Kapitel 9 - Wilde Theorien

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Nataniël

Bitter starrte ich auf den Boden. Den ganzen Tag über hatte ich an nichts anderes denken können, als Chloé's Stichelei. Wie konnte sie so etwas nur sagen? Marinette würde doch nicht... sterben! Dafür war sie viel zu willensstark. Sie würde wieder gesund werden, ganz sicher...
Oder? Cat Noir hatte sich seit Tagen nicht mehr gemeldet, und auch Fu hatte nichts von ihm gehört. Was, wenn... wenn Marinette niemals heimkehren würde? Wutschnaubend schmiss ich meine Tasche in die Ecke und Tian-Lóng flatterte sauer heraus. »Hey! Was soll das?«
»Warum bin ich noch hier?«, schnauzte ich ihn an. »Warum bin ich nicht schon längst in China? Es ist meine Schuld, dass Marinette in diesem Zustand ist, ich sollte ständig an ihrer Seite sein! Verdammt, ich sollte sie retten, nicht Cat Noir!«
Ich fuhr mir verzweifelt über's Gesicht. »Paris fühlt sich falsch an ohne sie.«
Tröstend legte mir mein Kwami eine Hand auf die Schulter. »Hey, ist okay. Du bist ein Teenager, du darfst deine erste große Liebe vermissen. Aber... selbst ich muss sagen, dass Plagg's Menschling und deine Verehrte ganz gut zusammenpassen. Und sie lieben sich. Dagegen können wir nichts tun.«
Das wusste ich bereits, und doch tat es weh, es zu hören. Ich seufzte tief.
»Trotzdem... Ich muss doch irgendetwas tun können!«
»Ach, Chloé hat doch keine Ahnung! Marinette wird schon wieder, auch ohne deine Hilfe. Du kennst sie doch. Außerdem...«, er grinste mich aufmunternd an. »Du musst doch dem süßen Honigbienchen beistehen! Gib's zu: du fandest sie toll.« Ich schnaubte und schubste mein Kwami verlegen weg, aber tatsächlich ging es mir besser. »Man würde nicht meinen, dass Bee erst seit ein paar Minuten Superheldin war, oder?«
»Jep, sie war ganz schön talentiert.«
»Was glaubst du,«, fragte ich Tian-Lóng gedankenverloren. »wer sie wirklich ist?«
»Woher soll ich das wissen? Du bist derjenige, der das Miraculous verloren hat.«
Ich fuhr zusammen. »Das ist es!«
»Was?«
»Ich habe das Miraculous - deinetwegen - verloren, als ich es Luna geben wollte! Und zwar warum?«
»Weil sie dich um den kleinen Finger gewickelt hat?«
»Nein, du Miesepeter! Weil sie alles ist, was eine Superheldin sein muss: selbstbewusst, bescheiden, vernünftig... und genau das ist Queen Bee auch! Weil sie ein und dieselbe Person sind!«
Tian-Lóng seufzte nur erschöpft.
»Menschling, du reimst dir gerade den reinsten Blödsinn zusammen.«
»Ach, komm schon! Das ergibt so was von Sinn!«
Tian-Lóng öffnete den Mund, wahrscheinlich, um irgendwas Sarkastisches zu erwidern, doch er wurde von einem Geräusch unterbrochen. Schnelle Schritte veranlassten ihn dazu, hastig unter meine Jacke zu zischen, nur Sekunden bevor Luna um die Ecke bog. Wenn man vom Teufel sprach...
»Nataniël! Da bist du ja.« Sie strahlte mich an und ich wurde augenblicklich rot.
»L-Luna, hallo!«
»Ich habe dich schon gesucht! Ist alles ihn Ordnung? Du bist so rot.«
»Ooooh, das! Äh, ignorier das! Mir ist nur... warm. Es ist Sommer.«
Es ist Sommer? Hätte ich nicht etwas noch Dämlicheres sagen können?!
Luna zuckte nur mit den Schultern.
»Ah, verstehe. Es sieht jedenfalls sehr süß aus!«
Ich blinzelte ein paar mal, bis mein Gehirn den Satz verarbeiten konnte.
»F-Findest du?«
»Sicher!«, sagte sie und lächelte, was mich an den Rand der Ohnmacht brachte. »Oh, da fällt mir ein: Chloé will sich bei dir entschuldigen. Sie hat es nicht so gemeint.« Ich zog die Augenbrauen zusammen und sah zu Boden. »Ach, sagt sie das?«, sagte ich bissiger, als beabsichtigend. Luna machte besorgt einen Schritt nach hinten und ich hob hastig die Hände. »Du kannst das natürlich wissen, du bist ja noch ganz neu! Aber Chloé... ist nicht gerade nett. Und sie entschuldigt sich niemals, also entweder will sie irgendwas, oder sie macht sich einfach lustig über mich. Sie ist sowas wie das Klassenübel.«
»Das dachte ich mir schon.«, stimmte Luna zu. »Aber es klang wirklich so, als würde sie es ernst meinen.«
Ich zuckte mit den Schultern und wechselte das Thema. »Wie war dein Tag gestern noch? Hast du den Löwen gesehen?« Ihr Gesicht zeigte keine Regung. »Nur von weitem, und selbst da sah er bedrohlich aus. Dragon ist wirklich wahnsinnig mutig, oder? Dass er sich Auphelia so unerschrocken in den Weg stellt, obwohl sie so mächtig ist...« Ich wurde fast wieder rot, riss mich aber gerade noch so zusammen. Testend fragte ich weiter: »Und Queen Bee? War sie nicht auch unglaublich?«
Jetzt zeigte sie doch eine Reaktion, ganz kurz huschte etwas Düsteres über ihr Gesicht. Aber es verschwand so schnell, dass ich mich auch getäuscht haben könnte. »Ich weiß nicht. Irgendwie ist sie... Seltsam, oder? Sie taucht zufällig genau in dem Moment auf, in dem auch Auphelia erscheint und gibt sich als Superheldin aus, bekämpft Auphelia aber nicht selbst sondern verfolgt ihr Schoßhündchen. Der ihr dann zufälligerweise entwischt.«
Ich runzelte die Stirn. »Du meinst... Sie könnte eine Verräterin sein? Hälst du das wirklich für möglich? Immerhin trägt sie ein Miraculous!«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Ich habe von Hawkmoth gehört, ich halte alles für möglich. Solange ich nicht weiß, wer Queen Bee wirklich ist, kann ich ihr nicht vertrauen.« Nachdenklich tippte sie sich ans Kinn. »Wenn sie sich offenbaren würde, sähe die Sache natürlich anders aus...«
Hm. Also entweder, Luna war in Wirklichkeit eine Hollywoodreife Schauspielerin inkognito, oder sie hatte wirklich nichts mit Queen Bee zu tun. Aber... Aber sie musste es sein! Wer denn sonst, wenn nicht sie?

