Schlechte Gegenüberstellungen

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Norberts Magen knurrte, schmerzte und ein unerträgliches Stechen kam in ihm immer und immer wieder hervor – es war die Tatsache, dass die letzten Überbleibsel des erlegten Schweines schon weg waren, und dass seine Nahrungszufuhr ohnehin seit Tagen schon äußerst limitiert war. Er saß nachdenkend und in Gedanken verloren auf der Treppe hinauf zum ersten Stockwerk und hatte sich seine Ellbogen lässig auf die angewinkelten Knie gelegt. Hätte ein Dritter sein blasses Gesicht gesehen, so hätte dieser sofort geschlossen, dass Norbert geschwächt aussah, was auch der Wahrheit entsprach. Das große Licht war bereits ausgeschalten; es dürfte circa zehn Uhr abends gewesen sein, wo Ernst Marak, Julia Hader, Daniel Xander und die anderen sich schon schlafen gelegt hatten. Eventuell war es ja so, dass sämtliche Kandidaten im Stockwerk unter Felder die Zeit totzuschlagen versuchten, indem sie so früh und so lang als möglich schliefen, damit die noch ausstehende Dauer irgendwie zu überbrücken. Es war offensichtlich, dass jede Sekunde, die sie hier in diesem Anwesen fristen mussten eine Qual, eine reine Tortur gewesen ist, aber mittlerweile hätte selbst der letzte Holzkopf erkannt, dass es so schnell kein Entrinnen mehr aus dem Mjasnoi-Bar geben würde. Ein verschwundener Jeep, ein nonexistentes Handynetz, zwei Tote und viele andere merkwürdige Sachen, die eindeutig gegen eine frühzeitige und sichere Heimreise sprachen. Und während eben jene deprimierte Kandidaten genauso wie ihre Leidensgenossen in den Zelten der Crew versuchten, mit Schlaf die übrige Zeit zu tilgen, gab es neben den Sektenmitgliedern Menschen wie Norbert, die ihr Schicksal nicht akzeptieren konnten. Es war für ihn nicht annehmbar, dass er in einer derartig misslichen Lage wie zum jetzigen Zeitpunkt gelandet ist – nein, das konnte und wollte der junge und bleiche Norbert nicht glauben, nicht wahrhaben. Und dieser konstante Versuch, sich die Realität auszureden mündete in Nervosität, die ihn wiederum nicht einschlafen und somit zur Ruhe kommen ließ. Also dachte er nach, meist für Stunden, manches Mal nur relativ kurz. Und in seinen Gedanken malte er sich aus, wie es denn sein würde, nach diesen Wochen wieder einmal in der Zivilisation zu sein; außerdem versuchte er stark Argumente zu finden, um eine etwaige Rettung durch die Einsatzkräfte doch noch realistisch erscheinen zu lassen, aber da er diese kaum bis gar nicht finden konnte, musste er diesen Traum langsam austräumen.

Ein Anderer im Haus war außerdem auch noch immer wach zu jenen späten Stunden des Tages. Es war der gefährliche Markus Beck, der sich in letzter Zeit fast ausschließlich im Keller des Anwesens aufhielt und dort seine Zeit verbrachte. Niemand mochte Markus, niemand schätzte ihn, niemand wollte etwas mit ihm zu tun haben, jeder versuchte nur so gut es ging ihm aus dem Weg zu gehen, weswegen auch niemand genau wusste, was er genau dort tat. Aber Norbert dachte just in dem Moment darüber nach, was denn sein würde, wenn er das Unterfangen einfach mal wagen würde und ihn besuchen käme. Er spielte förmlich mit dem Gedanken, seinem eigentlichen Feind einen Besuch abzustatten.

Wird er mich etwa umbringen oder was? Ich frage mich sowieso schon, was der Kerl da unten immer treibt... Er ist mir suspekt, das ist klar, aber ich bin einfach viel zu neugierig geworden...

Nachdem er es sich noch einmal überlegt hatte, stand er auf, marschierte die Treppe runter und ging zur Kellertür zu, bis er unmittelbar davor angelangt war. Es war – wie beinahe jede andere Tür im Haus – eine Hölzerne, und sie hatte im Kontrast zu den anderen Türen viele Kratzer vorzuweisen. Unter dem Türspalt erkannte Norbert das brennende Licht im Inneren des Kellers, und so öffnete er langsam. Nun war er auf der nach unten führenden Stiege des Untergeschosses angelangt, wo er schon einige Geräusche vernehmen konnte, die stark darauf hindeuteten, dass Markus wohl irgendetwas bastelte oder baute. Darüber hinaus hörte man vereinzelt Schreie, die von dem Muskelmann ausgestoßen wurden, aber das wunderte Norbert gar nicht mehr. Er war es gewohnt, die komischen und meist wenig sinnvollen Schreiereien des Querdenkers vom Keller bis in sein Schlafzimmer zu hören. Ungeachtet des Geheuls ging er weiter hinab, bis er im steinernen Flur angelangt war, der im Vergleich zu den restlichen Gängen der Villa wenig ästhetisch gewesen ist. Nur karger, eintöniger Steinboden und weiße Betonwände zierten diesen. Die dritte Tür von rechts war die Werkstätte, die anderen Zimmer waren unter anderem zwei Lagerräume, ein Klo, ein Waschzimmer und eines, das ein altes Bett, zwei hölzerne Kästen, viele alte, russische Bücher und einige bizarre Gemälde beinhaltete. Wie dem auch sei, Norberts Weg führte ihn direkt in die Werkstatt, wo er sofort auf den arbeitenden Markus traf, der gerade mit einer Säge, einem Hammer und vielen Nägeln an einer scheinbaren Nahkampfwaffe experimentierte. Er hatte sich einen breiten Ast genommen, ihn in eine Kegelform gesägt und mit vielen Nägeln und Drähten präpariert, sodass man dies durchaus als Schlagwaffe durchgehen lassen konnte. Als er Norbert erblickte, schien er nicht gerade erfreut zu sein,

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