>> Kapitel 7 <<

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  Becca's Fingerknöchel schmerzten von den Schlägen, den sie den beiden Brüdern verpasst hatte.
Ihre Haut brannte, dort wo sie sie getroffen hatte, doch es war reine Genugtuung. Sie hatte es sich selbst geschworen, dass sie den beiden eine verpassen würde, falls sie sie wiedersehen sollte.
Murphy und Connor wechselten noch immer verwirrte Blicke und rieben sich ihre geröteten Gesichtshälften.
„Was...was sollte das?", hakte Connor nach und rieb sich ein letztes Mal übers Gesicht.
Becca fiel es schwer ihn anzuschauen. Doch noch schwerer fiel es ihr Murphy anzusehen, weswegen ihre Aufmerksamkeit ganz Connor galt.
„Das wisst ihr beiden irischen Ärsche ganz genau!", fauchte sie wütend und rieb sich ihre pochende Hand. Noch nie hatte sie jemanden geschlagen und trotz des Schmerzes würde sie den beiden am liebsten noch eine knallen.
Becca sah sich in dem kleinen Raum um, erkannte die spärliche Einrichtung, das Bett, welches lediglich aus zwei Matratzen bestand und die zwei Regale, die hier standen. Eindeutig das Zuhause der MacManus Brüder.
„Okay, das hatten wir verdient", gab Connor seufzend zu und bewegte sein Kopf leicht hin und her. Sein Blick fiel zu Murphy und für eine Sekunde gab Becca dem Drang nach auch zu ihm zu sehen und erkannte sofort, wie er die Lippen schuldbewusst zusammengepresst hatte. Zurecht. Sollte ihn das schlechte Gewissen doch auffressen.
Becca schaute zurück zu Connor. Sie wollte ihn gerade fragen, wo die beiden waren und was ihnen einfällt einfach so wieder hier aufzuschlagen, als Connor ihr zuvor kam.
„Wo ist Liv? Was ist passiert?"
Und jetzt war Becca es, die das schlechte Gewissen plagte. Sie hatte in den letzten Minuten tatsächlich Liv vergessen.
Becca hatte lediglich an die beiden MacManus Brüder und ihren Groll gegen sie gedacht.
Mit zittrigen Schritten ging Becca im Raum umher und ihre Gedanken überschlugen sich, als sie an die Nacht zurückdachte.
Ihr fiel alles wieder ein: Wie die Lampe am Laptop leuchtete, wie sie aus der Wohnung stürmten, wie sie von den Kerlen geschnappt und im Van verprügelt wurden. Und auch wie sie gemeinsam flüchten wollten und nur sie es geschafft hatte.
Becca's Blick fiel auf ihre Handgelenke, auf ihre Wunde am Bein und die aufgeschürften Unterarme.
Augenblicklich brach sie in Tränen aus und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Sie stolperte Rückwärts und landete mit dem Hintern auf dem Bett.
Laute Schluchzer entfuhren ihr und Becca's Körper wurde von erschütternden Beben heimgesucht.
Plötzlich fühlte sie eine Hand an ihrem Bein. Becca schniefte und wischte sich mit einer Hand über das feuchte Gesicht, ehe sie Connor vor ihr knien sah. Murphy stand noch immer Abstandshaltend nahe der Tür und beobachtete sie und Connor aufmerksam.
„Becca...was ist passiert?", ertönte seine Stimme und Becca fühlte, wie er nach ihrer Hand griff.
Im allerersten Moment war seine Berührung tröstend, doch in der zweiten fiel ihr wieder ein, wieso sie hier saß und weinte.
Becca sprang augenblicklich auf und brachte so viele humpelnde Schritte wie möglich zwischen ihn, Murphy und ihr. Als sie mit dem rechten Bein zu stark auftrat, durchzog Becca der Schmerz wie ein Blitz und sie begann zu taumeln. Sie schrie auf und war im Begriff nach vorne in das Regal zu fallen, doch ehe sie dagegen schlug war Murphy schon wieder bei ihr und hielt sie fest. Becca's Finger krallten sich in seinen Pullover und er zog sie mit einem Ruck wieder auf die Beine. Ihre Oberkörper berührten sich und Becca spürte seine Hände, die unter ihre Arme griffen und sie am Rücken festhielten.
Becca's überraschter Blick wanderte zu seinem hinauf. Er schaute sie aus ruhigen blauen Augen an und schluckte verlegen, als er sich ebenfalls der Nähe bewusst wurde.
„Fass mich nicht an!", fauchte Becca ihn plötzlich an, stieß ihn von sich weg, so dass er sofort einige Schritte Abstand nahm.
Obwohl Becca so verflucht sauer auf ihn war, ihn am liebsten zur Hölle geschickt hätte, fühlte sie noch immer seine Berührungen, seine Wärme und diesen Blick auf ihr. Dieser Blick aus diesen stahlblauen Augen, der sie schon damals so fasziniert hatte.
Und da war er wieder. Dieses tückische Gefühl, eine Erinnerung an einen ganz bestimmten Moment, der einem vorgaukelte, dass alles in Ordnung war.
Doch das war es nicht.
Die beiden Brüder hatten sie verlassen, zurückgelassen. Ohne Erklärung.
„Ist das eigentlich euer verfluchter ernst?", schrie Becca sie deswegen an, nachdem sie es geschafft hatte ihre Emotionen wieder unter Kontrolle zu bringen. „Was glaubt ihr, wer ihr seid? Habt ihr auch nur im Geringsten eine Ahnung, was hier vor sich geht?"
Ihre Stimme war laut und die beiden tauschten wieder einen Blick miteinander aus.
„Unser plötzliches Verschwinden tut uns leid", erklärte Murphy schließlich. Es war das erste Mal, dass er mit Becca sprach. Und es war so seltsam seine Stimme wieder zu hören. „Wir mussten gehen."
„Wir mussten gehen", äffte sie ihn verachtend nach. „Verdammt, ihr musstet gar nichts! Wisst ihr eigentlich, wie wir uns gefühlt haben?"
„Becca..."
„Nein!", unterbrach Becca Murphy sofort wieder und funkelte ihn wütend an. „Sagt nicht, dass es euch leid tut. Ihr hättet euch melden können. Nur kurz Bescheid sagen, wo ihr seid, dass es euch gut geht."
Betreten schauten die beiden zu Boden, mieden Becca's bohrenden Blick.
„Ihr habt keine Ahnung, wie wir uns den Kopf darüber zerbrochen haben, was mit euch passiert ist! Wir wussten nicht, ob ihr tot seid oder ob ihr einfach nur kein Bock mehr auf uns hattet. Wir wussten-"
„Becca wir-"
„Halt deine verfluchte Klappe, Connor! Kannst du dir auch nur eine Sekunde vorstellen, wie es Liv ergangen ist? Wie sie sich gefühlt hat?" Es tat so gut ihnen all die angestaute Wut entgegen zu schmettern. All ihren Schmerz und Kummer, der sich über diese Zeit angestaut hatte, los zu werden, ihr Luft zu machen.
„Ihr seid einfach so abgehauen. Von heute auf morgen. Habt uns im Unwissen gelassen – als wären wir euch scheißegal!", warf Becca ihnen vor. „Als hätten wir euch nie etwas bedeutet."
Sie bebte vor Wut, hatte ihre Hände zu Fäusten geballt und schnaubte regelrecht vor Anspannung.
Die Brüder tauschten wieder Blicke aus und schauten dann zu Becca zurück.
„Becca, hör mal", begann Connor und versuchte sich zu besänftigen. „So einfach ist das nicht. Wir wollten... wir wollten nicht einfach so abhauen wir..."
„...wir mussten es tun. Auch wenn du uns nicht glaubst, es war zu eurem Schutz", führte Murphy Connors gestammelten Satz weiter.
Becca schnaubte verächtlich.
„Na klar, als hättet ihr beiden Idioten so weit vorausgedacht", kommentierte sie düster und schüttelte den Kopf.
„Wir...wir hätten euch nur in Gefahr gebracht. Einem unnötigen Risiko ausgesetzt", setzte Connor weiter nach. „Wir wollten das wirklich nicht, aber wir mussten es tun. Nur so wart ihr in Sicherheit."
Becca prustete ironisch amüsiert und riss die Hände in die Luft.
„Ah...natürlich...und warum kann man uns darüber nicht in Kenntnis setzen? Ihr wart wie vom Erdboden verschwunden. Wie konntet ihr uns das antun?"
Murphy schluckte schwer, als sie ihm nun direkt in die Augen sah. Seine blauen Augen wirkten traurig und beschämt.
„Wir haben doch nur...wir wollten..."
„Was wolltet ihr? Euch Sturmmasken überziehen, durch Boston rennen und sämtliche Verbrecher abknallen, die euch vor die Flinte rennen? Euch als die Heiligen feiern zu lassen?"
Als Becca diesen Satz sprach, weiteten sich die Augen der beiden enorm und sie zogen erstaunt die Augenbrauen hoch. Wieder wechselten die beiden einen Blick und noch ehe sie bei ihr waren, schrie sie sie weiter an. „Sich zu verpissen und uns abzuschieben hat nichts gebracht. Rein gar nichts! Liv ist jetzt bei denen und das ist eure Schuld!"
Becca trommelte wie eine Wahnsinnige mit den Fäusten auf Murphys und Connors Brust ein, als sie dicht vor ihr standen.
Sie hielten Becca's Schläge tapfer aus und griffen beide nach einem Arm von ihr.
„Woher weißt du das? Woher weißt du, dass wir die Heiligen sind?", hakte Connor mit verbissener Miene nach. „Wer weiß noch, dass wir es sind? Und was meinst du da gerade mit Liv? Wer hat sie? Wo ist sie? Rede, Becca, komm schon!"
Connors Griff um Becca's Arm, um ihn ruhig zu halten, während Murphy ihren anderen Arm festhielt. Jedoch nicht so fest wie Connor.
Connors Blick bohrte sich in Becca's und sie erkannte die Sorge darin.
„Yakavetta!", rief sie und riss sich von ihnen los. „Yakavetta hat sie! Er wollte uns beide. Wir haben es aus diesem Van geschafft...doch dann...dann hat sich der eine Typ Liv gekrallt und ich konnte...ich konnte nichts tun und bin weiter gelaufen. Ich bin...einfach weitergelaufen." Die Tränen kamen erneut hoch und schnürten ihr die Kehle zu. „Ich...ich hab sie zurückgelassen...ich hab sie einfach..."
„Hey...hey", kam es mit sanfter Stimme von Connor und er kam zu Becca. „Das ist nicht deine Schuld."
Connor nahm sie in den Arm und sie krallte sich so fest an ihn, wie sie nur konnte. Becca vergrub ihr verheultes Gesicht an seiner Halsbeuge und brauchte ein wenig, bis sie sich wieder beruhigt hatte.
Sie legte ihr Kinn auf Connors Schulter ab und schaute hinüber zu Murphy, der betreten in der Ecke stand und von einem Bein auf das andere trat. Als er hoch sah, trafen sich ihre Blicke und es war das erste Mal, dass sie sich länger in die Augen sahen. Er hatte seine Lippen zu einer geraden Linie verzogen und seine Hände schüchtern in den Hosentaschen vergraben. Wäre Becca nicht noch immer so verflucht wütend auf die beiden gewesen, hätte sie ihn wahrscheinlich extrem anziehend in diesem Moment gefunden. Schnell wandte sie deswegen ihren Blick wieder ab und löste sich aus der Umarmung von Connor.
