Kapitel 18 - Verluste und eine Biene mit Rückgrat

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Nataniël

Mit einer fließenden Bewegung nahm Bee das Zepter vom Halfter an ihrem Rücken und ließ ihre Drohnen frei, meine Peitsche hatte ich bereits beim Abrollen gezückt. Auphelia's Tiger war nirgends zu sehen, aber er konnte nicht weit sein.
»Ich suche schon seit Stunden nach euch!«, schmollte unsere Gegnerin. »Gerade habe ich darüber nachgedacht, den Eiffelturm unter Strom zu setzen. Ihr wisst schon, eine kleine Grillparty, um eure Aufmerksamkeit zu bekommen.«
Sie lächelte mich strahlend an.
»Ich hoffe, Solin hat dir nicht all zu viel Schaden zugefügt?«
Ich verlagerte unruhig mein Gewicht von einem Bein aufs andere, Bee schnaufte ungläubig.
»Dein reizender kleiner Sonnenschein hat sich in Luft aufgelöst! Wir wissen genau, wie wir deine Geister loswerden können.«
Auphelia verzog keine Miene.
»Nun, ich hatte eigentlich vor, dich höflichst zu ignorieren, aber da du es gerade ansprichst... Einem Geist seinen Kontraktor zu nehmen, ist keine so große Leistung. Solin war erst die Vorhut.«
Sie streichelte den grau gefiederten Hals des Adlers, dessen eisblaue Augen uns stur fixiert hielten.
»Darf ich vorstellen? Das hier ist Zeus.«
Der Vogel spreizte die Flügel und demonstrierte eine Spannweite von stolzen sechs Metern.
»Und er hat ein Faible für Stürme.«
Kraftvoll schlug Zeus mit den Flügeln und ich schrie überrascht auf, als mich die Windböe von den Füßen fegte. Der Himmel hatte sich zugezogen und in Zeus Augen lag ein elektrisches Funkeln, das alles andere als freundlich aussah.
Mit einem Schwung meiner Peitsche besorgte ich mir Halt am Dachgiebel und rollte auf der Straße ab. Bee hatte noch im Fall ihre Drohnen freigelassen, mit sicherem Tritt hüpfte sie von einem Metallrücken zum nächsten. Dann landete sie unverletzt neben mir.
»Du schuldest mir noch etwas, Ungeziefer.«, knurrte Auphelia sie boshaft an. »Solin war ein treuer Freund.«
»Sind alle deine Freunde versklavte Geister?«, zischte Bee zurück. »Würde eine Menge erklären!«
»Nicht alle
Auphelia warf mir ein zuckersüßes Lächeln zu, dann hob sie gebieterisch eine Hand.
»Zeus! Stürmischer Meister des Donners, höre den Ruf deiner Königin und brenne sie nieder!«
Ein ohrenbetäubender Vogelschrei verließ Zeus' Kehle und er hob ab, während brodelnde Wolkenmassen den Himmel verdunkelnden. Auphelia verschwand - natürlich! - mit einem dramatischen Wirbeln ihres Umhangs.
»Feigling!«
Für eine Verfolgung blieb uns keine Zeit, dafür sorgte Zeus. Mit einem Schrei entfesselte er einen Lichtblitz und zwang uns, auszuweichen und Deckung zu suchen.
»Irgend 'ne Idee wo sein Stein-Dingsbums sein könnte?«, fragte ich Bee und duckte mich tiefer in den Hauseingang, in dem wir uns versteckten. Sie betrachtete den Himmel nachdenklich.
»Auphelia hat den Stein ›Kontraktor‹ genannt. Und ich bin mir ziemlich sicher, etwas an seinem Hals hat geglitzert. Ist aber schwer zu sagen, seine Federn sind aus Metall und reflektieren das Licht.«
»Metallfedern? Wow, Auphelia macht echt keine halben Sachen.«
Bee verdrehte die Augen.
»Das fällt dir erst jetzt auf? Der Drei-Meter-Löwe war dir noch nicht dramatisch genug?«
Ich grinste.
»Also, wenn du's genau wissen willst, ich habe mal gegen ein sechs Meter hohes Kleinkind gekämpft!«
Ein kleines Lachen entschlüpfte ihr.
»Oh nein, wie furchtbar. Ich bin ja so stolz auf dich!«
»Weißt du, irgendwie habe ich das Gefühl, du machst dich über mich lustig.«
»Tust du das?«
Ich wollte mich gerade gegen die Wand neben ihr lehnen und weiter witzeln, da entdeckte Zeus unser Versteck und wir mussten dem nächsten Blitz ausweichen. Bee hatte Recht, unter den stahlgrauen Federn an seinem Hals blitzte hin und wieder ein hellblaues Funkeln auf.
