist gesunken durch die Hand des letzten Piratenkapitäns Captain Jack Sparrow. Habt Ihr jemals von ihm gehört?" Er erhob sich und schlenderte im Zimmer auf und ab, wie ein Tiger in seinem Käfig.

"Nein, Vater", antwortete sie.

"Nun, das solltet Ihr aber. Er ist furchtlos, machtvoll und tödlich. Tötet jeden, der ihm in den Weg kommt." Alice' Vater blieb stehen und musterte sie nun. "Er ist der letzte seiner Art. Euch- genauso wie mir ist klar, dass erst wenn Jack Sparrow tot ist, Frieden in der Welt einkehren kann."

Alice sagte nichts.

"Er muss sterben!", rief ihr Vater nachdrücklich.

"Dann nehmt Euer Schiff, schickt Eure Soldaten", sagte Alice bestimmt.

"Nein", hauchte er. "Ihr wisst nicht, zu was sein Schiff fähig ist. Es soll ein Zauber darüber liegen. Ein Zauber, der dafür sorgt, dass sich die Seile von selbst bewegen, dass sich das Schiff von selbst bewegt. Er lässt keine Gnade walten. Jeder, der seinem Schiff zu nah kommt, stirbt."

Alice schaute ihren Vater mit großen Augen an. "Aber Vater... das sind nur Legenden."

"Nein", sagte er langsam. "Nein, denn ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Ich begegnete ihm vor zehn Jahren. Ich war noch nicht König. Ich war Kommandant einer Flotte und stand unter den Befehlen des damaligen Königs William."

"Wie habt Ihr überlebt?", fragte Alice aufgeregt. Sie hatte sich erhoben und ging um den Tisch, ganz so, als könnte sie dort ihren Vater besser hören.

"Sie nahmen mich gefangen. Sie benutzten mich als Informant. Ich musste ihnen alle Pläne des Königs offenbaren. Dann setzte mich dieser Sparrow ab, auf einer einsamen Insel, mit nur einer Pistole und einem Schuss."

"Wie seid Ihr entkommen?"

"Ich baute mir aus dem Holz, das ich finden konnte, ein Boot... nein... es war eher eine schwimmende Plattform. Ein Handelsschiff rettete mich. Lange hätte ich es nicht mehr in dem eiskalten Meerwasser ausgehalten. Ich war dem Tod geradeso entkommen."

Alice schaute anerkennend zu ihrem Vater auf.

"Als ich der Nachfolger von William wurde, schwörte ich mir, dass ich meine Rechnung mit dem Piratenkapitän begleichen würde. Aber bis heute ist es meinen Soldaten nicht gelungen, Sparrow festzunehmen. Gut nur, dass ich durch meine Gefangenschaft... einige... sagen wir... Angewohnheiten von ihm... kenne."

"Welche?", wollte Alice wissbegierig wissen.

"Als ich an Bord seines Schiffes verweilen musste, traf er auf ein anderes Schiff von einem König, der genauso wie ich heute, versuchte, gegen Piraten mit allen Mitteln vorzugehen. Es waren spanische Kriegsschiffe. Der Kommandant griff nicht an. Er versuchte, zu verhandeln. Er machte Sparrow einen Vorschlag. Der wohl größte Fehler seines Lebens. Sie sollten sich auf ihre Seite schlagen und unter den Befehlen des spanischen Königs kämpfen. Ich erfuhr vorerst nicht, ob der spanische Kommandant Erfolg mit seinem Plan hatte, denn Jack setzte mich auf der besagten einsamen Insel aus, bevor er sich den Spaniern anschloss. Als ich aber gerettet wurde, erfuhr ich, dass Jack nur auf den passenden Moment gewartet hatte. Er wartete, bis der Kommandant unvorsichtig wurde. Nachts griffen sie an. Sie töteten jeden- jeden Matrosen. Ausnahmslos. Sie bombardierten das Schiff solange, bis es unterging."

Ruhe kehrte ein, als der König mit seiner Erzählung geendet hatte.

Nach einer Weile fügte er hinzu: "Er verhandelt gerne. Natürlich nur, wenn er sich sicher ist, dass das Angebot für ihn vorteilhaft verlaufen wird."

"Was habt Ihr vor... Sir?", fragte Alice leise.

"Ich denke, wenn man Captain Jack Sparrow einen scheinbar für ihn vorteilhaften Vorschlag unterbreiten würde, in dem man ihn von seinem gefährlich berüchtigten Schiff und seiner Crew weglocken würde..."