Sie setzte sich aufs Bett und begann dann alles ganz in Ruhe zu erklären. Becca schilderte ihnen, wie Pietro in die Bar gerannt kam und Alessandro erzählte, dass Leonardo tot aufgefunden worden war. Wie wütend die Yakavetta Familie nun war und das es ein Foto von den beiden gibt.
„Ein Foto!? Es gibt ein Foto von uns?", fragten sie synchron und tauschten einen besorgten Blick. Mittlerweile saß Connor rechts von Becca auf dem Bett und Murphy links von ihr.
„Es ist kein gutes. Man erkennt euch nur, wenn man euch persönlich kennt. So wie Liv und ich eben. Ich weiß nicht, wo das Bild gemacht wurde."
„Und anhand eurer Reaktion haben sie herausgefunden, dass ihr uns kennt?", fragte Murphy und strich sich nachdenklich übers Kinn.
Becca zuckte mit den Achseln. „Ich weiß es nicht. Eigentlich haben wir uns recht normal verhalten. Außerdem waren wir ja nicht hundertprozentig sicher...naja...ich nicht."
„Und Liv schon?", fragte Connor mit hochgezogenen Augenbrauen nach.
„Natürlich!", donnerte sie los. „Sie hat auf so ein Zeichen doch nur gewartet! Sie schleppte andauernd ein Foto von uns alles mit sich, obwohl ich ihr gesagt habe, sie soll es wegschmeißen. Was meinst du, wie aufgeregt sie war, als sie nach euch geforscht hat und herausbekam, dass ihr lebt und anscheinend nie aus Boston verschwunden seid."
Connor schien nachzudenken und verzog dabei grüblerisch das Gesicht.
„Abends haben wir dann entdeckt, dass die Laptop Kamera an war und wir belauscht wurden. Natürlich haben wir in diesem Moment gerade über euch geredet – keine Sorge ohne Namen – und dann flüchteten wir aus der Wohnung und sind geradewegs in die Arme dieser behaarten Handlanger von Yakavetta gelaufen." Den Rest ließ Becca aus, darüber wollte sie jetzt nicht reden.
Den Teil konnten sie sich selbst denken.
„Wie kommt es eigentlich, dass ihr da in diesem Bistro gearbeitet habt?", fragte Murphy nun nach.
„Ja, und dass ihr mit der italienischen Mafia zutun habt?", schlussfolgerte Connor neugierig.
„Nachdem wir unsere Jobs in dem Café verloren haben, weil wir uns auf die Suche nach euch beiden dämlichen Idioten gemacht haben, war das das einzige Bistro, was wir gefunden haben, dass uns beide dort arbeiten ließ", erklärte sie mit einem gewissen verärgerten Unterton.
Verlegen kratzten sich die beiden am Hinterkopf, als sie hörten, dass Liv und Becca ihre Jobs wegen ihnen verloren hatten.
„Das...tut uns leid", entschuldigte sich Murphy mit einem leisen Zischen.
Becca funkelte ihn wütend an und presste die Kiefer aufeinander.
Ihre Gedanken wanderten zurück zu Liv und was für Angst sie haben musste. Sie knetete ihre Finger vor Nervosität und traute sich kaum, die nächste Frage zu stellen.
„Was passiert jetzt mit Liv? Glaubt ihr...glaubt ihr sie werden sie..." Becca brach ab, denn sie konnte dieses Wort nicht über ihre Lippen bekommen. Hätte sie es doch bloß sein lassen und wäre nicht auf diese dämliche Idee gekommen aus diesem Wagen zu flüchten. Dann wäre sie jetzt bei Liv.
Connor warf ihr einen betretenen Blick zu und auch Murphys Miene wurde noch finsterer.
„Wir wissen nicht, was sie mit Liv machen werden. Das wissen wir wirklich nicht", erklärte Connor in einem traurigen Ton.
„Aber wenn sie sie dazu kriegen zu reden, dann sollten wir-"
„Sie wird nicht reden!", zischte Becca fauchend. „Ihr kennt sie. Sie würde euch niemals verraten!"
Eher würde sie sterben...  

BrothersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt