Kapitel 9: Des Nachts im Schnee

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Mrs Finley nahm sich einen Moment, in dem sie sich selbst für ihren guten Riecher bewunderte. Sie hatte in den letzten Tagen eine große Unruhe verspürt, da sie dank des schlechten Wetters nicht einmal vor die Tür gehen konnte, bis ihr Nachbar an diesem Morgen endlich den Gehweg für sie räumen konnte. In der Zwischenzeit hatte sie all den Lesestoff aufgebraucht, den sie sich zuletzt gekauft hatte. Sie hatte den Laden betreten und zu ihrer Freude nicht nur einen vollkommen von seiner Erkältung genesenen Theodore, sondern auch Cornelius, Ben und Ailie dort vorgefunden, die sich angeregt unterhielten. Und gerade als sie dachte, dass dieser Tag sicher interessant werden würde,öffnete sich die Ladentür hinter ihr erneut.

„Ohhhh!", machte Ailie leise und sprang erfreut auf.

Ben rückte sein Hemd unter dem grünen Pullover zurecht und wuschelte Cornelius die Haare zurecht.
„Ben, was...?"
„Du siehst aus, als seist du gerade aus dem Bett gefallen! Nimm mal Haltung an!", befahl er und machte sich daran, zur Begrüßung zu schreiten.
Mr. Blackwell kam ihm zuvor.
„Mrs Finley, Ophelia! Guten Tag. Kommt nur herein, es ist wieder kälter geworden, nicht wahr?"

„Ich wollte schon auf Schlittschuhen hierher kommen!", scherzte Mrs Finley, die ihre Vorfreude auf die kommenden Szenen nicht verbergen konnte. „Wie geht es dir, Kind?" Sie hatte sich Ophelia zugewandt, die etwas überfordert wirkte und die Tür mit größter Sorgfalt hinter sich schloss, als brauche sie noch einen Moment, um ihre nächsten Schritte zu planen. Ein solch großes Publikum war sie nicht gewohnt. Vor allem nicht, wenn es sie derart anstarrte.

„Es geht mir sehr gut, vielen Dank, Mrs Finley", sagte sie schließlich etwas langsam. Sie stand noch immer an der Tür und sah aus, als wolle sie sofort wieder kehrtmachen. Doch das würde Mrs Finley nicht zulassen. „Komm herein, Liebes. Wärm dich auf." Sie nahm ihren Unterarm und lotste sie sanft, aber bestimmt hinüber zudem Fensterplatz, wo Cornelius und Ben sie begrüßten. Ailie war hinabgesprungen und wuselte neugierig um Ophelia herum, nachdem diese auf dem roten Sitzpolster platziert worden war.
„Hallo! Du heißt Ophelia, oder? Ich bin Ailie!"
„Hallo Ailie. Cornelius hat mir schon von dir erzählt", sagte Ophelia freundlich und lächelte Ailie an. Sie wirkte, als sei sie froh, sich auf eine Person konzentrieren zu können.

„Das ist ja auch kein Wunder", triumphierte Ailie. „Wir werden schließlich irgendwann einmal heiraten!"

„Aw, Corni. Du bist beliebt!", stichelte Ben leise.

„Wie schön!", sagte Ophelia ein wenig zu schnell für Cornelius' Geschmack und Ben, dem Cornelius' Mimik in diesem Moment nicht entging, lachte sich verstohlen ins Fäustchen.

Mrs Finley und Mr. Blackwell hatten sich bereits in eine andere Ecke des Ladens verzogen und genossen das Schauspiel in Hörweite.
Cornelius war selbst etwas überfordert mit der Menge an Gästen, die sich immerhin gerade verdoppelt hatte. Aber so langsam musste er mit ihr reden, auch wenn er sich fühlte wie eine Laborratte in einem Glaskasten, die gerade eingehend von einem gewissen blonden Verhaltensforscher mit neugierigen grünen Augen beobachtet wurde.
„Ich wollte eigentlich nur kurz Hallo sagen...", sagte Ophelia, als habe sie seine Gedanken gelesen. „Schön, euch wiederzusehen",sagte sie dann zu allen im Raum. „Und schön, dich kennenzulernen, Ailie", sagte sie zu dem kleinen Mädchen, das plötzlich ganz verlegen wurde.
„Sie hat dich vor Kurzem schon einmal gesehen und fragt mich seitdem jeden Tag, wann sie die 'Märchenprinzessin' treffen darf", zitierte Ben seine kleine Schwester. Wie subtil er doch schmeicheln konnte, dachte Cornelius, der immer noch nicht zu Wort gekommen war. Ophelia sah von Ben zu Ailie und wieder zurück.
„Ich, ähm... Märchenprinzessin?" Ihre Stimme klang knallrot,ihre Gesichtsfarbe gab sich mäßig beeindruckt. Cornelius gewöhnte sich so langsam daran. Die Schneekönigin würde ganz gut passen,dachte er.
„Weil du so...hübsch...bist", platzte Ailie zunächst heraus und wurde mit jedem Wort leiser. Sie lief rot an, als stünde sie vor ihrem größten Idol.
„Aber ich bin doch gar nicht...", hob Ophelia an und sah unwillkürlich zu Cornelius, der ihr nur einen belustigten Blick zuwarf und den Kopf schief legte, als frage er, ob sie allen Ernstes etwas anderes behaupten wollte. Überraschung schlich sich in ihr Gesicht, das sich schnell wieder Ailie zuwandte und sich hinter ihrem Haar versteckte, das locker über ihre Schulter nach vorne glitt.
„Danke...", sagte sie etwas kleinlaut.
„Heh", grinste Ailie.
„Ich finde deine Zöpfe aber auch sehr hübsch", lenkte Ophelia schließlich von sich ab. Damit fühlte sie sich sichtlich wohler.
„Soll ich dir welche machen?!" Ailie war Feuer und Flamme.
„Sie werden aber nicht lange halten, ich habe kein Haargummi dabei", wandte Ophelia ein. Zu spät.
„Das macht nichts!", rief Ailie und kramte in ihren Taschen. Sie hatte stets einige Haargummis und Klammern zur Hand. Für alle Fälle.

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