23:23. Das sagt zumindest meine Digitaluhr. Da ich hier keine Fenster habe, kann ich meine Vermutung nicht bestätigen. Trotz meiner Zweifel vertraue ich der Funkuhr. So, wie ich auch dem Glauben vertraue, von diesem trostlosen Ort bald verschwinden zu können. Man vereinsamt, so weit entfernt von Zuhause, weit entfernt von allem, was einem Wärme und Geborgenheit schenkt.
Eine einfache Toilette, ein schmerzhaft unbequemes Bett, ein alter Schrank, gefüllt mit ein und denselben Klamotten, und ein dreckiges Waschbecken. Mehr als diese magere Einrichtung und die öde Funkuhr gibt es in meinem bescheidenen Zimmer nicht. Kein Wunder, ich bin auch bloß zum Schlafen hier. Die Matratze ist bereits durchgeschlafen, das modrige Gestell knarzt bei jeder noch so feinen Bewegung und ohne vernünftige Latten hänge ich im Schlaf wohl wenige Zentimeter über dem Boden. Hier zu schlafen kann bei schwülen, warmen Temperaturen eine Qual sein. Doch auch meine Wunden tragen zu meinem beeinträchtigten Schlaferlebnis bei. Diese Wunden erinnern mich an das harte Training, welches einem hier aufgezwungen wird. Es ist, als könne ich sie noch immer brüllen hören, die Kommandanten, wie sie uns Auszubildenden Befehle erteilen. Manchmal, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick, komme ich mir nun doch so vor, als wäre dies mein Zuhause, und mein wirkliches Zuhause wäre nur eine blasse Erinnerung an einen längst vergangenen Traum. Doch ich halte daran fest, dass ich eine Chance auf mein eigenes Leben habe.
Das Quietschen der Gummisohlen auf dem Gang verrät mir, dass es draußen regnet. So, wie auch schon gestern, während unserer letzten Trainingseinheit. Dieses erschreckende Gefühl, keinen Halt unter den Sohlen zu finden, bleibt mir noch klar im Gedächtnis. Schon klar, man muss im Einsatz auf extreme Fälle vorbereitet sein. Aber muss man einem solchen schon in der Ausbildung ausgesetzt sein? Ich bin mir unsicher, ob ich dieses Training gutheißen soll, meine Hände schwitzen schon beim Gedanken an das nächste Mal. Doch ich habe lange nicht die Freiheit, darüber zu urteilen, ob ich eine angemessene Ausbildung erhalte. Ich bin nicht frei, und somit nicht frei, zu urteilen oder zu entscheiden. Aber etwas in mir möchte urteilen. Etwas in mir möchte auf den Tisch schlagen, den Idioten von oberhalb eine reinhauen und sich lautstark dazu bekennen, dass dieses Lager den reinsten Irrsinn darstellt. Ich fühle mich bedrängt, so gestresst, ohne jeglichen Grund dazu.
Ich lasse mich, meine beiden Beine auf dem unangenehm harten Bett aufliegend, vorsichtig auf den Boden hinab senken, bis ich mit meinem angespannten Oberkörper den harten Boden erreiche. Ich atme einen tiefen Stoß aus und nehme eine kurze Pause von meinem Bauchmuskel-Training. Ich versuche immer, mich bei besonders anstrengenden Übungen abzulenken. Gerade denke ich an Berufe, welche ich statt meinem jetzigen Schicksal hätte antreten können. Architekt vielleicht. Ich spielte früher gern mit Lego. Oder doch IT-Experte. Ich saß oft vor dem Computer meines Vaters, logische Konstrukte zu entziffern fiel mir besonders leicht. Ist schon verrückt, in einem Ausbildungslager der Armee zu kauern hatte ich mir niemals vorstellen können.
Aber mal ehrlich. Ich sollte aufhören, über mein Schicksal nachzudenken. Schließlich bin ich mir meiner ausweglosen Lage bereits bewusst, weitere Demotivation kann ich nicht gebrauchen. Tagsüber werde ich ohnehin an die Strenge der Einrichtung erinnert. Der Wunsch nach Freiheit drängt stark in mir, und deswegen liege ich hier und bin fest entschlossen, etwas zu ändern. Ich starte den fünften Satz meiner Sit-Up-Wiederholungen, und mit jedem stechenden Schmerz festigt sich meine Entschlossenheit noch mehr.
„Ich will etwas ändern“, wiederhole ich in meinen Gedanken selbstbestimmt, als sich schließlich meine Zimmertür öffnet, mit einem deutlich verzögerten Klopfen, als wäre dieses ohnehin nicht notwendig gewesen.
„Was willst du?“, stöhne ich mit krächzender Stimme, noch während ich mich mitten in meiner Wiederholung langsam auf den Boden senken lasse. Und plötzlich spüre ich, wie sich mein Zimmer allmählich mit Kameraden füllt. Das Quietschen der Sohlen wird immer lauter, ich spüre die Schwingungen auf dem Boden. Dann beugt er sich über mich.
„Hey Connor“, ruft eine Stimme hinter mir. Ich kann meinen Kopf nicht weit genug drehen, doch seine Stimme kommt mir bekannt vor. Ich kann sie bloß nicht zuordnen. Er klingt selbstsicher, Eitel, und einen Moment lang denke ich, diese Stimme schon einmal gehört zu haben.
„Reife Leistung gestern“, höre ich ihn pöbeln. Schon klar, gerade macht er Witze wegen des Publikums, durch welches ein dumpfes Raunen schweift. Seinen Sarkasmus kann er sich woanders hinstecken. Ich möchte aufstehen, doch ich fühle mich wie gelähmt. Spätestens jetzt bekomme ich es mit der Panik zu tun.
„Hier, halt bloß still.“ Seine Stimme ist jetzt zart, aber angsteinflößend. Mich durchzuckt ein kalter Schauer, denn diese Worte kommen mir unangenehm bekannt vor. Habe ich sie schon einmal gehört? Seine Worte hallen in meinem Kopf noch nach, seine kalte Stimme liegt mir noch im Ohr. Ein merkwürdiges Gefühl ist das.. diese Stimme, diese Worte.. sie kommen mir unheimlich bekannt vor. Noch einmal durchfährt mich ein Schauer als ich seine Hand über meinem Kopf sehe, und all diese Menschen stehen bloß neben mir. Doch es ist still. Da ist bloß diese Hand über mir, gefüllt mit Schlamm.
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Connor Black
Mystery / ThrillerConnor Black, ein heranwachsender, ehemaliger Student der Defuse High, steigt die Karriereleiter der amerikanischen Armee unerwartet auf, obwohl er versucht, an Freiheit zu gewinnen. Ein Balanceakt zwischen dem Bestreben nach Pazifismus mit Aussicht...