Kapitel 16 - Ein Beinahe-Date

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Chloé

»A-Also, was genau soll ich denn machen?«, fragte ich mit knallroten Wangen und starrte auf Dragons Hand, während wir über Fu's Dach schlenderten. Seine behandschuhten Finger hatten sich wie selbstverständlich um meine gelegt, warm und locker.
Dragon, der Red Dragon, hielt meine Hand - auch wenn er es gar nicht bemerken zu schien.
Nur mit Mühe konnte ich ein panisch-begeistertes Quieken unterdrücken, das Pollen als »nicht damenhaft« bezeichnet hätte.
»Ich hab keine Ahnung.«, meinte Dragon munter. »Bei mir hat es irgendwie von Anfang an funktioniert. Aber wir finden schon raus, wie's geht. Wie schwer kann das schon sein?«
Er ließ meine Hand los - leider! - und setzte sich im Schneidersitz auf den flachen Dachgiebel. Hastig setzte ich mich ihm gegenüber. Seit wann war ich bitte so unsicher? Das war doch, was ich wollte! Gut, Meister Fu hatte das alles etwas beschleunigt, aber das hieß nicht, dass ich die Chance nicht nutzen sollte!
»A-Also... Fu meinte, wir... könnten versuchen, uns besser kennenzulernen? Um unser Teamwork zu verbessern!«
Ich verstummte und runzelte die Stirn. Das klang fast wie ein... Date! Bevor ich mir selbst auf die Schulter klopfen konnte, schenkte mir Dragon ein Lächeln, das die Sonne vor Eifersucht quasi zur Supernova treiben könnte.
»Das klingt wie aus einem Anime! Wo wollen wir anfangen?«
Oh. So weit hatte ich nicht gedacht.
»Äh... du magst Animes?«, fragte ich in Ermangelung einer besseren Idee. Wie sollte ich darauf ein Gespräch aufbauen? Ich hatte keine Ahnung von dem komischen Gekritzel!
»Ja!«, rief er aus. »Vor allem Filme! Ghibli-Studios und so. Die Farben, der Zeichenstil, die Figuren... Sag bloß, du hast als Kind nie Totoro gesehen!«
»Ehrlich gesagt nein.«, entwischte es mir bevor ich eine clever klingende Lüge auftischen konnte. »Ich fand das alles immer furchtbar... na ja...«
»Nerdig?«
»Äh, also... ein bisschen.«
War ich verrückt geworden?!
»Tse! Du verletzt mich zutiefst! Wie kannst du mich nur so hintergehen?«, beschwerte er sich lachend und griff sich dramatisch an die Brust. Trotz des offensichtlichen Sarkasmus brauchte ich ein paar qualvolle Sekunden, bis ich ihn erfasste. Ein erleichtertes Lachen kam mir über die Lippen.
»Was mag der Anime-Banause von heute denn sonst?«, fragte Dragon und ich verfiel in einen ausschweifenden Monolog über Mode und Magazine, die mir gefielen. Auf einen seiner undeutbaren Blicke hin verstummte ich aber abrupt.
»Aber das ist sicher ziemlich oberflächlich von mir, was?«
»Hm? Quatsch! Ich kenne jemand ganz Besonderen, der genauso lange über solche Dinge reden kann wie du.« Sein Blick wurde kurz melancholisch und ich hakte nicht nach. Sofort sammelte er sich wieder.
»Außerdem, so wie du über Stofffarben und Kombinationen sprichst, klinge ich wahrscheinlich, wenn ich über Paletten und Linienführung rede.«
»Du zeichnest?«
»Ja. Das heißt... bis vor kurzem.«
Ich stutzte. Da war es wieder, dieses Traurige in seinen Augen.
»Dragon... Kannst du mir erzählen, was am 26. Juni passiert ist?«
Das Datum, das niemand in Paris so schnell vergessen würde, ließ Dragon zusammenzucken.
»W-Wie kommst du denn jetzt da drauf?!«
»Der Tag war definitiv heftig für dich und Ladybug, und danach hat man dich kaum noch gesehen, also... kann ich mir denken, dass es irgendwie einschneidend war.«
Er verfiel in ein langes, drückendes Schweigen, das sich ungefähr so anfühlte, wie wenn man sich unter Wasser die Ohren zuhält.
Jetzt hast du's geschafft, dachte ich mir, jetzt hast du ihn endgültig vertrieben. Warum konntest du auch nicht die Klappe halten?
