Überlebensmaßnahmen

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Einst, als das Ensemble der Darsteller des Killswitch-Formats noch volle Nahrungskisten in seinem Besitz hatte, da gab es für sie zur Genüge verschiedenste, kleine Sachen, die man ohne viel Mühe anzuwenden leicht kochen oder direkt und unkompliziert verzehren konnte. Angefangen von Müsli-, Eiweiß-, Kohlenhydrat- oder Vitaminriegeln, Obst, Gemüse, Haferflocken, Weizenbrot, Roggenbrot, Sesambrot, Weißbrot, Schwarzbrot, Kümmel, Basilikum, Rucola, anderen Gewürzen, Mais, Frühstückszerealien bis hin zu Fertigjoghurt, haltbarer, pasteurisierter Milch, Fisch, Rohfleisch vom Huhn, Pute, Schwein, Rind, Wurst, Salami, Pfeffer und Salzpäckchen, Zucker, Teebeuteln, Fertigkaffee, Mineralwasser und diversen Säften. Alles war dabei, und es war schneller weg, als gedacht. Der Mensch an sich vergisst in seinem Wohlhaben oftmals, dass jeder Vorrat definitionsgemäß nur begrenzt und – wie alles andere auf dem Planeten – vergänglich ist. Und selbst Thomas hatte gemeinsam mit seiner vielköpfigen Crew einige Nahrungskisten von Ageloin selbst zur Verfügung gestellt bekommen, wenngleich der Inhalt dieser den der Darsteller-Vorräte um ein Vielfaches übertraf. Immerhin war das so im Skriptum manifestiert; die Filmkräfte sollten so viel zum Speisen und Trinken haben, dass sie es niemals in Erwägung ziehen müssten, selbst auf die Jagd zu gehen. Aber nun war es bereits Mitte August, mehr als die Hälfte der eigentlichen Zeit war bereits vergangen, doch als der immer paranoider werdende Thomas früh Morgens seinen aufgeregten Gang zur besagten Nahrungskiste tat und im Anschluss seinen mit länger gewordenen Haaren gezierten Kopf über die Kanten von jener beugte, da wurde er bleich. Es war eine Art des Schocks, die in ihm aufkam. Seine Augen weiteten sich, der Mund blieb ihm förmlich offen, die Brauen wurden nach oben befördert – drei Weizenbrote, eine aufgerissene Packung Räucherlachs, fünf Kaffeebeutel, eine halbe Salzpackung, einige Überreste anderer Nahrungsmittel, vier Saftflaschen und viel, viel Müll und leere Verpackungen. Die Reserve war faktisch aufgebraucht, was ihn kurzerhand dazu veranlasste, sich schleunigst von der ohnehin nutzlos gewordenen Kiste abzuwenden und sofort zu den anderen Leuten zu rennen, die sich größtenteils im Hauptzelt aufhielten.

Richard und der dickliche Gregor Winkler unterhielten sich über irgendetwas Belangloses, als der Projektleiter ins Zelt platzte, wo auch einige andere Kameraleute verteilt standen: „Ihr verdammten Idioten!", rastete er schreiend aus, „Was fällt euch ein? Was geht nur in euch vor? Wollt ihr etwa, dass wir alle elendig vor die Hunde gehen? Ist das euer Ziel?", seine Augen waren sogar etwas feucht, was wohl von der Verzweiflung rührte.

„Hm? Was haben Sie denn, Chef?", fragte der Fette und hatte dabei seine beiden Hände um die Hüften geklammert.

„Na, was werde ich wohl haben?", wieder schrie der Regisseur auf.

„Wir werden's kaum wissen, wenn Sie's nicht sagen!", grölte einer der Crew-Leute von hinten.

Ein abwertendes Kopfschütteln vom jungen Filmemacher, das definitiv an alle im Raum anwesenden Personen ging: „Die Kisten, zum Teufel! Die sind leer! Alle aber! Die drei, vier Krümel, die da noch drin sind, die werden uns vorm Hunger nicht schützen können!"

„Oh.", meinte Richard gar nicht bestürzt, „Harte Sache, ne?", es schien ihn kaum zu kümmern, was man an seiner äußerst neutralen Gestik erkennen konnte.

Der Arzt Arnold Hausmeier aber reagierte anders auf diese Nachricht: „Diese Volltrotteln sind sowieso zum Schmeißen...", fluchte er wild mit tiefer Stimme, „Zuerst fressen sie wie die Wilden, dann regen sie sich auf, dass sie selbst was beschaffen müssen. Dummheit, reine Dummheit. Ich hab's euch allen so oft gesagt, wenn wir was zum Essen rausgenommen haben, aber immer wieder hieß es, dass es ja noch reichen werde für die paar Tage, die wir noch bleiben werden."

Keiner sagte was. Eine Stille entstand inmitten des Zelts, wo man nur Thomas' nervöse, schnelle Atmung hören konnte. Er glaubte, über alles den Überblick wahren zu können, aber er irrte. Er irrte so gewaltig, dass er sich nun nur mehr in Gedanken Vorwürfe machte. Sein Projekt, für das er auserkoren wurde, das hatte er in den Untergang geführt.

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