"Wohin würdet Ihr ihn locken?" Alice stand vor dem großen Bücherregal und starrte abwesend auf die verstaubten Buchrücken.

"Auf eine einsame Insel...", verriet der König seiner Tochter.

Alice drehte sich um und schaute ihren Vater skeptisch an. "Vater glaubt, dass Captain Jack Sparrow nicht in der Lage dazu wäre, von einer einsamen Insel zu fliehen?"

"Nicht doch, Alice. Es ist nicht so einfach, wie es scheint. Was, wenn auf der Insel Gefahren lauern. Gefahren, die ein erfahrener Piratenkapitän eventuell unterschätzt?!"

"An was denkt Ihr?", kam die Rückfrage.

"Eine... erfahrene und begabte... Kämpferin, die versucht, ihn zu töten."

Der Schock saß tief. Alice hatte sich fassungslos in das grüne Sofa sinken lassen. "Was? Vater will doch nicht seine eigene Tochter in den Tod führen?!"

"Nicht doch in den Tod, nicht meine Tochter! Sie ist das einzige, was ich noch habe nach dem Tod Eurer Mutter. Ich werde dafür sorgen, dass Ihr Vorteile habt.", versprach der ältere Mann mit einem müden Lächeln. "Ich habe Euch trainieren lassen, um Euch zu schützen. Im Falle einer Schlacht seid Ihr in der Lage, Euch zu verteidigen. Jack Sparrow wird Eure Fähigkeiten mit Sicherheit unterschätzen. Wir sind im Vorteil, wenn ich vorher zu der Insel fahre und dort Eure Waffen verstecke. Sparrow wird hilflos sein. Er wird kapitulieren. Ich bin zuversichtlich."

Alice schien alle Farbe aus dem Gesicht gewichen zu sein. "Aber Vater... Wie könnt Ihr sicher sein, dass mir nichts zustößt?"

"Ich gebe Euch mein Word. Euch wird nichts in aller Welt passieren. Das verspreche ich."

***

"Alice, da seid Ihr endlich. Wir haben auf Euch gewartet", sagte der König, diesmal trug er ein blauweißes Gewand, das bis zum Boden reichte.

Sie standen auf einem Steg, der zu einem gewaltigen braunen Kriegsschiff führte. Es lag ruhig im Hafen. Dennoch wirkte es bedrohlich groß, mit riesigen Öffnungen für die Kanonen. Die weißen Segel reichten mindestens siebzig Meter in den Himmel.

"Verzeihung Vater, aber ich habe mich soeben von Dominic verabschiedet", antwortete Alice. Diesmal trug sie eine braune Lederhose und über einer weißen Bluse eine Weste. In ihrer Hose steckten mehrere Schusswaffen in einem breiten Gürtel, während in der Weste neben einem Messer auch eine Axt zu finden war. Sie hatte außerdem noch ein Schwert bei sich. 

"Natürlich, Dominic... ja...", murmelte ihr Vater nachdenklich. "Ich hoffe, er macht sich nicht zu viele Gedanken."

"Ich habe ihm gesagt, dass ich im Namen meines Vaters in den Krieg ziehen werde", erzählte Alice mit einem stolzen Lächeln.

Ihr Vater drehte sich schockiert zu seiner Tochter.

"Und dass ich als Gewinnerin aus dem Kampf gehen werde. Das habe ich ihm auch gesagt.", fügte Alice grinsend hinzu.

"Eure Mutter wäre sehr stolz auf Euch, Alice", sagte der König lächelnd.

"Wenn sie nur hier sein könnte..." Alice schaute traurig auf das Meer.

"Das kann sie", sagte ihr Vater. "Sie wird Euch zusehen, von dort oben!" Er zeigte zum Himmel.

Alice seufzte. "Mutter, ich werde Euch nicht enttäuschen!"

Ihr Vater schaute sie nachdenklich an, warf dann noch einen kurzen Blick zum Himmel, bevor er sagte: "Nun... dann können wir jetzt an Bord gehen!"

Nebeneinander bestiegen sie das Schiff. Oben wurden sie freundlich von den Offizieren in Empfang genommen. Sie zeigten Alice ihre Kabine.

Eine Stunde später legten sie ab.

Das Wetter war stürmich, die See unruhig. Das Schiff schaukelte von Wellenberg zu Wellenberg.

The Pirate GameWo Geschichten leben. Entdecke jetzt