Ich wollte gerade das Thema wechseln, als Dragon doch noch das Schweigen brach.
»Ich habe Mist gebaut.«
Überrascht sah ich auf.
»Was?«
»Ich habe Mist gebaut«, wiederholte er und schlang die Arme um seine angezogenen Knie. »Was am 26. passiert ist war meine Schuld.«
»Aber ich dachte, ihr hättet gewonnen? ›Hawkmoth ist keine Gefahr mehr‹, hast du gesagt.«
»Stimmt. Aber einen Sieg würde ich das trotzdem nicht nennen.«
Er seufzte tief.
»Ich... Ich dachte, Ladybug würde... aber... Nein, unwichtig. Ich habe einen Fehler gemacht, und die Konsequenzen haben mich überwältigt. Ich wurde akumatisiert.«
Was?!
»Zu meiner Verteidigung, es wahr kein normaler Akuma! Das Vieh war gelb! Unter seinem Einfluss habe ich Ladybug und Cat Noir verraten, überwältigt und zu Hawkmoth gebracht. So gesehen... haben wir verloren.«
»Ist sie deshalb weg? Weil sie ihr Miraculous verloren hat?!«
Er schüttelte langsam den Kopf, und mich beschlich der Gedanke, dass die Wahrheit sogar noch schlimmer war.
»Hawkmoth hat ihre Miraculous' benutzt, um unbesiegbar zu werden. Mit den vereinten Kräften von Schöpfung und Zerstörung kann man... Dinge tun... die besser nicht passieren sollten. Er hat ein Loch in die Mauer zwischen Leben und Tod gerissen und versucht, seine verstorbene Frau zu finden. Aber wenn man die Miraculous' erstmal kombiniert hat, verliert man den Verstand. Er hatte keine Kontrolle darüber, wen er angreift und wen er von den Toten zurückholt.«
Er rutschte unsicher auf seinem Platz hin und her.
»Ich war zu dem Zeitpunkt ausgeknockt und weiß nur, was Fu mir erzählt hat. Ladybug hat sich irgendwie nur mithilfe der Kwamis verwandelt und Hawkmoth die Hälfte seiner Superkraft gestohlen. Runde Eins ging an ihn. Er hat... er hat sie...«
»...getötet?!«
Dragon nickte und sah zu Boden.
»Cat Noir und Fu konnten sie retten - frag mich nicht wie, ich war total durch den Wind und hab nicht aufgepasst! - und sie hat Hawkmoth doch noch überwältigen können. Aber... als sie sich zurückverwandelt hat... ist sie umgefallen und nicht wieder aufgestanden. Sie ist immer noch ohne Bewusstsein, soweit ich weiß.«
Ich senkte den Blick.
Deswegen also...
Ein Teil von mir war irgendwie sogar erleichtert. Sie war nicht einfach gegangen, hatte Paris - und ihrer größten Bewunderin! - nicht den Rücken gekehrt. Sie hatte keine Wahl gehabt.
Meine Erleichterung verfloss als ich Dragon wieder ansah. Niedergeschmettert war gar kein Ausdruck, er war am Boden zerstört. Als könnte er sich nur mit Mühe davon abhalten, hier und jetzt in Tränen auszubrechen.
»Wäre ich nicht gewesen, wäre sie jetzt auf diesem Dach.«, murmelte er mit belegter Stimme. »Sie würde mit dem Kater hier sitzen, nachdem sie wieder mal den Tag gerettet hat, und alles wäre wie immer.«
Etwas in mir machte Klick und ich stemmte mich auf die Knie hoch. Bevor ich mich bremsen konnte krallten sich meine Hände fest in die goldenen Verzierungen an seinen Schultern.
»Hör auf!«, befahl ich mit einer Stimme, die Pollens Befehlston überraschend ähnlich war. »Sag sowas nicht! Wärst du nicht gewesen, wäre Ladybug in dieser Grotte gestorben.«
Vorausgesetzt, Alya hat die Sache in China nicht nur erfunden.
»Und ohne dich hätte Master-Tech m- Chloé niedergewalzt! Und würdest du jetzt nicht an Ladybug's Stelle hier sitzen, hätten wir uns nie kennengelernt. Ich... Alle bauen mal Mist, ich ganz besonders. Aber... wenn irgendjemand das Zeug dazu hat, das Blatt zu wenden, dann sind das doch wir, oder?«
Ich zog eine Grimasse, die wohl irgendwo zwischen einem fragenden Blick, hoffnungsvollem Lächeln und Ingrimm lag.
»Immerhin sind Wunder doch unsere Spezialität!«