Chloé

»Ich bin stolz auf dich, Chloé! Das war zwar noch optimierungswürdig, aber du hast dich immerhin mit Luna angefreundet, obwohl du anfangs so abgeneigt ihr gegenüber warst! Gut gemacht.« Ich schnaubte gespielt gleichgültig und verließ den Klassenraum. »Interpretiere da bloß nicht zu viel rein! Ich wollte nur... Ich wollte mich nur gut mit ihr stellen, weil sie beliebt ist!« Pollen seufzte und schwirrte unnachgiebig um mich herum. »Jetzt tu doch nicht so! Ich weiß genau, dass du aufrichtig zu ihr warst.«
»Du weißt gar nichts, Pollen!«, stritt ich ab und beschleunigte meinen Schritt, was sie nicht im geringsten beeindruckte.
»Ach, Nein? Dann stellst du dich also nicht absichtlich böse, um meine Erwartungen an dich zu senken? Clever, wirklich! Wenn niemand etwas von dir erwartet, kannst du auch niemanden enttäuschen.«
Ich blieb ruckartig stehen. »Was? Nein! Das ist... doch... lächerlich, genau! Ich mache einfach das, was ich will.«
»M-hmmmmm, sicher, Süße. Du musst an deinem Pokerface arbeiten. Eine Königin lässt sich niemals anmerken, wenn sie-«
»Was soll das, Pollen?«, zickte ich sie an. »Erst provozierst du eine Reaktion von mir, dann sagst du mir, dass das Falsch ist!«
Sie seufzte. »Du hast nunmal die Angewohnheit, das Gegenteil von dem zu machen, was man von dir will. Das bedeutet, dass du keinen meiner Ratschläge annehmen wirst. Also muss ich dich dazu bringen, dich selbst zu hinterfragen. Es ist wie mit Bienen! Sie benutzen die Blumen, um sich von ihrem Nektar zu ernähren. Die cleveren Blumen geben den Insekten aber noch etwas anderes mit, um sich zu vermehren: die Pollen.«
»Ich verstehe nicht wirklich, worauf du hinauswillst.«
Sie seufzte.
»Du bist die Biene und willst nur den Nektar der Blume, die bin ich. Übersetzt: du brauchst mich eigentlich nur, um dich zu verwandeln, meine Hilfe für deinen miserablen Charakter willst du nicht. Ich muss dir meinen Rat also so unauffällig servieren, dass du ihn mitnimmst, ohne dich dagegen zu wehren, verstehst du?«
»Nicht wirklich. Außerdem klingt deine Metapher ziemlich komisch.«
Ich rümpfte die Nase. »Du bist zehn Zentimeter groß und willst mir was von Blümchen und Bienchen erzählen? Nein Danke.«
Missmutig sah sie mich an. »Bei dir sind Hopfen und Malz wirklich verloren. Oh!« Ich sah sie überrascht an. »Was ist los?«
»Wie lange hast du noch Mittagspause?«, fragte Pollen mit abwesendem Blick und ich zog eine Augenbraue hoch. »Noch eine halbe Stunde, wieso?«
»Wir müssen los! Meister Fu ruft uns!«
Das klang dringend. Ich strich mir schwungvoll über die Haarspange und machte mich bereit.
»Pollen, verwandle mich!«

Miraculous 3.2 - AupheliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt