Kapitel 17: So etwas wie Normalität

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Cornelius erwachte mit der vagen Hoffnung, dass alles nur ein Traum gewesen war. Er hatte sich, noch immer eingehüllt in seine Decke und ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, sich nochmals umzuziehen,auf sein Bett geworfen und war eingeschlafen. Durch seine Zimmertürdrang bereits gleißendes Licht. Wie lange hatte er geschlafen? Er sah sich um. Seine Bettdecke, sein Schreibtisch. Das Geräusch, wie sein Vater in der Küche mit dem Geschirr hantierte.

Sie waren echt.

Er zwickte sich in den rechten Arm. Das war auch echt. Er musste sich eingestehen, dass der Traum, den er gerade mit Sicherheit noch gehabt hatte, bereits verflogen war, ohne eine Erinnerung zu hinterlassen.

Das bedeutete, dass das, was er gestern erlebt hatte, ebenfalls echt war. Er fühlte den Schmerz, aber er fühlte nicht, wie seine Hand seinen Arm berührte.

Es stimmte. Ein Teil seiner Welt war immer unecht gewesen. Aber warum musste ein so großer, so wichtiger Teil nun auch dazu werden? Es war nicht fair.

Was hatte dieser Mann getan? Und wie musste sich Ophelia dabei fühlen? Wie konnte sie überhaupt Gefühle haben, wenn sie doch...? Nein, so etwas durfte er nicht denken.

Trotzdem.

Was war seine Rolle in diesem ganzen Spiel? War er am Ende nur Teil eines Experiments? Seine Gedanken liefen Amok.

Er wollte hinaus.

Vielleicht würden sie irgendwann aufgeben und ihn nicht weiterverfolgen. Vielleicht würde die Lösung seines Problems vom Himmelfallen. Wer wusste schon, was in dieser verrückten Welt sonst noch alles möglich war. An Frühstück war jetzt jedenfalls nicht zudenken.

„Cornelius?" Das Poltern der Treppenstufen hatte Mr. Blackwell aufgeschreckt. Er hatte schon den ganzen Morgen über mit sich gerungen, seiner Sorge nicht nachzugeben und seinen Sohn erst nach dessen freiwilligem Erwachen zu fragen, wieso er in seiner Alltagskleidung genächtigt hatte.

„Alles in Ordnung?"

„Da bin ich mir noch nicht sicher", gab Cornelius zurück, ohne sich umzudrehen. Dinge aufzuzählen, die in Ordnung waren, nahm gerade nur noch sehr wenig Zeit in Anspruch. Im Gegensatz dazu lag die Welt vor dem Haus da, als sei nie etwas geschehen. Cornelius fühlte sich, als beobachte er alles durch eine Glasscheibe. Er konnte nicht daran teilhaben. Es war wärmer geworden, der Schnee hatte sich etwas aus den Straßen zurückgezogen und die Leute waren aus ihren Häusern gekommen, um die Sonnenstrahlen zu genießen. Die Hunde waren besonders froh, wieder draußen zu sein und entsprechend aktiv. Sie wetzten über den Schnee oder rollten darin herum, bellten und quietschten fröhlich. Cornelius gönnte ihnen nur einen müden Blick. Er wandte sich um und bog um die nächste Ecke auf einen Weg,der ihn aus dem Stadtzentrum und in die Einsamkeit führen würde.Viel zu hell. Die Sonne schien ihm unangenehm ins Gesicht. Er kniff die Augen zusammen, bis er kaum noch etwas sah.

„Uff!"

Er keuchte, als er einen Schlag in die Magengrube bekam.

„Oh nein! Alles in Ordnung?!"

„Wenn du so fragst...", sagte Cornelius und rieb sich angestrengt gegen das Licht anblinzelnd über den Bauch.

Ophelia, die gerade mit voller Wucht in ihn hineingelaufen war,lächelte vorsichtig. „Mh. Dumme Frage."
Hatte sie auch vor sich hin geträumt? Cornelius' Magen brauchte einige schmerzhafte Sekunden, bis er sich wieder beruhigt hatte.Zuerst bekam er nichts zu essen und nun so etwas!

„Es ist noch kein wütender Mob mit Fackeln und Mistgabeln vor unserem Haus aufgetaucht", sagte Ophelia unterdessen. „Also habe ich vermutet, dass du niemandem etwas gesagt hast." Sie pausierte einen Augenblick. „Danke."

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