Gewitter

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Wieder war ein sehr übles Wetter vorherrschend, welches dafür sorgte, dass es an jenem Tag schon zu früher Stunde relativ dunkel wurde. Dichte Wolkenbänder und die üppigen Äste der vielen, vielen Bäume bedeckten allesamt den freien Himmel. Und dieses Mal regnete es nicht nur bloß, nein, es schüttete und gewitterte förmlich. Ein heftiger Sturm zog auf und wütete, teils hagelte es in unregelmäßigen Abständen und sogar einige Zelte der Crew draußen wurden vom Winde weggefegt und verschwanden anschließend im großen Wald, der die Teile quasi zu verschlingen schien. Natürlich ging bei diesem starken Sturm auch viel Nahrung verloren, die entweder weggeweht oder durch Hagelkörner und Wassertropfen zerstört worden war. Die Menschen, die außerhalb des Hauses im Zeltlager verweilen mussten, zogen sich entweder in den schützenden Van oder in die Hauptzelte zurück, die um einiges widerstandsfähiger als die kleineren waren. Das Zelt vom schwerkranken Moderator Gerold war so eines zum Beispiel, und im Inneren von diesen standen immer noch der Projektleiter Thomas, der Schnittmeister Richard und der Arzt Arnold, wobei sich der Regisseur definitiv die größten Sorgen zu machen schien. Dies war halbwegs verständlich, immerhin lastete auf ihn die gesamte Verantwortung, und da bereits einer verschwunden und ein anderer getötet wurde, musste er den Schaden irgendwie begrenzen. Wäre es ein normales, herkömmliches, konventionelles Filmprojekt gewesen, das möglicherweise nicht gerade inmitten der russischen Einöde stattgefunden hätte, dann hätte Thomas definitiv schon längst gehandelt und die Serie bei dem ersten Kuriosum beenden lassen. Aber hier war es anders. Hier war kein Krankenhaus, keine Polizeistation, kein Supermarkt oder sonst etwas in der Nähe. Nur ein finsterer, kalter und unbarmherziger Wald umgab die Lichtung, die gleichzeitig das Filmset darstellte. Und dass Horst mit seinem großen Jeep je wieder den kleinen Waldweg entlang fahren und hier mit Unterstützung eintreffen würde, das war nahezu ausgeschlossen. Doch trotzdem waren es vor allem die Crewmitglieder wie Thomas, die an jedem Tag, der verstrich, mehrere Anrufe in die Welt nach außen tätigten, in der Hoffnung, zumindest einmal Glück zu haben und wen zu erreichen.

Anders war es bei denen, die im Haus saßen. Während sich Ernst, Julia, Norbert, Markus und Daniel damit begnügen mussten, fast täglich zur Jagd zu gehen und einen großen Teil davon an Felder abzugeben, ging es den Personen in Felders Stock wohl recht gut. Noch immer war die Treppe zum zweiten Stockwerk mit Mobiliar und Schutt völlig verbarrikadiert, aber die Mitglieder von Antons Gruppe pflegten es, sich über ein Seil oder eine selbstgebaute Hängeleiter nach unten zu begeben, wenn sie mussten, denn eigentlich zwangen sie die unten Lebenden ihnen Essen zu bringen, indem sie ihnen manches Mal die Wasserleitung abdrehten. Das war eine recht ausgeklügelte Taktik von Anton, die Wirkung gezeigt hatte, zumal es nicht nur mehr seine Leute sein mussten, die im Nassen und in der Kälte die nervige Arbeit des Jagens erledigen mussten. Stattdessen konnten sie sich gemütlich bedienen lassen und schickten selten selbst Jäger aus. Mira schien sich sehr gut eingelebt zu haben; die selbstbewusste und kommunikative Dame tat sich leicht damit, sich selbst an neue Gesellschaften und Umgebungen anzupassen. Obwohl es von Seiten der Crew und von den anderen Kandidaten stets hieß, dass Anton ein riesiger Manipulant, Sektenhäuptling und Verbrecher sei, so fühlte sie sich oben definitiv wohler als unten. Es war womöglich das Zugehörigkeitsgefühl zu dieser expandieren Gruppe, das ihr stark imponierte. Sie ging im Flur des letzten Stockwerks herum, nachdem sie den Sportraum verlassen hatte, der als Nächtigungszimmer für Felder Untergebene diente und mit zahlreichen Matratzen und Decken geschmückt war. Bevor sie hier her kam, dachte sie, dass es oben wohl sehr laut und hektisch zuging, aber eigentlich war die Stimmung sehr entspannt und ruhig. Einen angenehm riechenden Duft konnte man im Flur vernehmen, der offenbar aus Antons persönlichem Zimmer zu kommen schien. Es war offensichtlich Weihrauch, den er irgendwo gefunden haben muss. Mahoud befand sich gerade auf einer Art Patrouille und musste am großen Balkon stetig herumgehen und schauen, ob nicht irgendeine Gefahr drohe; das Überdach bot ihm einen gewissen Schutz vor dem schrecklichen Regen. Mira allerdings wollte ihren Anführer Anton besuchen und klopfte somit an dessen Tür. Nach kurzer Zeit machte ihr Peter auf, der zwar nun kurzes Haar, einen rasierten Bart und einen enthaarten Körper hatte, besser roch und im Allgemeinen gepflegter aussah, aber nur Unterwäsche da stand.

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