Etwas Unmenschliches

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Er bangte um sein Leben, zitterte, schwitzte, stöhnte und schrie teils vor Schmerzen auf, sein ganzer Körper war wieder sehr warm geworden. Gerold Ackermanns Zustand hatte sich erneut verschlechtert. In den letzten zwei Tagen blieben nur der Arzt Arnold, Richard und natürlich Thomas, der sich offensichtlich die größten Sorgen um seinen Freund machte, bei ihm im Zelt; Stunde für Stunde. Arnold hatte ihm ein schweres Antibiotikum verabreicht, zusätzlich zu den schmerzstillenden und fiebersenkenden Medikamenten. Für eine kurze, kurze Zeit – es dürfte in etwa ein halber Tag gewesen sein – konnte sich Gerold wieder annähernd normal artikulieren, problemfrei essen und seine Körpertemperatur war abgesunken. Das war in der Tat auf die Tabletten zurückzuführen. In dieser „goldenen Zeit", wie es Gerold selbst nannte, sprach er meist davon, dass er irgendeinen dunklen „Schatten" am Rande seines Augenwinkels ausmachen konnte, der ihn zu sich holen wolle. Auch wirkte er ganz und gar nicht mehr wie der aufgeweckte, fröhliche, stets ruhige und gelassene, rational denkende Gerold, der er einst gewesen ist. Nein, er sprach wirres Zeug, konstruierte konfuse Sätze und erfand teilweise neue Wörter, die keinerlei Sinn ergaben.

Doch auch der Vorrat an Tabletten und Spritzen war begrenzt, und selbst diese konnten nur die Symptome vorrübergehend lindern. Arnold sah sich dazu gezwungen, die Zufuhr von Medikamenten an diesem Patienten zumindest temporär einzustellen, da dieser fast alles verbraucht hätte. Keiner wusste so recht, wann und ob sie je wieder von hier wegkommen würden, und so musste der von Ageloin selbst arrangierte Arzt sichergehen, dass wenigstens ein bisschen was für die anderen übrig bleibt, damit auch diese bei einem etwaigen Krankheitsfall so gut wie möglich versorgt werden können. Seit einigen Stunden begann Gerold bedingt durch diese Einstellung medizinischer Versorgung wieder ständig zu erbrechen, heiß zu werden, zu zittern und exzessiv zu schwitzen – seine üblichen Symptome eben, die die unheimliche und unbekannte Krankheit auszeichneten. Nun standen nur Thomas und Arnold im Raum; auf Campingstühlen hatten sie sich gesetzt und befanden sich so direkt neben dem Bett, auf dem der Lädierte lag. Drei dicke Decken hatte man ihm gegeben, da er andauernd über die unangenehme Kälte geklagt hatte. Zusätzlich sah der eigentlich sehr adrette und hübsche Moderator aus wie jemand, den man gerade frisch aus dem Grab geholt hat: Völlig blasses Gesicht, glasige Augen, dünner Körperbau durch Gewichtsverlust, spröde, brüchige Haare, gequälter, sichtlich leidender Gesichtsausdruck. Seine Pupillen an sich waren stets weit geöffnet, als hätte er jeden Moment, den er lebte, ein Gespenst oder etwas in der Richtung gesehen.

„Tho... Thomas...", stotterte er leise und schwach und drehte seinen Kopf zitternd zu dem Regisseur.

Dieser hatte seine beiden Hände übereinandergelegt und sich mittlerweile einen Mundschutz hochgezogen, da er sich vor einer Infektion fürchtete.

„Gerold? Du sprichst wieder! Geht es dir denn endlich besser?", fragte der Filmemacher aufgeregt.

„Nei... Nein, ganz und gar nicht!", der Kranke vollendete den Satz nahezu problemlos.

Arnold schaute überrascht auf: „Du sprichst klar! Das ist ein sehr gutes Zeichen, ich sag's dir!", auch ihm war diese Tatsache mittlerweile aufgefallen.

„Die... Die golden... goldene Zeit ist vorüber, oder?", fragte Gerold.

Thomas nahm mit seiner in einem Handschuh geschützten Hand seine, um ihn offensichtlich aufzumuntern: „Es ist alles gut, es ist alles gut... Es wird dir bald wieder besser gehen."

„Schwachsinn... Red' keinen Scheiß! Die ko... kommen, um uns zu kriegen. Ich seh's, Thomas, ich seh's!", der Patient wurde plötzlich lauter in seiner Stimme.

Das war merkwürdig. Seit dem Eintreten seiner Krankheit hatte er stets sehr leise und fast unverständlich gesprochen.

„Er halluziniert, Thomas. Das ist normal in diesem Stadium. Er kann kaum noch klar denken", versicherte der anwesende Arzt dem Regisseur.

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