Zwei Tage sind vergangen, seitdem Mira und Mahoud die unteren beiden Stockwerke endgültig verlassen hatten, um zu dem dubiosen Anton Felder zu gehen, der sich angeblich um seine Leute scheren sollte. In der Zwischenzeit war nicht atemberaubend viel passiert, wenngleich Thomas und der Großteil der Anwesenden am Set noch immer von den Geschehnissen der letzten Tage im Negativen beeinflusst waren. Keine einzige Meldung von Horst, ein totes Crew-Mitglied, eine aufgespaltene, nicht zu bändigende Darstellertruppe und viele andere Probleme bescherten dem Regisseur schlaflose Nächte und ebenso unruhige Wachstunden. Öfters am Tag gab es vereinzelte Mitglieder des Drehteams, die mit ihren persönlichen Handys versuchten, irgendeinen Notruf zu wählen, doch die Gegend, in der sie sich alle befanden, war scheinbar ein Loch, in dem kein Telefonnetz funktionieren konnte, obwohl Divine das so versprochen hatte, falls irgendetwas passieren sollte. Und die Tatsache, dass der korpulente Security-Leiter Gregor derartig versuchte, den Notruf von Thomas zu unterbinden, das setzte ihm auch ordentlich zu. Eigentlich schätzte der Filmemacher den dicklichen Mann bis dato immer als kauzig und faul, aber keineswegs als bedrohlich, heimtückisch oder gefährlich ein. Jedem anderen hätte er eine Drohung eher zugetraut als ihm, woraus er schlussfolgern musste, dass mit großer Wahrscheinlichkeit der zum Sektenführer aufgestiegene Felder was damit zu tun hatte.
Hat er das im Voraus geplant? Hat Felder den dicken Kerl etwa bestochen? Und wenn ja, mit was? Hatte er ihm mit dem Tod gedroht und ihn somit dazu gebracht, so zu handeln?, das waren nur einige der unzähligen Fragen, die dem jungen Mann förmlich durch den Kopf schossen.
Ein anderer Mann aus seinem Team aber machte sich stets ähnliche Gedanken zu dieser Sache. Die Rede war von Gerold Ackermann, dem eigentlichen Moderator von Killswitch. Der blonde, große, schlanke, gutaussehende und mit einigen Muttermalen am Kinn gezierte Adonis hatte bis jetzt schon bei zahlreichen Projekten die Moderation übernommen und das Publikum unterhalten, obwohl man bedenken muss, dass sein sehr selbstbewusstes Auftreten nicht bei jedem Zuseher Anklang fand. Entweder man mochte ihn, oder man verachtete seine Person. Und auch wenn man es bei seinem hohen Level an Selbstsicherheit kaum für möglich halten konnte, so war ihm die Meinung des Publikums wirklich wichtig. Normalerweise konnte er durch die sozialen Medien die Kritiken sehen, doch auch das mobile Internet funktionierte hier in dieser russischen Einöde nicht, weswegen es ihn deprimierte, nicht wissen zu können, wie seine anfängliche Moderation beim Publikum ankam. Seit Tagen allerdings war seine Rolle sowieso schon überflüssig, denn nachdem man sich dafür entschied, nur mehr über die vorinstallierten Kameras zu übertragen, geriet seine Rolle in den Hintergrund. Richard, der Schnittmann, meinte zwar, dass er weiterhin aus dem Off kommentieren könnte, doch auch da vergaß man oft auf seinen Job und holte ihn nicht mal zu dem Mikrofon. Die meiste Zeit also verbrachte Gerold somit mit Herumliegen und Faulenzen. Den Tag über verlor er sich in teils hirnrissige und absurde Gedanken, während er es in der Nacht oftmals mit der Angst zu tun bekam, was von den jüngsten Ereignissen rührte.
Diese Nacht lag er wieder einmal hellwach in dem aufgestellten Bett seines Crew-Zelts. Der nicht wenig verdienende Moderator hatte das Privileg, sein eigenes Zelt beziehen zu dürfen. Doch trotzdem bekam er seit einiger Zeit kein Auge mehr zu. Er gab es nach drei Stunden auf und bewegte sich aus seinem Bett – er war sich dessen sicher, dass er keinen Einschlafversuch mehr unternehmen würde. Seine Beine führten ihn ins Äußere, wo ein peitschender Wind wehte, weshalb er sich seine Schuhe, seinen Schal und seine dicke, grüne Daunenjacke anziehen musste. Es war wieder einmal so unheimlich ruhig, und nur das große, furchteinflößende Haus leuchtete vereinzelt aus den Fenstern, die sich in Felders besetztem Stockwerk befanden. Bei Nacht wirkte das altertümliche Anwesen viel gewaltiger, viel komplexer, viel beängstigender. Für Gerold sah es fast schon so aus, als würde es fies grinsen, obwohl dies eigentlich extrem abwegig war. Als er langsam durch das Zeltlager der Crew ging, sah er zwei Kameramänner, die sich unterhielten.
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KILLSWITCH
Mister / ThrillerThomas Altmann ist ein aufbrausender Filmemacher der Ageloin-Mediengruppe, der sich schon seit Monaten nach einem neuen Auftrag sehnt. Eines Tages wird sein Wunsch erhört, und sein Chef bringt ihm das mysteriöse Skript für eine neue Reality-TV-Serie...