Kapitel 11: Anecken

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Es war der Morgen des Tages, an dem Cornelius und Ophelia das Konzertbesuchen würden und obwohl er diesem gesellschaftlichen Ereignis entsagt hatte, um die beiden ungestört zu lassen, hatte Mr. Blackwell bereits früh am Tage einigen Spaß an so mancher zirkusreifer Show-Einlage: Cornelius, der seinen Tag damit begonnen hatte, das Mobiliar seines Zimmers unter Kleidungsstücken zu begraben, bis er etwas gefunden hatte, das ihm nicht ganz so grässlich erschien, war mittlerweile dazu übergegangen, sich im Laden nützlich zu machen. Was er da allerdings tat, war weniger hilfreich, als vielmehr höchst unterhaltsam für seinen Vater. So gedankenverloren hatte er Cornelius bisher selten erlebt. Ständig lief er gegen Dinge, von denen er sonst im Tiefschlaf gewusst hätte,wo sie sich befanden und alle naselang ließ er etwas fallen. Unddann und wann dieses entrückte Grinsen. Unbezahlbar.

Mr. Blackwell, sichtlich angetan vom tollpatschigen Charme seines einzigen Sohnes, ließ sich zu so manch amüsiertem Kommentar hinreißen.

„Was ist denn los mit dir, heute?", fragte er, grinsend am Fußende der Treppe gegen das Geländer lehnend, weil er an diesem Fleck die geringste Wahrscheinlichkeit für eine Kollision vermutete. „Weißt du, dieser Tisch hat da schon vor deiner Geburt gestanden." Er machte ein ernstes Gesicht und vollführte dramatische Gesten, die in einer ausladenden Umschreibung der Umrisse des großen Ladentisches unter dem Kronleuchter gipfelten. „Und die Theke. Ich bin tatsächlich überzeugt davon, dass dieser Teppich hier seinerzeit um diese Theke herum verlegt wurde, damit sie das Ding nicht bewegen mussten!"
„Ist ja gut!", kapitulierte Cornelius, dem die Röte in die Wangen stieg ob des wissenden Gesichtsausdruckes seines Vaters.
„Setz' dich lieber hin und lies irgendwas, das hilft mir weit mehr als ein zerstörter Laden!", lachte Mr. Blackwell. „Willst du auch einen Tee? Immer noch ziemlich kalt da draußen, obwohl heute zur Abwechslung mal die Sonne scheint."

„Damit der auch noch auf meinem Hemd landet?", wollte Cornelius wissen.

„Hast ja Recht, dumme Idee." Beide lachten.

Damit verschwand Mr. Blackwell wieder im oberen Stockwerk und ließ Cornelius mit seinen Gedanken und einem Buch allein. Mit einem Ohr lauerte er jedoch stets auf die kleine, an der Ladentür befestigte Glocke. Es hatte etwas getaut und es bestanden gute Chancen darauf,dass einige Leute kommen würden, um ihren Vorrat an Lesestoff aufzufüllen. Vielleicht auch Mrs Finley, die von ihr als schlecht befundene Romane gerne als Futter für ihr Kaminfeuer verwendete.Aber noch war es früh und alle damit beschäftigt, die allgemeine morgendliche Trägheit der kalten Monate abzuschütteln.

Was Ophelia wohl gerade machte? Was sie wohl anziehen würde? Cornelius sah hinaus zum Fenster, von dem verwelkende Eisblumen in schweren Klumpen herabfielen. Heute war ihm das Wetter einmal mehr gewogen,wie es aussah.

Entgegen seiner Erwartung schaffte er es doch, sich nach kurzer Zeit so sehr in seine Lektüre zu vertiefen, dass er nicht einmal wahrnahm, wie die Tür eine Weile später so vorsichtig wie möglich an der Glocke vorbeistriff, die schon ungeduldig auf den ersten Besucher des Tages gelauert hatte, seit erste Sonnenstrahlen sie geweckt hatten. Da der Gast allerdings möglichst wenig Kraft und Geschwindigkeit in seine Bewegungen legte, brachte sie nicht mehr hervor als ein kleines,metallenes Fiepsen und verstummte im nächsten Augenblick. Gut, er hatte nichts bemerkt.

„Wie ich sehe, bist du längst startklar!", die Stimme war so nah an seinem Ohr, dass die Schallwellen tatsächlich ein bisschen kitzelten. Cornelius fuhr herum.

„Hast du mich erschreckt!" In letzter Zeit passierte das eindeutig zu oft.

Ophelia lachte zufrieden. „Ich wusste gar nicht, dass ich so gut darin bin!"

Ob er das Ben zu verdanken hatte?

„Du machst das ganz hervorragend", klagte Cornelius und hielt sich eine Hand über sein Herz, das einen so gewaltigen Satz gemacht hatte,dass es noch immer schmerzte. Allerdings war ihm das Adrenalin längst zu Kopf gestiegen und die Woge Schmetterlinge in seinem Bauch brandete so heftig, dass sie ihm ein Lächeln bis hinauf ins Gesicht spülte.

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