Nataniël

Ich schluckte und starrte Bee mit einer Mischung aus Staunen und Unsicherheit an.
»Ich... Ich weiß nicht, wie ich das wieder ausbügeln soll.«, gestand ich. »Es geht ihr wirklich, wirklich schlecht...«
»Sie ist Ladybug! Sie schafft alles!«, beharrte sie und ließ sich zurück in den Schneidersitz sinken. Ein stolzes Lächeln machte sich auf ihrem Gesicht breit.
»Immerhin hat sie einen Unbesiegbaren besiegt! Ich meine... wow!«
Ihr Lächeln verschwand.
»Apropos... Was wurde aus Hawkmoth?«
»Tch«, schnaubte ich. »Dem geht es bestens! Leider! Wenn es nach mir ginge, wäre er jetzt im Gefängnis. Aber Cat Noir war der Meinung, er hätte sich nach einem magischen Vier-Augen-Gespräch mit Ladybug in einen Gutmenschen verwandelt und müsse nicht bestraft werden. Sogar sein Miraculous hat er noch!«
Bee runzelte die Stirn.
»Aber das ist doch...! Er hat über ein Jahr lang Menschen terrorisiert!«
Frustriert ließ ich meine Faust auf die Ziegel knallen.
»Genau! Menschen können sich nicht einfach so ändern!«
Meine Gegenüber zuckte abrupt zusammen. Täuschte ich mich oder wich sie meinem Blick aus...?
»R-richtig...«, murmelte sie, auf einmal weniger enthusiastisch.
Bevor ich nachhaken konnte, meldete sich auf einmal Tian-Lóng zu Wort: »Hey, Menschling, ich unterbreche euer tiefgründiges Herumgeflirte ja nur ungern, aber ich denke, ihr habt mittlerweile eine ganz ordentliche Verbindung hergestellt. Wir könnten dann mit dem eigentlichen Spaß anfangen!«
»So schnell? Ein bisschen Smalltalk und wir stehen uns Nahe?«, fragte ich stirnrunzelnd. Er verdrehte mental die Augen.
»Nicht so bescheiden, Rotschopf! Du hast's drauf! ...außerdem sind manche Charaktere kompatibler als andere. Sieh es also als Perfect Match an, oder wie auch immer ihr Teenager das nennt.«
Ich seufzte und wandte mich wieder meiner Partnerin zu.
»Wir... Wir könnten jetzt anfangen, wenn du willst. Mit dem Telepathie-Freischalten.«
Sofort setzte sich Bee gerader hin, ein abenteuerlustiges Funkeln in den Augen.
»Klar! Legen wir los. Was muss ich tun?«
»Sag ihr sie soll dich küssen, darauf stehen Mädchen!«
»Tian-Lóng, zischte ich empört und er kicherte.
»Dann haltet wenigstens Händchen, das hilft bei der Übung. Oh, und es ist romantisch. Was wäre ich für ein Drache, wenn ich nicht den Ritter mit seiner Maid verkuppeln könnte?«
Falls Bee aufgefallen war, dass ich knallrot angelaufen war, ließ sie es sich nicht anmerken. Zögerlich setzte ich mich in den Schneidersitz und sah auf ihre Hände. Das war platonisch, freundschaftlich, nichts Romantisches. Es ging hier um Telepathie! Nichts anderes!
»Mm-hmmmm, Menschling. Sicher doch.«
»Klappe, Drache!«
Missmutig griff ich nach Bee's Händen.
»Das hier ist wichtig! Lenk mich nicht a-«
Oh. Ihre Hände waren so... warm. Die Handschuhe waren fingerlos, ihre Haut ungeheuer zart. Weich wie Seide.
»Keine Sorge, das mit dem Ablenken kriegst du auch selbst ganz gut hin.«
Hastig schüttelte ich den Kopf und erkundigte mich mit einem schnellen Blick, dass Bee auch einverstanden war. Sie starrte wie paralysiert auf unsere Hände, schien aber nichts einzuwenden zu haben.
»Du musst vorbereitet sein.«, leitete ich Tian-Lóng's Anweisungen weiter. »Dein Kwami ist eine Gottheit erster Güte und direkt mit den Pulsadern des Lebens, den Quintessenz-Strömen, einfach aller Energie verbunden. Bei dieser Form der Verknüpfung wirst du für ein paar Augenblicke Dinge sehen können, die sich dir vielleicht noch nicht ganz erschließen können. Zeit spielt keine Rolle wenn man mit dem Schicksal selbst verbunden wird.«
Ich sah sie noch ein letztes Mal fragend an.
»Bist du bereit?«
Sie nickte, etwas blass um die Nase, aber mit Entschlossenheit im Blick. Ihre Finger schlossen sich ein kleines bisschen fester um meine.
»Fangen wir an.«


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Heyo! Frisch aus dem Winterschlaf und mit frühlingstypischem Geschnulze im Schlepptau: Geeeny ist wieder da!
Ja, ja, ich bin unzuverlässig. Aber das hat jetzt eine - kein bisschen erfundene! - Erklärung: ich bin ein Sss. Ein Sommer-Saison-Schreiber. Richtig aktiv bin ich nur bei Betriebstemperatur, und die steigt eben nur langsam.
Updates kommen wie immer unregelmäßig und langsam, ich hoffe, ich könnt euch trotzdem noch etwas darüber freuen.
Vielen Dank für all die lieben Sachen die ihr mir in der Zwischenzeit geschickt hattet! Das war mir jedes Mal eine große Freude. Bis dann,

Eure Geeeny

Miraculous 3.2 - AupheliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt