Das ungewollte Los

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Nacht. Gemurmel. Stundenlang schon war ein nerviges Nuscheln zu hören, das von den Personen rund um die belebte Lagerfeuerstelle vor Kenneths kleiner Hütte kam. Arnold sprach mit Richard über ihre früheren Leben, Norbert wollte vergeblich bei Julia landen und fragte sie dementsprechend aus, Daniel diskutierte mit dem Koch über die besten Asian-Wok-Restaurants in Manhattan, während Thomas mit Ernst Marak über Gott und die Welt - und einen atheistischen Ritter namens Roland aus irgendeinem Buch - philosophierte. Nur Markus saß alleine auf einem Holzstück nur wenige Meter entfernt von Kenneth, der ebenso schwieg und nur wortlos ins brennende Feuer starrte. Irgendwann musste der Hausherr Kenneth diese Unterhaltungen unterbrechen, da er sich offenbar sehr gestört fühlte.

„Haltet die Schnauze mal, ihr Hunde!", begann er auf einmal zu schreien, indes er noch immer wie versteinert in die Flammen des Lagerfeuerns blickte. „Sprecht ihr immer so viel, wenn ihr zusammen seid, oder was, folks? Oder ist der Tag einfach nur sehr lang gewesen?", er schien dasselbe Temperament wie Markus zu haben, weshalb es nicht weiter verwunderlich war, dass die beiden einander verstanden.

Und tatsächlich, der rothaarige Bartträger schaffte es, das nicht zu enden scheinende Gefasel der Versammelten von einer halben Sekunde auf die andere in ein schockiertes Schweigen zu verwandeln. Nur mehr das typische Knacken der verbrennenden Hölzer konnte man vernehmen.

„Darf man denn nicht mehr reden?", fragte ein verständnisloser, sehr überrascht wirkender Daniel nach und versuchte, den Blick von Kenneth zu erhaschen, der jedoch nicht vom Feuer wich.

„Ich hab' kein Problem damit, wenn ihr was faselt... Aber doch nicht so einen Bullshit, versteht ihr?", sagte er.

Markus nickte: „Ist wirklich so."

„Das stärkt doch die Gemeinschaft...", Thomas beugte seinen Schädel nach vorne, um von dem Iren besser wahrgenommen zu werden. „Auch wenn's in den Augen von vielen nur Blödsinn ist, dann sei's drum... Wir werden wahrscheinlich aus dem Wald nie wieder raus kommen, also brauchen wir so eine Art Ablenkung für uns. Die Seele muss das doch irgendwie verdauen können."

„Fehlt nur noch eine Flasche Scotch, oder?", unterbrach ihn Ernst zwinkernd.

„Genau", antwortete Norbert lustig klingend – oder lustig klingend wollend - für Thomas.

Kenneth sah nun endlich vom verfluchten Feuer weg und starrte die Gruppe der zu ihm Sprechenden an: „Dann redet über diese scheiß Nigger in unserem Land, die man am besten verbrennen sollte. Oder diese Muslime. Am besten wär's, wenn man die mit Stöcken verprügeln dürfte, aber für die Wohltat landet man ja im Knast bei euch, ne? Am meisten hassen tu' ich aber immer noch die Inder, die in good old England ihr Unwesen treiben, weil sie's in ihrem scheiß Land zu nichts gebracht haben, folks."

Das, was Thomas die ganze Zeit vermutet hatte – nämlich dass Kenneth ein Rassist und konservativer Patriot wäre -, wurde nun endgültig bestätigt. Vorher hatte der Regisseur die einzelnen Tattoos auf seinen breiten Unterarmen sehen können: Symbole der Aryan Brotherhood. Immerhin hatte Thomas diesbezüglich ein klein wenig Hoffnung in ihn gesteckt – vielleicht ein Sinneswandel, eine Charakterveränderung, ein Meinungswechsel, eine aufgebaute Distanz zur rechtsextremen Szene, wobei die Tätowierungen nur Überbleibsel dieses dunklen Lebensabschnitt wären? Ihm kam Kenneth anfangs gar nicht wie ein Extremist vor. Dass er versucht hatte, das Gute in ihm zu sehen, war für nichts und wieder nichts.

Gerade der sehr weltoffen und links eingestellte Daniel erschrak extrem. Alle anderen machten auch schräge Gesichter, alle außer Beck natürlich.

„Was redest du da? Ist das dein Ernst, Kenneth? Ein Scherz? Ein Joke?", fragte er nach.

„Versuch' nicht, mir mit meiner Muttersprache zu gefallen, Junge. Du hast keine Ahnung vom Leben. Bist ja schließlich auch eine verdammte Schwuchtel."

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