Kapitel 14: Blütenblätter und Pergament

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Es war Sonntag und draußen regnete es plötzlich im Strömen. Was war nur los mit dem Wetter in letzter Zeit? Es erschien ihm fast, als spiegele es seinen inneren Zustand wieder, denn gerade fühlte er sich genauso durcheinander. Ophelia war wieder in den Laden gekommen,um gemeinsam zu lesen. Und sie bewies einmal mehr ihr Talent dafür, ihn vollkommen aus der Bahn zu werfen. Sie trug ein enges,dunkelblaues Samt-Kleid mit einem U-förmigen Ausschnitt und langen Ärmeln. Dazu bewegte sie sich auch noch wie eine Tänzerin. Sie dachte sich offensichtlich nicht viel dabei, er aber konnte sich kaum konzentrieren.

„Cornelius,du bist ein schneller Leser, nicht wahr?", fragte Ophelia unvermittelt. Sie hatte ihr Buch beiseite gelegt und stattdessen ein großes rotes Kissen in den Armen, auf dem ihr Gesicht ruhte, während sie sprach. Warum sah das nur so hinreißend aus?

Cornelius,der in diesem Moment nichts sehnlicher wollte, als dieses Kissen zu sein, antwortete etwas schwerfällig.

„Ich...denke schon. Wie kommst du darauf?"

„Deine Augen huschen so schnell über die Seiten, dass ich mich manchmal frage, ob du die Geschichte überhaupt genießen kannst",entgegnete Ophelia mit ernster Mine.

Sie beobachtete ihn also heimlich, wenn er es nicht bemerkte? Sein Herz machte einen Freudensprung, der sich nicht wirklich gesundheitsfördernd anfühlte.

„Wenn der Film in deinem Kopf genauso schnell abläuft, wie du liest, muss das doch ziemlich komisch aussehen, oder nicht?", kicherte sie.

„Du bist ganz schön frech heute!", grinste Cornelius. „In meinem Kopf läuft alles völlig normal ab." Meistens jedenfalls. Wenn Ophelia nicht in der Nähe war. Oder er gerade nicht an sie dachte. Ach, verdammt.

„Ich weiß, was wir machen!", rief Ophelia aus und bugsierte das große Kissen wieder zurück an seinen Platz zwischen den anderen. Sie schnappte sich das Buch, dass sie seit einigen Tagen las und in der nächsten Sekunde ließ sie sich auch schon neben Cornelius in die Kissen fallen. Während ihre Schulter auf seinem Brustkorb ruhte und ihr Haar, das eher wie Milch floss, als dass es fiel, mit seiner Wange kollidierte, hatte er schon Abschied genommen von der Angst,sie könne sein armes Herz hämmern hören, denn es hatte soeben ausgesetzt.

Cornelius wusste in solchen Momenten immer seltener, wie ihm geschah und das bereitete ihm großes Kopfzerbrechen.

Der Drang, ihr wunderschönes Gesicht in seine Hände zu nehmen und ihren Mund sanft mit dem seinen zu liebkosen wurde manchmal viel zu übermächtig. Wenn sie ihm nicht zu nahe kam, konnte er seine Arme noch davon abzuhalten, zur Tat zu schreiten. Doch das hier war anders.

Das hier war die Zerreißprobe und seine Nerven längst Reispapier.

„Wir nehmen zwei Seiten aus dem Buch und lesen sie gleichzeitig. Wer zuerst zur letzten Zeile kommt, schlägt das Buch zu. Hier, du hältst die linke Seite", sagte Ophelia mit einem so unschuldigen Enthusiasmus für den Wettbewerb, dass es ihn ein wenig beleidigte.Hatte sie sich besser unter Kontrolle, oder war er der einzige in diesem Raum, dessen Gefühle den letzten Rest Vernunft über Bord geworfen hatten und selig grinsend über die Planke und aus seinem Mund zu kullern drohten? Wenn sie auch nur im entferntesten ahnte, wie es in ihm aussah, konnte er dieses unschuldige Verhalten nur als bewusste Grausamkeit auffassen.

Egal, was du tust.

Küss'.

Sie.

Jetzt.

Bloß.

Nicht.

Und lies schneller!

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