SECHSUNDZWANZIG

281 38 12
                                    

Am Donnerstagabend stand ich erneut vor Sams Haustür. Ich kam mir mittlerweile völlig bescheuert vor, wenn ich darüber nachdachte, dass ich ihm wie eine Gestörte hinterher rannte. Aber nachdem ich mit Dr. Mercury und meinem Bruder gesprochen hatte, war mir klar geworden, was ich zu tun hatte. Ich hatte endlich verstanden. Ich wusste endlich, was ich wirklich wollte.

Nervös und ungeduldig von einem Fuß auf den anderen tretend, wartete ich auf der Schwelle, bis die Tür schließlich aufging und ich in das genervte Gesicht von Wanda blickte. Aus irgendeinem Grund hatte ich nicht mit ihr gerechnet, weshalb ich auch recht verdutzt aus der Wäsche schaute, als sie die Augenbrauen hochzog und die Arme vor der Brust verschränkte. „Was gibt's?", fragte sie gelangweilt und ich fühlte mich gleich viel unbehaglicher, als zuvor.

„Ist-" Ich räusperte mich verlegen. „Ist Sam da?"

Wanda starrte mich einen Moment an, dann seufzte sie und nickte. „Ja, hat aber gerade Besuch", erwiderte sie. „Kannst trotzdem gerne rein kommen und warten, wenn du willst." Sie trat einen Schritt nach hinten und ich folgte ihr mit zitternden Knien ins Wohnzimmer.

„Also", begann ich nervös, um das peinliche Schweigen zwischen uns zu durchbrechen. „wie geht's dir?"

Wanda sah mich zunächst ungläubig an, dann zuckte sie mit den Schultern. „Gut", antwortete sie kurz angebunden. „Und dir?"

Ich nickte und vergrub die Hände in den hinteren Taschen meiner Jeans. „Ja, mir auch."

Wanda sah mich abwartend an, als erwartete sie, dass ich weiter sprach, doch da mir nichts einfiel und sie das vermutlich auch merkte, ergriff sie nach einer Weile wieder das Wort: „Also stehst du immer noch auf meinen Bruder?"

Ich verschluckte mich beinahe an meinem eigenen Speichel und stieß letztendlich ein mehr oder weniger ersticktes Husten aus, während ich Wanda ertappt ansah. „Was? Wie kommst du denn auf so was?", fragte ich mit einem leichten Lachen, um meine eigentlichen Gefühle zu überspielen. Ich war wohl nicht besonders gut darin, denn Wanda warf mir einen wissenden Blick zu.

„Ist schon okay. Ich versteh das", sagte sie, dann runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf: „Nein, eigentlich versteh ich das überhaupt nicht. Aber egal", sagte sie rasch und lächelte dann zum ersten Mal. „Ich bin ja nicht blind. Ich weiß zwar, dass Sam ein Arschloch ist und dass er gerade wieder irgendeine Schlampe bei sich oben im Zimmer hat, aber-"

„Er hat ein Mädchen in seinem Zimmer?", unterbrach ich Wanda jedoch mit großen Augen und die Blondine nickte entgeistert.

„Ja", schnaubte sie verächtlich. „Diese komische Laura."

Ich riss die Augen noch weiter auf und Wanda betrachtete mich mitleidig. „Ich komme wohl etwas zu spät, was?", fragte ich mit einem falschen Lachen und dem kläglichen Versuch, die Stimmung aufzulockern.

Wanda biss sich auf die Unterlippe und wirkte tatsächlich so, als würde sie mich bedauern. „Tut mir leid", sagte sie entschuldigend. „Ich weiß ehrlich gesagt auch nicht, was Sam an der findet."

Ich schnaubte spöttisch und wollte gerade den Mund aufmachen, um etwas zu erwidern, da kam besagtes Mädchen auch schon die Treppe hinunter geschwebt. Ich presste die Lippen aufeinander, als ich sah, wie Laura ihre langen Haare aus dem Gesicht strich und mit den Fingern über ihre geschwollenen Lippen fuhr, ehe sie mich erkannte. Sie stutzte und zog überrascht die Augenbrauen hoch. „Oh", machte sie und blieb am Fuße der Treppe stehen. „Hi, Valentine. Was machst du hier?" Wie immer klang ihre Stimme viel zu aufgesetzt.

Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Wanda mir einen Blick zu warf. „Ich wollte zu Sam", erwiderte ich beinahe schnippisch und Laura unterdrückte ein gehässiges Lachen, indem sie es gerade noch so schaffte, es zu einem Hüsteln umzubiegen.

sweet valentineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt