Gegenwart
"Marvin, Lauf nicht so schnell! Du fällst nur wieder hin und tust dir weh Schatz!"
Ich sehe meinen wunderschönen Sohn nach. Wie so oft ignoriert er was ich sage. Nächste Woche wird er bereits 3. Seit 3 Jahren ist er der "Mann" an meiner Seite. Die Liebe meines Lebens. Das größte Wunder meiner Welt.
Nach dem Theo mich damals sitzen ließ, dachte ich, ich könnte nie wieder Liebe empfinden und ich hatte Angst, dass ich das Kind, sein Kind, nicht lieben könnte. Ich hatte Angst er würde ihm zu ähnlich sehen und jedes Mal den Hass auf Theo in mir neu aufkeimen lassen, wenn ich ihn nur ansehe. Immerhin war das in meiner Familie ja verbreitet.Am 8. April 2014 war es dann so weit. Nach vielen schmerzhaften Stunden in den Wehen, in denen ich Theo und die ganze Welt verfluchte, kam Marvin auf die Welt. Er schrie laut und man legte ihn mir auf die Brust. Sofort war er still. Ich sah ihn an und meine Welt blieb stehen. Nie sah ich etwas Perfekteres als dieses winzige, nackte Bündel Mensch. Vom ersten Augenblick an war ich verliebt und fragte mich selbst, wie ich nur jemals auf den Gedanken kommen konnte, ihn zu hassen.
Marvin war das schönste Geschöpf das ich je gesehen hatte. Seine großen Kulleraugen sahen mich wach an und ich drückte ihn an mich. Niemals wieder würde ich ihn los lassen und niemals würde ich zu lassen, dass jemand ihm genauso weh tat wie mir. Ihn zu beschützen war ab diesem Zeitpunkt meine Aufgabe und ich würde alles dafür tun.Die letzten 3 Jahre zog ich also meinen Sohn alleine groß. Auf Unterstützung meiner Familie konnte ich nicht zählen, da wir seit mehreren Jahren keinen Kontakt mehr haben. Zu oft hatte meine Mutter mich verletzt und im Stich gelassen. Jahrelang hatte ich mich ihren Launen ausgesetzt. Mal war ich gut genug für sie, um ihr zu helfen und gut zu zu reden. Dann ließ sie mich wieder zurück, ignorierte mich und ich konnte ihr nichts recht machen. Ihre Bedürfnisse standen von jeher an erster Stelle. Immer wieder warf sie mir vor, ich sähe meinem Erzeuger so ähnlich, der sie für eine Jüngere verließ als ich 1 Jahr alt war. Ich spürte ihren Hass auf ihn, den ich in all den Jahren immer wieder ab bekam. Komm her, geh Weg - ein Spiel, das wir seit meiner jüngsten Kindheit spielten und von dem ich irgendwann so müde wurde, dass ich mich kurz nachdem ich mit Theo zusammen kam, von ihr löste.
Auch zu Theos Eltern bestand seit dem Tag an dem er verschwand kein Kontakt mehr. Ich konnte und wollte diese Menschen nicht in meine Nähe wissen und sie sollten auch nichts von Marvin erfahren.
Es gab nur mich und Marvin gegen den Rest der Welt. Eine kleine Einheit bestehend aus Fürsorge, Vertrauen und tiefer Liebe. Ich hatte mir geschworen, dass niemand mehr Platz hat in unserer Einheit.
Natürlich hatten Begleiter. Ich habe einen tollen Freundeskreis, der uns in den letzen Jahren sehr half. Meine besten Freunde, die selbst abends 21 Uhr noch vor der Tür standen und mir den schreiend, 3 Monate alten Marvin abnahmen damit ich duschen und mal eine Stunde schlafen konnte. Freunde, die mir zu hörten wenn ich heulend wieder einmal da saß und die ganze Welt hasste und mir Trost spendeten.
Immer wieder versuchten sie mich davon zu überzeugen, mich einfach mal wieder mit Männern zu treffen um aus meiner Kapsel zu kommen.
Sie waren unsere Begleiter, aber in den kleinen Kreis unserer Einheit sollte niemand Zutritt erhalten.
Nie wieder wollte ich mich verlieben, so viel steht fest."Mamaaaaaaa wo sind die Elefanten?"
Marvin riss mich aus meinen Gedanken.
Wir waren im Zoo und er kannte den Weg zu seinen geliebten Dickhäutern genau. Einmal in der Woche waren wir hier und Marvin liebte es die Tiere zu beobachten.
"Liebling, du weißt, dass sie gleich kommen. Wir müssen nur noch da vorn um die Kurve, an den Vögeln vorbei und die Treppe hoch. Aber bitte bleib bei mir und renn nicht wieder vor!"
Ich habe die Worte kaum ausgesprochen, da ist er schon weg. Seit einigen Wochen, versuchte er seinen kleinen, süßen Dickkopf einfach immer durch zu setzen. Er weigerte sich einfach auf mich zu hören. Das Los der Mamas von 3 Jährigen.Ich sehe wie Marvin um die Ecke rennt in Richtung der Elefanten. Schnell versuche ich ihm hinter zu rennen.
Plötzlich höre ich einen dumpfen Knall und wie mein Sohn laut auf schreit.
Ich biege um die Ecke und Marvin liegt auf dem Boden wie ein Maikäfer im Wind. Er weint ganz laut.
Hastig beuge ich mich zu ihm runter um ihn auf zu heben und zu trösten. Marvin klammert sich schniefend an mich. Dicke Tropfen laufen aus seinen blauen Kulleraugen und seine blonden Haare sind voller Dreck.
"Liebling hast du dir weh getan?", frage ich ihn und streichle zärtlich seinen Kopf.
"Well, ich denke, dass könnte einen blauen Fleck an meinem Hintern geben.", antwortet eine männliche Stimme.Erst jetzt nehme ich wahr, dass Marvin mit jemanden zusammen gestoßen ist. Ich richte mich mit ihm auf dem Arm auf und Blicke in ein Paar tiefblaue Augen.
Tiefblaue Augen die mir sofort bekannt vorkommen...

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Elefantenohr
Hayran KurguNie wieder wollte sie jemanden in ihrem Leben. Doch dann kam er, unverhofft, plötzlich...