Beginn

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Den Unterschied zwischen typischen Langschläfern und Frühaufstehern konnte man an jenem Morgen ganz klar feststellen. So schliefen Norbert, Mira, Anton und Daniel noch wie kleine Neugeborene, während Mahoud, Markus, Ernst, Julia und Peter bereits hellwach waren und sich im großen Haus umsahen, wobei man sagen muss, dass Peter generell jeden Morgen um zirka sechs Uhr schon aufstand, um irgendwelche komischen Tänze zu vollführen. In der Nacht zuvor hatten sie alle nicht genügend Energie dafür – die sehr lange Reise nach Russland hatte sie alle ermüdet, davon waren die Crew-Mitglieder nicht ausgenommen. Markus war der Erste, der den Keller begutachtete. Er interessierte sich offenbar sehr für die dort auffindbaren Gerätschaften, die ein späteres Jagen erleichtern sollten. Peter vollführte auf dem Balkon seinen eigenartigen Ritualstanz, Mahoud konnte nicht gut schlafen und ging dementsprechend schwerfällig im Haus herum, Ernst inspizierte das oberste Geschoss und stellte unter anderem fest, dass man den Dachboden nicht betreten konnte, weil dazu ein Schlüssel fehlte. Und Julia war damit beschäftigt, sich etwas zum Essen herzurichten. Dafür entnahm sie einige Lebensmittel aus der bereitstehenden Kiste, womit zu der ersten Person wurde, die den Nahrungsspeicher stückweise entleerte, nur um sich ein kleines Frühstück herzurichten. Um ungefähr elf Uhr aber erwachte jeder geübte Träumer aus seinem Tiefschlaf und machte ebenfalls einen Rundgang in dem Haus. Alle, außer Markus – er verweilte lange im Keller und machte keine Anstalten, sich den Rest des Hauses anzusehen, was sehr merkwürdig war. Auch Thomas und die anderen schlafenden Film-Leute wachten endlich auf und bereiteten sich auf den ersten Drehtag vor. Gerold, der Moderator, richtete sich schon optisch her, zog sein schickes braunes Sakko an, geelte seine Haare, richtete sich auf und ging mitsamt seinem Mikrophon vor das Haupttor, wo bereits andere Kameraleute und der Regisseur selbst warteten. Thomas ließ die Kandidaten kurz zusammentrommeln und sagte ihnen ein letztes Mal, dass in genau einer Stunde der Dreh anfangen würde und sich alle darauf einstellen sollten. Nach dieser Ansage begannen auch die Drehleute damit, alle Sachen vorzubereiten – Stative wurden aufgestellt, Kameraperspektiven eingestellt, Mikrofone getestet, Beleuchtungen aktiviert und, und, und. Nach einer ganzen Stunde, also genau um Mittag dieses Tages, waren auch sie fertig, und der Dreh begann. Die Kameras wurden angemacht und die Live-Übertragung geschalten – Killswitch war eröffnet.

Die Kameras schwenkten zuerst zu dem schicken Moderator, der vor dem Haus stand und etwas zum Publikum sagte: „Meine Damen und Herren, werte Zuschauer und Zuschauerinnen. Egal, ob Sie diese Show nun im Streaming-Modus oder im Fernsehen betrachten, das was Sie hier sehen, ist Authentizität in ihrem vollen Ausmaße. Alles, was Sie sehen, ist echt und nicht gestellt. Das ist Killswitch, und mein Name ist Gerold Ackermann. Ich moderiere diese Sendung. Das Hauptprinzip von Killswitch ist relativ simpel: Wir haben neun sehr interessante Kandidaten – Norbert, Peter, Daniel, Ernst, Markus, Julia, Mira, Mahoud und Anton -, welche für ganze zwei Monate von unseren Kameras und Mikrofonen aufgenommen werden. Dabei wird nichts herausgeschnitten oder dem Publikum vorenthalten, denn alles sollte verfolgbar sein. Dazu ist es noch so, dass unseren Kandidaten begrenzte Essens-Rationen zur Verfügung stehen, weswegen sie früher oder später damit beginnen müssen, in der russischen Wildnis zu jagen. Wie sie das anstellen werden, steht in den Sternen, aber auch das werden Sie sehen, nachdem die Kisten leer sind. Dazu gibt es noch eine Sache, die unserer Serie die letzte Würze gibt: Der Killswitch-Schalter, der sich irgendwo versteckt in dem Haus befindet. Wer ihn findet, der erhält ein hohes Preisgeld. Aber um ihn erstmal zu finden, ist es nötig, Hinweise zu suchen, die sich ebenfalls im Haus befinden. Dann werden wir mal sehen, wie unsere Leute das angehen werden! Ich werde diese Serie teils auch aus dem Off kommentieren, um die Kandidaten bei ihrem Sein nicht zu stören!", sprach er in die Kamera und lächelte dabei hin und wieder künstlich.

Der Techniker, der die einzelnen Bildschirme vor sich hatte, wo man die verschiedenen Kamera-Perspektiven sehen konnte, entschied permanent, von welcher Kamera aus übertragen werden sollte. Ein mühseliger Job, wenn man bedenkt, dass er dies nun für ganze zwei Monate tun sollte, doch im Fernseh-Business musste man stets mit langen Arbeitszeiten rechnen. Und es war ein Riesenprojekt, das wusste jeder, der mitwirkte. Das Kamerateam betrat das Haus und filmte, wie die Kandidaten zunächst alle im Wohnzimmer herumhingen und kein Wort miteinander wechselten. Es war für sie bizarr, gefilmt zu werden, und das war auch nicht weiter verwunderlich. Zwar wurde ihnen ausdrücklich mitgeteilt, dass sie sich so benehmen müssten, als wären keine Kameras da, aber das funktionierte anscheinend nicht sonderlich gut. Thomas gab per Handzeichen einige Deutungen, dass sie irgendwie agieren mussten. Und während sie so filmten, setzte sich Gerold Ackermann zu dem großen Übertragungs-Van und kommentierte das ganze Geschehen aus dem Off – so stellte er zum Beispiel die Kandidaten vor, wenn der Kameramann gerade zu den einzelnen Gesichtern schwenkte.

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