FÜNFUNDZWANZIG

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Nachdem ich die meiste Zeit des Nachmittags und Abends damit verbracht hatte, mir die Augen auszuheulen und alles auf der Welt zu hassen - einschließlich und ganz besonders mich selbst - wachte ich am nächsten Morgen mit einem brillanten Plan im Kopf auf.

Nach einer ausgiebigen Dusche und nachdem ich mich angezogen hatte, machte ich mich auf den Weg hinunter in die Küche, wo mir der Duft von Kaffee und frischen Brötchen in die Nase stieg. Mein Magen machte einen kleinen Satz, als ich mich an den Tisch setzte und eine Schüssel mit Müsli zu mir ran zog.

„Guten Morgen, Schatz", begrüßte mich mein Vater gut gelaunt und warf einen Blick über seine Zeitung.

„Morgen", sagte ich, nach wie vor etwas schläfrig, und ignorierte dabei den merkwürdigen Blick, den mein Bruder mir zu warf. Ich blinzelte und hoffte inständig, dass meine Augen nicht mehr gerötet waren.

„Es ist wohl gestern Abend wieder etwas spät geworden, mh?", fragte Dad mit einem Schmunzeln im Gesicht.

Ich zog es vor, ihm nicht zu antworten, und fragte stattdessen: „Darf ich?", ehe ich den Sportteil der Zeitung zu mir zog und die Schlagzeile überflog. Michael Hammer hatte den Territory Tigers zum Sieg gegen die Western Wolverines verholfen. Was für ein Wunder.

„Hast du gut geschlafen?", fragte Leo plötzlich und ich hob verwundert den Kopf.

„Super", murmelte ich gähnend und goss Milch auf meine Cornflakes. Eigentlich hatte ich gar keinen Hunger. Ich rührte mit meinem Löffel etwas planlos in der Schüssel herum, ehe ich wieder das Wort ergriff. „Dad?", fragte ich nervös und mein Vater sah mich an.

„Ja?"

Ich räusperte mich und überlegte, wie ich mein Anliegen am Besten formulieren konnte. „Ist es okay, wenn ich heute zu Dr. Mercury gehe?", fragte ich schließlich.

Dad stutzte und Leo sah mich entgeistert an. „Deine Psychologin?", fragte mein Vater überrascht und als ich nickte, runzelte er besorgt die Stirn. „Wenn du über irgendetwas reden willst, Val. Wenn du Probleme hast, du weißt, du kannst immer-"

Hastig nickte ich. „Ja, ja", sagte ich rasch. „Ich muss nur - ich will mal wieder zu ihr und mit ihr reden und ich würde wirklich gerne einen Termin bei ihr machen."

Dad sah noch immer nicht überzeugt aus, er sah mich nachdenklich an, dann nickte er: „Natürlich, Val. Wenn du willst, kann ich gleich bei Dr. Mercury anrufen und fragen, ob sie Zeit hat."

Ich sah ihn dankbar an, während Leo jedoch nur die Augenbrauen hochzog und ein Schnauben ausstieß. „Dr. Mercury? Ehrlich?", fragte er spöttisch. „Kann man das wirklich schon als Doktor bezeichnen? Ich bin mir da nicht sicher."

Mein Vater seufzte und ich verdrehte die Augen. Ich kannte Leo. Er neigte dazu, bestimmte Dinge zu dramatisieren. „Sei nicht unhöflich", sagte mein Dad dann, bevor er sich an mich wandte: „Ich fahr dich später hin, Val." Ich lächelte ihm dankbar zu, dann widmete ich mich wieder meinem Frühstück.

Eine Stunde später saß ich in dem silbergrauen Jeap meines Vaters auf dem Weg zur Praxis von Dr. Mercury. Dad hatte Leo und mich damals, als unsere Mutter gestorben war, zu ihr geschickt, damit wir diese ganze Sache verarbeiten konnten.

Ich war hingegangen und Dr. Mercury hatte mir wirklich geholfen. Leo nicht. Er hat immer so getan, als hätte er es nicht nötig, mit jemanden über seine Gefühle zu reden. Meiner Meinung nach, hatte er es aber dringend nötig.

„Soll ich noch mit hoch kommen?", fragte mein Vater hilfsbereit, als wir vor dem hohen Gebäude mit den vielen Fenstern hielten.

Ich schüttelte hastig den Kopf. „Nein, das musst du nicht", erwiderte ich schnell und versuchte das Zittern in meiner Stimme zu verbergen. „Ich schaff das schon." Ich lächelte nervös und nickte, wie um mich selbst zu ermutigen, dann öffnete ich die Beifahrertür und stieg aus. Ich sah, wie mich Dad durch das Fenster beobachtete und einen Daumen in die Höhe hielt, dann drehte ich mich um und hastete auf den Eingang zu. Ich betätigte die Klingel mit dem Schild der Praxis und als ein Surren ertönte, stieß ich sie auf und trat in den hellen Flur. Ich musste mit dem Fahrstuhl ein paar Stockwerke nach oben und schließlich stand ich an der Rezeption. „Hi", sagte ich langsam zu der Frau, die hinter einem Computer mit zwei großen Bildschirmen saß und den Kopf hob. „Ich habe einen Termin bei Dr. Mercury. Valentine Kane", sagte ich.

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