»Machen wir es kurz!«, sagte Queen Bee entschlossen und visierte Zeus an, während ihre Bienen sich in einer Linie zwischen ihr und dem Adler anordneten. »Meine Zeit ist kostbar!«
Mit einem Satz katapultierte sie sich auf Drohne Nummer Eins, von dort auf zwei und dann auf drei, direkt auf Zeus zu. Der hatte sich weiter nach oben gebracht, den Kopf erhoben und den Kristall an seiner Kehle regelrecht herausgestreckt. Ich zog die Brauen zusammen. Das war zu einfach, zu offensichtlich. Das war...
»Eine Falle! Bee, warte!«
Zu spät, sie war bereits abgesprungen, eine Hand nach dem Kontraktor ausgestreckt. Zeus war nun knapp unter den Wolken und seine Augen begannen unheilvoll zu glühen. Mit aller Kraft warf ich das Seil meiner Peitsche nach Queen Bee aus, gerade als ein Donnern aus den Wolken dröhnte und gleißendes Licht auf den eisernen Adler zuschoss. Als würde er sich aufladen begannen statische kleine Blitze über seine Federn zu kriechen, dann schlug er die Flügel unter sich zusammen und entlud die geballte Energie in einer glühenden Elektrizitätswelle. Gerade noch rechtzeitig wickelte sich meine Peitsche um Bee's Taille und zehrte sie zurück zu mir, hinter eine Mauer. Ihre Bienen hatten weniger Glück: sobald die Wand aus Energie sie berührte fielen sie zuckend zu Boden, ein metallischer, verbrannter Geruch lag in der Luft. Bee sog scharf die Luft ein und krümmte sich zusammen als die Verbindung zwischen ihr und ihren Drohnen riss. Das Licht in den Häusern neben uns ging flackernd aus, bevor sich der Stromausfall durch ganz Paris fraß. Keuchend sahen wir uns an.
»Das war knapp!«
Mit einem Schrei drehte Zeus ab und verschwand in den Wolken, wahrscheinlich um sich wieder aufzuladen.
»M-Mein Schwarm...«, stotterte Bee bestürzt und ging neben den gefallenen Robotern auf die Knie. Das goldgelbe Metal war völlig verformt und verschmolzen, die dünnen Beinchen zuckten noch mit der Restenergie des Einschlags.
»Wie ist das möglich?«, fragte ich entsetzt. »Ich dachte, unsere Waffen sind unzerstörbar!«
Sie schüttelte langsam den Kopf.
»Das Zepter ist meine Waffe. Die Drohnen sind... Erweiterungen meines Bewusstseins. Mein Hofstaat.«
Ein kleines Summen ließ sie aufsehen. Eine der Bienen gab ein schwaches Piepsen von sich und zuckte etwas. Sofort war Bee bei ihr und hob sie vorsichtig auf. Der Panzer war weitestgehend intakt, aber die gläsernen Augen waren zersprungen und die Beinchen waren verbogen.
Mit vorsichtigen Fingern ließ ihre Königin die dünnen Gliedmaßen wieder einrasten und bog sie zurecht, dann setzte sie sie auf ihre Schulter und legte die anderen Bienen in ihre gekringelte Tasche.
»Wenigstens einer von euch geht es gut.«, seufzte Bee und streichelte der Drohne über den Kopf. Etwas Grimmiges machte sich auf ihrem Gesicht breit als sie ihr Zepter aufhob und aufstand.
»Los«, meinte sie zu mir, ihre Stimme so harsch wie ihr Blick. »Machen wir diesem Mistvieh die Hölle heiß!«
Ich schluckte. In diesem Moment sah Queen Bee wirklich aus wie eine Königin, und noch furchteinflößend als Chloé, wenn sie ihre berüchtigten Wutanfälle bekam.
»Bist du sicher, dass wir ihn verfolgen sollten? Wir haben keinen Plan und du nur noch eine Biene ohne Augenlicht.«
Nachdenklich tippte Bee ihrer letzten Drohne auf den Kopf.
»Ich kann ihre Augen sein. Schwarmdenken, weißt du noch?«
Sie lächelte.
»Ich glaube, ich nenne sie Spine. Die Kleine hat Rückgrat! Was den Plan angeht...«
Ihr Lächeln verschwand.
»Ich hab da so eine Idee.«

Miraculous 3.2 - AupheliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt